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Star-Journalist Johann Hellström (Tobias Moretti) wird nicht nur von einer in Deutschland amtierenden rechtspopulistischen Partei bedrängt, er muss auch noch mit einem übergriffigen Smart Home kämpfen. Der Film „Das Haus“ entstand nach einer Kurzgeschichte des Journalisten Dirk Kurbjuweit.

© NDR/Andreas Schlieter/Sabrina Rapp

NDR-Filmchef über „Das Haus“ mit Tobias Moretti: „Das kam uns schon zeitweilig ein bisschen irre vor“

NDR-Filmchef Granderath erklärt den Zukunftsfilm „Das Haus“, in dem Künstliche Intelligenz außer Kontrolle gerät. Die Hauptrolle spielt Tobias Moretti.

Am Mittwoch um 20.15 Uhr sendet die ARD den Near-Future-Film „Das Haus“ mit Tobias Moretti. Wir haben dazu mit NDR-Filmchef Christian Granderath gesprochen.

Herr Granderath, teilen Sie die Beobachtung, dass das deutsche Fernsehen vor allem Gegenwartsfernsehen ist? Sogenannte Near-Future-Filme wie „Das Haus“ oder „Ich bin ein Mensch“ sind selten.
Das war mal anders. In den Siebzigern gab es in der Prime Time Filme wie „Smog“, „Das Millionenspiel“, „Welt am Draht“ von Rainer Werner Fassbinder oder die Filme von Rainer Erler im ZDF, um nur einige zu nennen. Fernsehfilme, die in der Zukunft spielen, sind heute Ausnahmen. Wir – Manfred Hattendorf vom SWR und Martina Zoellner, die mittlerweile beim RBB arbeitet – haben nach neuen Wegen gesucht, um dieses Genre wiederzubeleben und elf Schriftsteller*innen um Kurzgeschichten gebeten, die von ihrem Blick auf die nähere Zukunft erzählen. Diese sind im Suhrkamp Verlag unter dem Titel „2029-Geschichten von morgen“ als Buch veröffentlicht worden. Drei davon wurden mittlerweile von uns verfilmt.

„Das Haus“, der Kinofilm mit Tobias Moretti, den die ARD in deutscher TV-Erstausstrahlung zeigt, führt vor, wie eine bedrohliche Technik in die heimische Lebenswelt eindringt. Da kann von Zukunftsoptimismus keine Rede mehr sein. Für den ARD-Fernsehfilm heißt das: Die Zukunft ist dystopisch, mindestens. Fordern Sie die Autorinnen und Autoren zu solchem Pessimismus heraus oder werden Ihnen nur solche Sichtweisen angeboten?
Nein. Zukunftspessimismus war keine Vorgabe, Zukunftsoptimismus aber auch nicht. Die Autor*innen hatten eine Carte blanche und völlige Freiheit beim Schreiben. Die Vorgaben bestanden lediglich darin, in Form einer Kurzgeschichte von der näheren Zukunft zu erzählen, in einer passenden regionalen Verortung, und dass es am Ende finanzierbar sein sollte. Eine Dystopie wie „Das Haus“ ist als Albtraum natürlich immer nur eine Möglichkeit, von der Zukunft zu erzählen. „Ich bin dein Mensch“ macht dies auf eine ganz andere Art und Weise.

Der Film „Das Haus“, der auf einer Kurzgeschichte von Dirk Kurbjuweit beruht, prognostiziert eine Machtübernahme durch Rechtspopulisten, das Ende der Demokratie, den Beginn des bewaffneten Widerstandes, zudem das Regime entfesselter KI. Ein bisschen viel Übel auf einmal, oder?
Von einer möglichen Zukunft zu erzählen, ist nicht gleichbedeutend damit, diese zu prognostizieren. Dirk Kurbjuweit hat eine ganze Reihe von Tendenzen, Entwicklungen und Gefahren des letzten Jahrzehnts verdichtet. Auszuschließen ist ein solches Szenario in der Zukunft bestimmt nicht.

