Anders als die meisten Komponisten schuf Luigi Nono nicht nur ein Alterswerk, sondern ein Spätwerk im emphatischen Sinne, einen Werkkomplex, der sich gleichermaßen als Summe bisherigen Schaffens erweist und als über den zeitgenössischen Stand des Komponierens hinausreichende Utopie. Mit seinem Streichquartett "Fragmente - Stille, An Diotima" hatte der 56-Jährige 1980 die Wende eingeleitet zu einer leisen, sich in knappen, kristall-klaren Gesten ergehenden Musik, die beides ist, Ton- und Klangkunst, die Motiv- und Frequenzverhältnisse etabliert, aber gleichzeitig nur da zu sein scheint, um den akustischen Raum des Konzertsaales zu artikulieren.
Volker Straebel
Nur wenige der immerhin 21 Klanginstallationen, die die Hörgalerie Singuhr seit 1996 im Turm der Parochialkirche präsentiert hat, reagierten so schlüssig auf die Architektur des Ausstellungsraumes wie die aktuelle Arbeit von Johannes Oberthür und Martin Supper. Die "Stillegung" der beiden Querarme des Glockengewölbes mit T-förmigem Grundriss durch zwei sehr unterschiedliche Barrieren aus Altbaufenstern greift, wie zuvor nur Dirk Schwibberts "Zwölf Gläser", die Geometrie des Raumes konsequent auf.
Kultur: Berliner "Inventionen"-Festival: Vergangene Zukunft - Olga Neuwirths "Pallas / Construction"
Von Olga Neuwirth, 1968 in Graz geboren und bereits als 28-Jährige mit einem Berliner DAAD-Stipendium bedacht, kennt man zumeist klanglich ausdifferenzierte Kammermusiken von organisch wuchernder Form. "Pallas / Construction" für drei Schlagzeuger und Live-Elektronik von 1996, mit dem der Abschlussabend der "Inventionen" in der Parochialkirche begann,steht hierzu in denkbarem Gegensatz.
Boris Hegenbart hatte gerade begonnen, sich als autodidaktischer Komponist avancierter und erfrischend unakademischer Computer-Musik in Berlin einen Namen zu machen, als er jüngst mit 30 Jahren nach Wien ging, um dort Elektroakustische Musik zu studieren. Mit einem Club-Konzert im Podewil meldete er sich nun in seiner Heimatstadt zurück.
Neu ist nicht nur das jüngst Entstandene, neu ist auch das wenig Bekannte. Im Konzerthaus legte das Nuovo Quartetto Italiano Zeugnis davon ab.
Beim Zeitkratzer-Ensemble ist Enttäuschung Programm - die Enttäuschung bequemer Erwartungshaltungen und Hörgewohnheiten. Die zehnköpfige Formation besteht aus Komponisten und Improvisations-Musikern, die ganz unterschiedliche Musizierhaltungen in die Ensemble-Arbeit einbringen.
Mit seiner Klanggalerie im Lichthof des Haus des Rundfunks hat sich der SFB in den letzten Jahren als verdienter Förderer eben jener akustischen Kunst ausgewiesen, die ihm als Hörfunk-Sender besonders am Herzen liegen sollte: der Klangkunst, die die Grenzen zwischen Tonbandkomposition und radiophonem Hörstück, zwischen experimentellem Hörspiel und raumgreifender Installation munter überschreitet. Gerade von der Literatur geprägte Radiomacher, die sonst eher selten den Weg in die Klangkunstszene finden, haben hier ihr Podium.
Das Kulturprogramm des Deutschen Pavillons auf der EXPO 2000 versteht sich, wie sein künstlerischer Leiter Peter Baumgardt gestern auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärte, als bewusster Gegenpol zu Reizüberflutung und Technikverliebtheit der übrigen Ausstellung. Neben experimentellem Theater und Gegenwartsliteratur steht die zeitgenössische Musik im Vordergrund des sich über fünf Monate erstreckenden Programms, für das der Bund 11 Millionen Mark bereitstellte (Karten-Hotline: 01805 - 09 08 43).
Manche Konzerte lassen einen im besten Sinne ratlos zurück. Im BKA hob das hoch konzentriert agierende Klaviertrio des Ensemble Mosaik ein solches Rätselstück aus der Taufe, Clemens Nachtmanns "Mondstrahlen bei Tage".
Dieser Abend sei all jenen ins Stammbuch geschrieben, die derzeit dem Sozialistischen Realismus mit kapitalistischem Vorzeichen frönen und von der neuen Musik sangliche Eingängigkeit, publikumsgerechte Emotion und am Besten noch musiktheatralische Bebilderung fordern: Die Festtage der Berliner Staatsoper hatten Pierre Boulez ein verspätetes Festkonzert zu seinem 75. Geburtstag ausgerichtet, an dessen Ende der Saal den Komponisten und die Interpreten des - vordergründig inkonsumerablen - zweiten Bandes der "Structures" für zwei Klaviere (1961) begeistert feierte.
