zum Hauptinhalt
Kindle

© ddp

eBooks: Amazons digitale Bücherverbrennung

Der Internetbuchhändler Amazon hat ungefragt legal gekaufte und bezahlte eBooks von den Lesegeräten der Kunden entfernt. Kritiker sehen darin eine Rückkehr zum Feudalismus.

Bisher dachten viele Menschen, eBooks seien ganz normale Bücher, nur eben schick elektronisch und nicht mehr auf Papier gedruckt. Doch besitzt man die virtuellen Ausgaben wirklich, die man im Internet erworben hat? Dank des Buchhändlers Amazon wird diese Frage im Netz gerade heftig diskutiert. Amazon hat auf den "Kindle"-Lesegeräten seiner Kunden Bücher gelöscht, die diese zuvor gekauft hatten. Legal. Bei Amazon.

Der Kindle lädt Bücher über eine drahtlose Verbindung von einem Server des Versandhändlers. Auf gleichem Wege kann Amazon den Geräten Befehle erteilen – zu Wartungszwecken beispielsweise, um eine Software zu aktualisieren. Oder eben, um Bücher wieder zu löschen.

Mehrere hundert Kunden hatten am vergangenen Freitag überrascht feststellen müssen, dass zuvor gekaufte Werke nicht mehr auf ihren Kindles waren. Stattdessen fanden sie auf ihren Accounts die 99 Cents wieder, die sie dafür ausgegeben hatten und in ihren Mailpostfächern eine dürre Entschuldigung des Händlers: Der veröffentlichende Verlag habe nicht die Rechte für den elektronischen Vertrieb besessen, daher habe man die Ausgaben zurückgezogen.

Es dauerte nicht lange, bis sich im Netz wütender Protest erhob. Auf den Seiten des Technikblogs Techcrunch beispielsweise wird die Frage gestellt: "Ernsthaft, warum kommt Amazon nicht auch gleich in unsere Häuser und verbrennt die gedruckten Kopien, wenn sie schon dabei sind?"

Viele Kommentatoren sehen darin eine Bestätigung von Überwachungsängsten und Verfolgungsideen. Nicht zuletzt, da Amazon wohl die Symbolik der gelöschten Werke unterschätzt hat: Wie der Technikjournalist der New York Times, David Pogue, schreibt – "Wollen Sie das Beste wissen? Die saftige, feiste, sickernde Ironie? Der Autor, der Opfer dieses Big-Brotherartigen Anschlags wurde, war niemand anders als George Orwell. Und die Bücher hießen 1984 und Farm der Tiere".

Und der FAZ-Blogger Don Alphonso alias hält die Löschaktion für den Beleg der Rückkehr der mittelalterlichen Lehen und des Entstehens eines Unterdrückungsinstruments ohne Gleichen: "Kein dreckiger Diktator, Staatsverbrecher und reaktionärer Politiker von Peking über Pjöngjang bis Rom, dem so etwas nicht gefallen würde: Gäbe es keine Bibliotheken mehr, sondern nur noch Kindles, könnte man dem Buchhändler einfach juristisch Druck machen: Ein Knopfdruck, und schon wäre jedes missliebige Werk weg. Bücherverbrennungen sind ein Witz gegen das, was Amazon zu tun in der Lage ist."

Amazon führe damit vorbürgerliche Verhältnisse wieder ein, schreibt Don Alphonso und kehre zurück zum Feudalismus. Besitzer des Lesegerätes seien nicht nur abhängig von dem Versandhändler, sie seien gar Leibeigene. Ihnen gehöre zwar der Kindle, nicht aber die Bücher darauf: "Die Inhalte, die Texte jedoch werden ihm (dem Leser) nur gegen Abgaben zur Verfügung gestellt, wie das Land den abhängigen Bauern nur geliehen wurde. Es ist das zutiefst mittelalterliche Konzept der 'Lehen', der Verleihung von Gütern für Gegenleistung und Unterwerfung, die jederzeit und ohne Angabe von Gründen widerrufen werden kann.

Amazon bereute seinen Schritt inzwischen öffentlich, nutzen wird es dem Buchhändler nichts. Es sei eine sehr dumme Idee gewesen, zitiert die New York Times einen Sprecher des Unternehmens. Man wolle in Zukunft Sorge tragen, dass eine Löschaktion "unter diesen Umständen" nicht mehr möglich sei.

Der eigentliche Haken ist: Amazon war dazu wohl berechtigt. Nur ist das vielen Kunden gar nicht klar. In den Geschäftsbedingungen für den Kindle heißt es: Amazon garantiere das nicht-exklusive Recht, eine dauerhafte Kopie zu behalten, sie anzuschauen und zu nutzen. Zwar steht dort nicht, dass Inhalte wieder zurückgezogen werden dürfen. Doch könnte die Formulierung, "geeigneter digitaler Inhalt", die dort verwendet wird, so gedeutet werden, dass Amazon Bücher, die nicht autorisiert sind, nicht verbreitet und somit auch zurückholt, wenn dies irrtümlich geschah. Außerdem behält man sich das Recht vor, den eigenen Dienst "zu jeder Zeit zu modifizieren, auszusetzen oder zu beenden". Und unter Service wird auch die "Bereitstellung digitaler Inhalte verstanden".

Vor allem aber hat Amazon bewiesen, dass es problemlos möglich ist, gegen den Willen des Kunden auch ordentlich gekaufte und bezahlte Dinge zurückzuholen. Das Unternehmen führe sich damit selbst, schreibt Don Alphonso, "als neuer Gewaltherrscher ein", der niemandem Rechenschaft schuldig sei.

Quelle: ZEIT ONLINE

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false