Christian Granderath leitet die Abteilung Fernsehfilm, Spielfilm und Theater im NDR

© NDR

Helfen uns Algorithmen oder entmündigen sie uns?
Wenn man das einfach nur mit Ja oder Nein beantworten könnte, hätten wir den Film nicht gemacht. Natürlich gibt es zahlreiche Entwicklungen, bei denen Algorithmen Komfort und Lebensqualität ermöglichen und uns das Leben erleichtern. Navi-Systeme oder Fahrpläne, die mithilfe von KI gestaltet werden, der Algorithmus, der mir Produkte im Online-Handel vorschlägt – wenn mir das Produkt X gefällt, wird mir auch das Produkt Y gefallen –, können eine große Erleichterung sein. Oder der Kühlschrank, der selbstständig das Bier im Supermarkt bestellt, wenn es alle ist. Mit der Datensammelei und KI sind aber auch gravierende Gefahren verbunden – wenn KI weiß, was ich will, bevor ich es selber weiß. Der Mensch und sein Ich scheinen komplett kalkulier- und auslesbar, das ist ökonomisch hochinteressant und politisch gefährlich. In den falschen Händen wird das zum Gift für unser Leben und Zusammenleben, wie wir es kennen.

Für solche Stimmungen hat Dirk Kurbjuweit ein Ohr

„Das Haus“ spiegelt den inneren Kampf der Hauptfigur Johann Hellström, wem er noch vertrauen kann und wem nicht mehr. Nun ist der Journalist von Hause aus ein rationaler, faktengetriebener Mensch, ein Kämpfer zudem. Trotzdem kommt er an den Rand seiner Vernunft – und darüber hinaus. Sind die Zeiten so, dass Menschen wie ihm und uns der Boden unter den Füßen schwindet?
Es ist tatsächlich eine spannende Zeit mit vielen Umbrüchen. Das löst starke Ängste aus. Die Welt, wie wir sie kennen, gerät für manche aus den Fugen und tatsächlich ins Wanken. Der von Tobias Moretti gespielte Johann Hellström hat damit zu kämpfen. „Spiegel“-Journalist Dirk Kurbjuweit wollte in seiner Kurzgeschichte über ihn auch das spiegeln, was er im Land wahrgenommen hat. Für solche Stimmungen hat er ein Ohr. Ich erinnere mich immer noch an eine großartige Reportage von ihm – „Lucky zieht in den Krieg“ über den Bundeswehreinsatz in Somalia vor vielen Jahren. Lange vor Afghanistan hatte er das Sensorium dafür, was bis heute nicht komplett im Bewusstsein der deutschen Gesellschaft angekommen ist.

Die Dreharbeiten mussten pandemiebedingt unterbrochen werden. Drängt sich da nicht das Gefühl auf, es sollte besser ein Film über Corona als über künstliche Intelligenz produziert werden?
Das kam uns schon zeitweilig aberwitzig und ein bisschen irre vor. Es gab ja in der Vergangenheit immer wieder Filme wie „Outbreak“ von Wolfgang Petersen oder „Contagious“ von Steven Soderbergh und viele andere über den Ausbruch von Pandemien. Daran sieht man, wie manche Zukunftsszenarien Wirklichkeit werden können. Wir haben uns aber ganz bewusst für eine Geschichte entschieden, die nicht von den biologischen, sondern den technischen Risiken in der näheren Zukunft erzählt.

Noch mal zur Zukunft: Die ARD wird ihre Programmleistungen ins Erste Programm und in die Mediathek aufteilen, aufteilen müssen. Ich fürchte, dass so komplexe und schwierige Geschichten wie „Das Haus“ in die Mediathek geschoben werden, umgekehrt das Publikum des Ersten in „Roten Rosen“ gebadet wird. Was fürchten Sie?
Dass Bayern München wieder Meister und die Bundesliga noch ein Stückchen langweiliger wird. Die ARD-Mediathek ist eine große Chance für uns, aber komplex und schwierig wird man auch zukünftig im linearen TV erzählen müssen, das gehört zum öffentlich-rechtlichen Auftrag. Die „Roten Rosen“ haben im Übrigen ebenso ihre Berechtigung wie „Das Haus“, das von uns im linearen TV um 20 Uhr 15 gezeigt wird, ebenso wie „Ich bin Dein Mensch“ eine Woche später. Diesen Zukunftspessimismus teile ich daher nicht.

Bertolt Brecht hat gesagt: „Das Schicksal des Menschen ist der Mensch.“ Das ist unverändert richtig oder ein Satz von gestern?
Natürlich stimmt der Brecht-Satz immer noch, in jeder Hinsicht. Aber ob der Satz so uneingeschränkt auch noch morgen oder übermorgen gilt – ich weiß nicht, ob ich darauf eine hohe Wette abschließen würde.

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