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Vermitteltes Grauen. Larossi Abballa, der Mörder eines Polizisten und seiner Frau in Paris, filmte seine Geiselnahme mit und loggte sich dafür bei Facebook ein.

© AFP

Terror im Livestream: Die Inszenierungsmaschine

Mord und Terror im Live-Video: Wie Twitter, Facebook und die klassischen Medien damit umgehen - und warum eine Änderung des Pressekodex sinnvoll sein könnte.

Der Livestream aus dem Smartphone des Polizistenmörders von Paris bei Facebook vor ein paar Tagen – viel besser lässt sich ein Terroranschlag nicht als Medienereignis inszenieren. Ist das Anfang oder Ende einer Entwicklung, die mit der Etablierung von Echtzeitmedien wie Periscope, auch bei klassischen Medien, begann? Und was heißt das überhaupt noch: klassische Medien? Mehr als die Hälfte aller Internetnutzer beziehen Nachrichten bei Facebook und Co., rund ein Viertel der 18- bis 24-Jährigen nennen einer Reuters-Studie zufolge Social Media als ihre primäre Nachrichtenquelle, noch vor dem Fernsehen. Den Täter-Livestream einer etwaigen weiteren Inszenierung des Terrors könnten viele schon zu Gesicht bekommen haben, bevor die Maschinerie der traditionellen Medien angelaufen ist. Auch dort taucht das Video auf. Es werden Stimmen laut, die auf schärfere Regeln und eine Überarbeitung des Pressekodex drängen.

Das Thema ist nicht neu: Seit dem 11. September 2001, den Flugzeug-Einschlägen ins World Trade Center, wird Terror immer wieder zum Medienereignis. Die sozialen Medien verändern die Dynamik dieses Prozesses: Opfer, Zeugen (Handyvideos und Flickr-Fotos) und nun auch Täter produzieren Livebilder von Anschlägen. Facebook mit Facebook Live und Twitter mit dem Livestreaming-Dienst Periscope müssen sich Fragen gefallen lassen, ob und wie sie auf die mörderische Livepropaganda reagieren.

Larossi Abballa, der Mörder eines Polizisten und seiner Frau, filmte seine Geiselnahme in Paris mit, loggte sich bei Facebook ein und stellte die von ihm kommentierten Aufnahmen 13 Minuten lang live ins Internet. Immerhin, sein Facebook-Konto wurde sofort gesperrt – nicht nur, aber auch weil Abballa in dem Video zu der Ermordung von Ordnungshütern sowie Rappern, Politikern und namentlich genannter Journalisten und Gefängniswärter aufforderte.

Facebook reagierte auf das Abballa-Video prompt: „Terroristen und Terrorakte haben keinen Platz auf Facebook. Sobald terroristische Inhalte von den Menschen auf Facebook gemeldet werden, entfernen wir diese unverzüglich. Wir ermutigen unsere User, solche Fälle sofort zu melden – ohne zu warten, bis das Video zu Ende spielt. In akuten Situationen kann das auch heißen, dass wir den Live-Stream unterbrechen“, teilte Facebook auf Anfrage des Tagesspiegels mit. Über Facebook Live werden weltweit mehr als 1,6 Milliarden Menschen direkt im News Feed erreicht – mobil und auf dem Desktop. Der DFB überträgt regelmäßig EM-Trainingseinheiten aus Evian live auf Facebook. Live-Übertragungen werden regelmäßig geprüft, falls sie ein bestimmtes Maß an Popularität erreichen. „Sollte in diesen Sendungen ein Verstoß gegen unsere Community-Standards festzustellen sein, ergreifen wir umgehend Maßnahmen – beispielsweise eine sofortige Unterbrechung des Live-Streams“, teilte das Netzwerk mit.

Auch für den Kurznachrichtendienst Twitter, der mit Periscope ein Echtzeitmedium für Videoübertragungen integriert hat, sind solche Videos ein Problem. „Wir verurteilen die Nutzung von Twitter zur Förderung des Terrorismus. Die Twitter-Regeln sagen ganz klar, dass diese Art von Verhalten oder jede Gewaltandrohung bei Twitter nicht erlaubt sind“, sagt ein Twitter-Sprecher. Allein seit Mitte 2015 habe Twitter mehr als 125 000 Konten suspendiert, die Terrorakte angedroht oder unterstützt haben. „In erster Linie standen diese in Verbindung mit Isis“.

Außerdem seien den Nutzern von Twitter gewalttätige Drohungen oder Aufforderungen zur Gewalt gegen andere untersagt, einschließlich Drohungen oder Aufforderungen zu Terrorismus. „Grundsätzlich soll Periscope offen und sicher sein. Um diesen Zustand der Plattform zu gewährleisten, sind bestimmte grafische Inhalte nicht erlaubt.“ Dazu zählten unter anderem Darstellungen von Kindesmissbrauch, Tiermissbrauch oder Körperverletzung. „Periscope ist keine Plattform für Inhalte, die zu Gewalt aufrufen oder eine unmittelbare und spezifische Gewaltandrohung gegen andere darstellen.“

Bild.de nutze „Video-Material zu Terroranschlägen und von terroristischen Gruppen, egal aus welcher Quelle, nur nach ausführlicher Prüfung und nur dann, wenn es nach unserer Einschätzung von hoher journalistischer Relevanz ist, zum Beispiel, wenn es Hintergründe, Motivation oder Ablauf des Anschlags deutlich macht“, sagt Julian Reichelt, Chefredakteur Bild Digital.

"Für ein paar Minuten ein Held"

Live-Videos wie Periscope auf Twitter oder Facebook Live haben eine enorme Außenwirkung, weiß auch Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF. Ein Attentäter wie Abballa wolle damit Stärke demonstrieren und seine Anhänger versammeln. Zugleich versuche er damit auch ein Gefühl der Anerkennung zu bekommen. „In der islamistischen Szene wird er für ein paar Minuten zum Helden“, erklärt Theveßen, der zugleich der Terrorismusexperte seines Senders ist, den Reiz dieser Videos für solche Täter.

Zugleich sind Live-Videos aber auch für die Medien attraktiv. „Durch die Eventisierung steigt die Nachfrage nach solchen Videos massiv, mögen sie auch noch so skurril und grausam sein.“ Der Umgang der Medien mit solchen Bildern unterscheidet sich in den einzelnen Ländern. Insgesamt jedoch gilt: Durch die technische Entwicklung steht immer mehr Material zur Verfügung, von terroristischen Videos, Live-Medien von militärischen Aktionen oder Unfallszenen, die von Gaffern aufgenommen werden. „Die Gefahr, dass Grenzen fallen, ist sehr groß“, fürchtet der ZDF-Journalist.

Das Live-Video des Polizistenmörders von Magnanville war einer der ersten Fälle, in denen ein Fernsehsender wie das ZDF entscheiden musste, ob Material wie dieses nach journalistischen Kriterien in den Nachrichten Verwendung finden kann. Das ZDF zeigte eine kurze Sequenz aus dem Abballa-Video, „aber nicht live und ohne ihn etwas sagen zu lassen“, wie Theveßen betont.

Für den Terrorismusexperten wäre eine Diskussion über allgemeine Regeln im Umgang mit Live-Medien angebracht – in Form von Selbstverpflichtungen und nicht durch Gesetze. „Eine Überarbeitung des Pressekodex fände ich gut“, sagt Theveßen und plädiert für einen Medienkodex, dem sich neben den Printmedien auch öffentlich-rechtliche und kommerzielle Sender anschließen könnten. Zumindest in Deutschland könnten uns dadurch möglicherweise weitere Terror-Livevideos erspart bleiben.

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