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Iwan Sassurski ist Direktor des Instituts für neue Medien und Kommunikationstheorie an der Lomonossow-Universität Moskau und gilt als Netz-Experte.

© privat

Interview mit russischem Netzexperten: „Die Regierung hat das Potenzial des Internets unterschätzt“

Iwan Sassourski über Twitter, Unruhen und die Logik der Geheimdienstler

Manche vergleichen die Ereignisse in Russland schon mit der „Twitter-Revolution" in Ägypten. Was halten Sie davon?
Es gibt in Russland keine Revolution, nicht einmal einen Aufstand. Unruhen ist wohl das passende Wort.

In welcher Weise versuchen die russischen Behörden, im Internet Einfluss zu gewinnen?
Sie suchen nach Möglichkeiten, das Internet zu kontrollieren. Zum Beispiel bat der russische Inlandsgeheimdienst FSB Pawel Durow, den Besitzer von Vkontakte, in einem Brief, oppositionelle Gruppen zu schließen. Er hat sich geweigert, weil dies seiner Konkurrenzfähigkeit gegenüber Facebook geschadet hätte.

In den letzten Wochen kommt es vermehrt zu Hacker-Angriffen auf russische Internetseiten, Twitter usw. Wer steht dahinter?
Die Quelle des Unbehagens zu unterdrücken – das ist Repressionslogik, die Logik der Geheimdienstler. Die echten Auftraggeber und Ausführenden dieser Attacken zu finden ist schwierig. Aber offensichtlich ist, dass das vor allem oppositionelle Seiten betrifft, vor allem das Livejournal.

Hat das Regime das Internet unterschätzt?
Sie haben das Mobilisierungspotenzial der neuen Technologien unterschätzt, und die Verhaltensveränderung der Bürger: Sie haben ihre Rolle des passiven Fernsehzuschauers abgelegt. Das Internetpublikum ist aktiver geworden: Sie wollen nicht mehr zuschauen, sondern teilnehmen.

Warum sind die russischen Internetnutzer, deren Aktivitäten früher auf Bloggen und Kommentieren beschränkt waren, jetzt auf die Straße gegangen?
Weil das Regime so tut, als gebe es sie nicht. Die Logik des Internets zwingt den Menschen dazu, in solchen Momenten seine Meinung zu sagen, das Vakuum zu füllen. Deshalb kommentieren die Menschen massenhaft Artikel. Und deshalb sind sie jetzt auf die Straße gegangen: Damit haben sie hunderttausendfach die Wahlen kommentiert.

Drohen dem russischen Internet Einschränkungen wie in China oder Weißrussland? Solche Vorschläge gab es zuletzt aus dem Innenministerium.
Wie man die Freiheit des Internet einschränken kann, darüber zerbrechen sich viele den Kopf. Aber man müsste Facebook, Twitter und das Livejournal sperren. Gleichzeitig würde das keine große Atempause geben, höchstens bis zu den Präsidentschaftswahlen. Wenn die Behörden das tun, wird Russland tatsächlich in einer ähnlichen Situation sein wie Weißrussland oder China.

Das Gespräch führte Moritz Gathmann.

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