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Politik: Die Stunde der Mythen

Serbiens Nationalisten wollen den Tod Milosevics für ihre Zwecke nutzen und drohen der Regierung

Der Tod Milosevics bringt die serbische Regierung unter Vojislav Kostunica unter Druck. Die Serbische Sozialistische Partei (SPS) von Milosevic fordert für ihren ehemaligen Präsidenten ein Staatsbegräbnis in Belgrad. Sonst werde sie Kostunica nicht weiter unterstützen. Ohne die Unterstützung der Sozialisten wird die Minderheitsregierung Kostunicas jedoch das Land kaum mehr regieren können. Zunächst äußerte sich Kostunica nicht zu den Forderungen der Sozialisten.

Milosevics Tod und die Erpressung durch die SPS bedeuten nach Meinung politischer Beobachter für die Zukunft Serbiens nichts Gutes. „Nur für die Nationalisten und die Radikalen ist sein Tod eine gute Nachricht“, sagt Nenad Canak, der Chef der Demokratischen Liga der Vojvodina, seinerzeit einer der erbittertsten Gegner Milosevics. „Sie werden ihn benutzen, um das Volk damit zu manipulieren.“ Die SPS droht bereits, diejenigen bestrafen zu wollen, die im Jahr 2001 die Auslieferung Milosevics an den UN-Gerichtshof für das frühere Jugoslawien in Den Haag ermöglicht hatten. Außerdem sei das Tribunal schuld am Tod Milosevics. Es habe ihn „ermordet“, weil es seinen Antrag nach Behandlung in einem russischen Krankenhaus zurückgewiesen hatte.

Dagegen sieht Vuk Draskovic, der Außenminister von Serbien und Montenegro, wenig Grund zur Beunruhigung. „Natürlich werden einige Parteien versuchen, aus Milosevics Tod Kapital zu schlagen“, sagte er serbischen Medien. „Doch sie werden keinen Erfolg haben. Milosevic war ein Mörder, und das wissen wir.“ Trotzdem könnte Milosevics Tod das Land spalten. Denn Serbien steht unter extremem inneren und äußeren Druck, Kriegsverbrecher aus dem Jugoslawienkrieg auszuliefern. So ist Ratko Mladic, der ehemalige Chef der bosnisch-serbischen Armee immer noch auf freiem Fuß. Brüssel droht, die Annäherung Serbiens an die EU zu stoppen, sollte es Mladic bis April nicht nach Den Haag ausliefern.

Doch die Nationalisten sehen es nun als erwiesen an, dass man dem Haager Tribunal nicht vertrauen kann. Die Serbische Radikale Partei (SRS) sorgt sich bereits öffentlich um ihren Führer Vojislav Seselj, der seit drei Jahren in Den Haag in Untersuchungshaft sitzt. Sie warnte die Regierung in Belgrad davor, weitere Serben auszuliefern. „Wollen unsere Führer wirklich Serben nach Den Haag schicken, obwohl sie wissen, dass unsere Patrioten dort ermordet werden?“ fragte Tomislav Nikolic, der Vorsitzende der SRS.

Für Sonja Biserko, die Präsidentin der Helsinki-Kommission für Menschenrechte, ist der Tod Milosevics ein schwerer Rückschlag für den Friedensprozess auf dem Balkan. „Die Untersuchung gegen Milosevic bleibt unabgeschlossen“, sagt sie. „Nun kommen viele Verbrechen niemals ans Tageslicht, und die Nationalisten können das serbische Volk weiterhin manipulieren.“

Präsident Boris Tadic, ein Gegner von Milosevic und auch der amtierenden Regierung, drückte im Schnelldurchgang ein Verbot für die Armee durch, sich in irgendeiner Form an der Trauerfeier für den Verstorbenen zu beteiligen. Auch lehnte er es ab, die Milosevic-Ehegattin zu amnestieren, um ihr so den Weg nach Belgrad zu ebnen. „Ein kleiner Mensch für große Untaten“, schimpfte der Radikalen-Sekretär Aleksandar Vucic am Montag. Vorsorglich hat auch Belgrads Bürgermeister Nenad Bogdanovic die Beisetzung in einem Ehrengrab abgelehnt. Bogadnovic ist ein Parteifreund von Tadic.

Doch die Milosevic-Anhänger wollen trotz allem eine Beerdigung in ihrem Sinne erzwingen. Die „Vereinigung Freiheit“, die sich die Verteidigung von Milosevic auf die Fahnen geschrieben hat, drohte: „Wir werden weder den Präsidenten Tadic noch den Bürgermeister Bogdanovic fragen. Das Volk entscheidet, dass Milosevic in der Allee der Großen mit staatlichen Ehren beigesetzt wird“, polterte ihr Vorsitzender. „Zwei Millionen Bürger werden zur Beerdigung kommen“. Die soll am Donnerstag oder Freitag stattfinden. (mit dpa)

Dinko Gruhonjic[Belgrad]

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