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Bei Rianna & Nina mussten die Models, die Treppen zur Alten Nationalgalerie erst herauf und dann wieder herunterlaufen.

© Stefan Knauer/Getty for Nowadays

Fashion Week in Berlin: Mode unter sich

So interessant war Mode in Berlin schon lange nicht mehr - warum schaut eigentlich keiner zu?

Es ist der umgekehrte Vorführeffekt: Etwas wird immer und immer wieder geübt und wenn es endlich gelingt, schaut keiner mehr hin. So ist es mit der Fashion Week in Berlin. Es wirkt, als hätte die Öffentlichkeit die Geduld mit dieser Spielart des Designs verloren. Vielleicht hat sie auch gerade andere Sorgen: Inflation, Krieg, Klima. Dabei hat Mode gerade jetzt eine Menge zum gesellschaftlichen Diskurs beizutragen. Und sei es auch nur der des Eskapismus.

Mode kreieren heißt, schnell auf das zu reagieren, was die Menschen bewegt. Vorbei sind die Zeiten, in denen man Vorgaben auf dem Laufsteg machte, dem dann in abgeschwächter Form die kommerziellen Marken folgten. Eigentlich funktioniert das seit 50 Jahren nur noch bedingt. Aber es hat gedauert, sich von diesem so bequemen Idealbild zu lösen.

Im Innenhof des Gropius Baus zeigte William Fan seine Kollektion für das nächste Frühjahr.

© Ben Mönks

Das trifft auf Berlin in gesteigertem Maße zu. Keiner wartet hier darauf, was auf den Laufstegen zu sehen ist, um Entscheidungen zu treffen. Also müssen Marken von Anfang an wissen, für wen sie entwerfen. Sie können sich mit jedem Post in den sozialen Medien vergewissern, ob das, was sie tun, Resonanz findet.

Es findet also permanent Austausch statt, der die Mode grundlegend verändert hat. Noch vor zehn Jahren gründeten hier in der Stadt junge Designer:innen Labels, ohne zu wissen, für wen sie ihre Kleidung entwerfen. Die junge Galeristin mit viel Geld war eine Schimäre, die in vielen Businessplänen auftauchte.

Der gekreuzigte Jesus wurde bei Namilia zum modischen Accessoires.

© Haydon Perrior

Wer die Kund:innen von Namilia sind, war am Mittwochabend schon von weitem zu sehen. Die Fans standen passend kostümiert vor dem Kronprinzenpalais Schlange, um sich und die Ideen der Designer:innen zu feiern.

Die Modenschau als Happening - junge, alte, üppige, gekurvte und vor allem nackte Körper waren verpackt in halterlose Spitzenstrümpfe, kleine Lederriemen bedeckten gerade mal Scham und Brüste. An transparenten Bustiers baumelten dutzende silberne Kreuze, auf Lederjacken waren Worte wie „Schwein“ oder „Sex Symbol“ appliziert.

Lederjacken mit Applikationen wie „Sex Symbol“ gab es bei Namilia.

© Haydon Perrior

Man kann sich vorstellen, welchen Spaß die Designer:inen dabei hatten, der Provokation noch einen draufzusetzen, wenn sie einen Stringtanga, da wo sich über der Poritze die beiden Stoffstreifen treffen, mit einem gekreuzigten Jesus verzierten.

Absage der Staatlichen Museen

Dafür wurden sie vom Publikum ausgelassen gefeiert. Neu ist es nicht, Kirche, Sex und Jesus zu einem provozierenden Gemisch zu vermengen. Madonna setzte damit einst Maßstäbe, aber so plakativ und voller Fröhlichkeit wie bei Namilia geschah es selten. Und es zeigt auch heute immer noch Wirkung: Die Schau sollte eigentlich unter den Arkaden der Alten Nationalgalerie stattfinden. Doch nachdem sich die Verantwortlichen der Staatlichen Museen mit der Mode von Namilia beschäftigt hatten, erteilten sie dem Berliner Label eine kurzfristige Absage.

Die Kleider von Rianna & Nina sind romantisch.

© Stefan Knauer/Getty for Nowaday

Das, was Rianna & Nina einen Abend zuvor nur ein paar Meter weiter auf den Treppenstufen zur Alten Nationalgalerie gezeigt hatten, passte wahrscheinlich sehr viel besser in die Vorstellung, wie Mode und Kunst zusammenkommen können. Schlicht schön sind die Kleider, die mit ihren ihrer sehr luxuriösen, fast überfordernden Fülle an Mustern und Stoffmassen eher an Pariser Couture, denn an Berlin denken lassen. Dafür sammelt die Designerin Rianna Kounou alte Stoffe aus der ganzen Welt in ihrem Atelier in der Torstraße, um bestickte Kimonos, alte Kelims, weiße Tischdecken mit Lochstickerei zu kunstvollen Gewändern zusammen zufügen.

Ein Angebot, das nicht nur Rianna & Nina in diesen unsicheren Zeiten ihrer Kundschaft machen, ist Nostalgie und Kunsthandwerk. Das eine gibt Sicherheit, das andere grenzt das menschliche Tun von den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz ab. Das war besonders schön bei SF1OG zu sehen.

Rosa Magda Dahl, die Designerin von SF1OG, zieht ein Model vor der Schau im Ludwig-Erhard-Haus an.

© Ben Mönks

Die Marke hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einer der begehrtesten in Berlin entwickelt. Die Kleider aus altem Küchenleinen, leicht angegilbt, die Schößchen aus Spitze und Westen über perfekt geschnittenen Hosen bildeten einen effektvollen Kontrast zum kalten Neunziger-Jahre-Charme des Ludwig-Erhard-Hauses in der Fasanenstraße.

Die Kollektion von SF1OG kam sehr nostalgisch daher.

© Finnegan Godenschweger

Mit der Nostalgie geht auch eine fast historische Schnittführung einher. Bei SF1OG gibt es ein angedeutetes „Cul de Paris“, ein betontes Hinterteil, das Ende des 19. Jahrhunderts en Vogue war.

Optimismus zu verbreiten, gehört zur Berufsbeschreibung jedes Designers und William Fan ist darin besonders gut. Über ihn wurde jetzt ein Film gedreht, der zeigt, wie sich Fan seine Stellung in Berlin mit besonderen Modenschauen von Saison zu Saison erarbeitet hat. Diese Reihe setzte er im Innenhof des Gropius Bau mit einer Pride-Kollektion fort. Jede Farbe des Regenbogens kam in den Outfits vor. So verpackte er seine Botschaft mit maximaler Eleganz. Und die gehört inzwischen genauso zur Berliner Mode, wie Lederkorsagen und Stringtangas.

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