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Sportjournalist Michael Dittrich: Ein bisschen Hoffnung

Michael Dittrich ist durch eine Nervenerkrankung bewegungsunfähig. Trotzdem arbeitet er unverdrossen als Sportjournalist beim SWR.

Baden-Baden, Heiligensteinstraße: Michael Dittrich steht auf dem Türschild. Darunter der Klingelknopf. Es ist ein seltsames Gefühl, bei jemandem zu klingeln, der einem nicht öffnen kann. Michael Dittrich, 57, ist Sportjournalist beim Südwestrundfunk (SWR). Davon gibt es einige, aber keinen, der den Job macht ohne seine Arme oder Beine bewegen zu können. Nicht mal den Kopf kann er von alleine halten – und das Allerschlimmste: Die Krankheit ist nicht bestimmt, der Feind hat keinen Namen.

Auf das Klingeln hin öffnet ein Pfleger. Der Mann aus Polen lächelt: „Follow me“. Sekunden später, im Arbeitszimmer, weicht der Magendruck einem Lächeln. „Hast dich nicht verändert“, sagt Michael Dittrich zur Begrüßung. Wir kennen uns aus einem Volontärskurs vor knapp 30 Jahren, haben uns seither aber nicht mehr gesehen. Dann fügt er hinzu. „Ich eigentlich auch nicht.“ Und dann lacht er. Aber nicht bitter – und dem kann man sich nicht entziehen.

Michael Dittrich liegt in einem Pflegebett, immer leicht auf der Seite, um den Rücken zu entlasten. Einst hat der Mann Sendungen wie „Sport unter der Lupe“ oder sonntags „Sport im Dritten“ moderiert. Ein sportlicher Typ, der, bevor er über Triathlon berichtete, sich zur Anschauung selbst einen gönnte. Heute produziert er preisgekrönte Filme und schreibt Bücher. Ein echter Schaffer und ein Genussmensch. Aber vor allem ein Sportjournalist mit Leib und Seele.

Die Seele glüht immer noch für den Job, aber der Leib ist ihm abhanden gekommen. Langsam, stetig – und ziemlich grausam. 1993 begannen die Beschwerden. „Es war wie Muskelkater, der einfach nicht mehr weggehen wollte“, erinnert er sich. Dazu kam Schwindel. Es war unangenehm, aber für Dittrich kein Grund zur Panik. Aber es wurde schlimmer. Urplötzlich versagten ihm die Beine, Dittrich stürzte immer wieder. Anfangs kam der 1,93 Meter große Mann alleine wieder hoch, später musste er sich helfen lassen. Viele Ärzte untersuchten ihn, aber so richtig schlau wurden sie nicht. Bis heute nicht. Fakt ist – Dittrich leidet an einer chronischen Entzündung des Zentralen Nervensystems, die ihn mehr und mehr die Kontrolle über seine Muskulatur hat verlieren lassen. Es sei eine Art von Multipler Sklerose, sagen die Ärzte, genauer lässt es sich nicht fassen. Was die Experten aber zu wissen glauben – eine Therapie gibt es nicht, eine Prognose, wie die Krankheit weiter verläuft, auch nicht.

Ein typischer Dittrich: Nicht aufgeben, immer weiter kämpfen

Bei Michael Dittrich führte der Nervenuntergang zunächst in den Rollstuhl – und 2006 schließlich zum völligen Kontrollverlust über seine Arme und Beine. „Ich lass aber den Kopf nicht hängen – obwohl er hängt“, sagt er und grinst. Ein typischer Dittrich. Nicht aufgeben, immer weiter kämpfen. Was ihm dabei hilft, ist die Hoffnung. Die hat er immer noch, obwohl ihm alle Medizin der Welt und alle erdenklichen alternativen Methoden bis hin zum Geistheiler bisher nicht helfen konnten. Jetzt setzt er darauf, dass seine zerstörten Myelinscheiden, die die Nerven umgeben, einmal repariert werden können. Das ist Zukunftsmusik, aber es wird geforscht. Aktuell hofft er darauf, wieder ein kleines bisschen die Hände bewegen können. „Das wäre das Größte für mich“, sagt er. Dafür kämpft er.

Und lebt. Es ist schon ein brutaler Kontrast. Ein Mann, unfähig, sich selbst die juckende Nase zu kratzen, arbeitet unverdrossen weiter, dreht mit seinem Team Filme, macht sich jetzt schon Gedanken über Rio 2016. Möglich wird seine Arbeit durch moderne Technik, durch sein Team und auch durch den SWR, der seinen zu 50 Prozent verrenteten Angestellten so gut wie möglich unterstützt.

Arbeit als Flucht? Dittrich sieht es nicht so. Die Lust am Journalismus sei ungebrochen. Zusammen sehen wir den Fernsehfilm „Reine Nervensache“, der am Sonntagabend im SWR-Fernsehen läuft. 90 Minuten von ihm über ihn. Und auch die Sportszene vergisst ihn nicht. Im Film sieht man, wie IOC-Chef Thomas Bach Dittrich im Rollstuhl durch Baden-Baden schiebt.

Der Film löst vieles aus, vor allem aber das Gefühl, wie lächerlich das eigene Klagen über einen Schnupfen doch ist. Es gibt Menschen, die auch ein hartes Schicksal nicht in Verzweiflung stürzt und die sich ihren Humor bewahren. Das gibt auch anderen Mut, denen es gesundheitlich nicht gut geht. „Wenn das gelingt“, sagt er, „wäre das schön.“ Wer den Film sieht, weiß: Es ist gelungen.

„Reine Nervensache“, SWR, Sonntag, 22 Uhr 30

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