Ursula Weck ist eine erfahrene Rundfunk-Frau, die sich seit den achtziger Jahren als Regisseurin und Autorin mit Hörspielen und Features beschäftigt. Von einem einjährigen Aufenthalt in Australien brachte sie 1997 Unmengen Tonmaterial zurück - und ein gewachsenes Verständnis der Aborigines-Kultur.
Vielleicht sollte man bei der Bewertung eines Kunstwerkes nicht immer auf dessen Entstehungsdatum schielen. Die Oper "Baal" etwa des Österreichers Friedrich Cerha wurde 1981 keineswegs von ungefähr mit großem Erfolg bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt.
Größere Gegensätze wird man in einem Konzertprogramm schwerlich finden. Arnold Schönbergs expressivem Streichsextett "Verklärte Nacht" stellte Andreas Bräutigam, Primarius des Ensembles UnitedBerlin, die "Shaker Loops" von John Adams voran.
Eigentlich müsste sie unhörbar sein, die Musik, die von heute an für zehn Tage beim Festival "Ultraschall" erklingt, ein hohes Fiepsen nur, jenseits der Hörgrenze. Das würde aber den beiden großen Berliner Rundfunkanstalten, die für das Programm verantwortlich zeichnen, dem Deutschlandradio Berlin und dem SFB, kaum gefallen.
Vor über einhundert Jahren haben die Klänge ihren Ort verloren. Schallplatte und Radio machten sie ablösbar von ihrem Entstehen, ihre ephemere Gestalt kann seither gespeichert, der Raum, den sie füllen, transportiert werden.
Musik geht über das Hören hinaus. Sie erschöpft sich nicht im Klingen, ihr Wesentliches kann jenseits des Schalls liegen.
Von seinen monochromen, mit leuchtendem Pigment versehenen Leinwänden schrieb Yves Klein, sie seien "wie Empfänger reiner Sensibilität, das heißt, Emanationen aus dem Geist des Künstlers, ohne jede Intervention durch ein Thema oder ein anderes Hindernis zwischen Schöpfer und Werk." Der Sog ihrer Leere verleiht ihnen eine machtvolle Räumlichkeit, dem Betrachter verschwimmen bald die Bildgrenzen vor den Augen: Das Gemälde wächst über seine Ränder hinaus.
An der Musik scheint die Postmoderne vorbeigegangen zu sein wie an keiner anderen Kunstform. Die seit den siebziger Jahren allgegenwärtigen restaurativen Tendenzen mag man mit einem vulgären Postmoderne-Begriff aufzuwerten versuchen, der Beliebigkeit zum Gebot der Stunde erhebt - gerecht wird man damit allerdings weder der philosophischen Strömung noch den so etikettierten Werken.
Der Mann ist nicht zu bremsen. Zu DDR-Zeiten unbequemer Mitbegründer der "Gruppe Neue Musik Weimar" und, laut Stasi-Akte, Komponist von Werken, deren "Inhalt und Ausdruck negative oder staatsfeindliche Thematik vermuten lassen", ist Johannes Wallmann seit seiner Übersiedlung in den Westen 1988 mit Großprojekten zwischen Musik und Klangkunst hervorgetreten.
"Ja, das war eine schöne Zeit, als man noch irgendwo hin fliehen konnte." Heute kann der ehemalige DDR-Bürger nur noch reisen, nicht mehr fliehen.
Das Verhältnis von Amerikanischer und Deutscher Musik zu erörtern und "Bestrebungen, Versäumnisse und Zusammenhänge" aufzuzeigen, das war das Anliegen einer Podiumsdiskussion, zu der die American Academy in ihr Haus am Wannsee lud. Einen Tag nach der warm aufgenommenen Uraufführung von Elliot Carters Einakter "What Next?
Der Proband liegt von der Umwelt hermetisch abgeschlossen in einem Isolationstank. Er schwebt in der körperwarmen Salzlösung wie in einem Uterus, und stieße er nicht gelegentlich mit dem Fuß an den Rand der überdimensional großen Badewanne, er könnte vergessen, dass es überhaupt noch etwas gibt außerhalb seiner selbst.
Brummen, Hupen und Kreischen - Bruce Odland und Sam Auinger in der ParochialkircheVolker Straebel Berlin Tönt. Die Stadt rauscht und brummt, sie hupt und kreischt.
In Kassel steht an einem Hang ein vierzehn mal vierzehn Meter großer Rahmen aus grobem Stahlgitter, durch den der Blick auf einen kleineren Messingrahmen und weiter auf die barocke Parkanlage der Karlsaue fällt. Die "Landschaft mit Dia" der Künstlergruppe Haus-Ruck-Co, 1977 zur sechsten Documenta errichtet, lädt den Spaziergänger ein zur ästhetisierenden Wahrnehmung seiner Umgebung.