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Im fremden Revier. Offiziell sind Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und seine Kollegin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) gar nicht zuständig. Foto: NDR

© NDR/Boris Laewen

"Tatort" mit Wotan Wilke Möhring: Friesisch herb

Es ist der zweite "Tatort"-Einsatz für Wotan Wilke Möhring. Als Kommissar Falke stolpert er über einen Mord auf Langeoog.

Wir sahen ihn schon unerbittlich ziehen auf dem Weg zu dem, was Männer so Freiheit nennen und was nichts als Einsamkeit ist, in das Reich enttäuschter Illusionen, beginnender Schrullitis und mürrischer Reserve gegenüber aller Weiblichkeit. Wotan Wilke Möhring hatte im Frühling mit „Feuerteufel“ kurz nach Till Schweiger „Tatort“-Premiere und sollte baller-und testosteronreduzierter als der tobende Till die verwaiste Protagonistenrolle des männlichen Problembären übernehmen, der mit schwarzer Katze in karger Großstadtwohnung aus der Zeit fällt. Falke wurde Möhring denn auch in seiner Rolle getauft, was nach Hopper, Bogart und Whiskey schmecken soll.

Wotan Wilke Möhrings Start beim Tatort war kumpelhaft

Kreiert wurde einer, der nicht begreift, dass die Macho-Matches der U-40-Liga – emphatisch Zeit der Männerfreundschaft genannt – einmal abgepfiffen werden. Familie ante portas. In der „Feuerteufel“-Premiere regte sich Thorsten Falke tierisch darüber auf, dass sein bester Freund Jan (Sebastian Schipper) für Familie und Frau (Laura Tonke) von der Straßenfahndung in den Innendienst getürmt ist und man ihm, dem plötzlich Vereinsamten, eine Praktikantin (Petra Schmidt-Schaller) an die Seite gestellt hat, die er wegen der Untreue unter Männern mit erotischer Distanz bestraft.

Ach, dachte der Zuschauer, war das vielleicht die Wiedergeburt eines neuen Felmy-Haferkamps oder eines Schimanskis, irgendwo zwischen Melancholie und Parka? Eines neuen letzten Ritters des kriminalistischen Männerordens, mit Hänschen und Thanner und König Alkohol im ewigen Bunde?

Im zweiten Fall nervt die Familie

Wohl eher nicht. Wenn Falke an diesem Sonntag in seinem zweiten „Tatort“ die Insel Langeoog betritt und sich zu Anfang freut, mal nicht die Hundescheiße von St. Pauli unterm Fuß zu haben, sondern bei Freund Jan zu urlauben, Fische zu filetieren und alte Lieder zu klampfen, dann währt das Glück über die wiedergefundene Kumpelherrlichkeit nur kurz. Jans Familie nervt, da mag der Wind noch so friesisch herb über das Dünengras blasen.

Der jüngere Bruder von Jans Partnerin, Florian (Leonhard Carow), der mit im Haus des Freundes lebt, tickt aus. Verzweiflung macht den Jüngling schwierig, und der Grund ist schnell heraus: Die zerstochene Leiche einer Inselbewohnerin wird in den Dünen gefunden, der sensible Florian sogleich verdächtigt. Wer so wie er wie ein offenes Messer über Düne und Dorf rast, von dem man weiß, dass er durch den Unfalltod seiner Eltern traumatisiert ist, muss Böses getan haben. Schließlich hatte Florian mit der Toten mehr als bloß flüchtigen Kontakt.

Ex-Straßenbulle Jan verpflichtet seinen bei ihm ausspannenden Freund Falke, die Unschuld des Schwagers zu beweisen, die Frau will das auch. Schluss mit Chillen, die Straßenscheiße von St. Pauli hat den ewigen Nighthawk Falke wieder, nur besteht sie aus Dünensand, abweisender Inselmentalität und wachsendem Verdacht, dass der Junge schuldig ist.

In diesem Tatort ist kein Platz für Wehleidigkeit

Regisseur Stefan Kornatz, der mit Max Eipp das Drehbuch schrieb, vollzieht an dieser Stelle eine überraschende Gewichtsverlagerung der Handlung. Der Film verlässt den romantischen Männerfreundschaftsverehrer Falke, wartet nicht ab, bis der sich zum Täter vorarbeitet, sondern holt die Weiber. Die Frauen übernehmen ziemlich unvermittelt das Kommando. In diesem „Tatort“ ist auf einmal kein Platz mehr für männliche Wehleidigkeit und Gefühlsarien. Es trappst erfrischend. Weiblichkeitsklischee, ick hör’ dir wanken.

Es ist wie die fulminante Ankunft einer gestrengen Beamtenkönigin, wenn die Leiterin der Auricher Mordkommission in Gestalt von Nina Kunzendorf das Eiland betritt. Sie lässt, selber schwarz vermummt, das weiß gekleidete Ermittlungsteam nach ihrer Choreografie in den Dünen tanzen. Sie gibt freundlich, aber bestimmt dem mit seinem Dienstausweis fuchtelnden Hamburger Kollegen zu verstehen, dass sie von Amts wegen zuständig ist und dass hinfort nur ihre kriminalistische Vernunft regieren wird und nicht irgendein Bauch voll männlicher Gefühlsverpflichtungen.

Wie sich Falke der weiblichen Oberherrschaft fügt und sogar hinnimmt, dass seine Hamburger Untergebene Katharina nach Langeoog aufbricht, ist dem Film plötzlich nicht mehr zentral wichtig. Der glaubhafte Magnetismus des Falls setzt sich szenisch gegen Mann-Frau-Reflexionen in Ermittlermachtspielen durch.

Kommissar Falkes Vorurteile werden bestätigt

Die Leiden des jungen Florian entpuppen sich nämlich als tragische Liebesgeschichte zwischen einem hingebungsvollen Jüngling und einer ausbeuterischen reifen Künstlerin. Der „Tatort“-Film erzählt das in dankenswert präzisen Andeutungen. Die Amour fou, zu deren Ritualen das Spiel mit dem Tod gehört, wird hier ohne alle splattergeile Nekrophilie rekonstruiert. Der Kommissar Falke könnte sich an dieser Stelle in seinen Vorurteilen gegenüber Frauen und schutzbedürftigen Männern bestätigt fühlen, aber er sagt gar nichts mehr, seit er gebannt verfolgt, was da alles im kollegialen Zusammenspiel ans Licht kommt.

Die Nordseewellen tricksen mit immer neuen Verwirrungen an den Strand. Der arme Florian stürzt sich von der Fähre ins Meer. K.-o.-Tropfen werden dingfest gemacht, die Vergangenheit holt die Gegenwart ein, der Krimi entfaltet routiniert und mit viel Gefühl für Proportion die Mechanik des Genres.

Besonderes Lob verdient die Beschwörung der Langeooger Natur. Bernhard Keller (Bildgestaltung) ertränkt den Film nicht in der Erhabenheit der anrauschenden Wellen, sondern fängt in der milchigen Helligkeit eines stets bedeckten Nordseehimmels etwas von den ganz undämonischen Geheimnissen der Geschichte ein. Kühl erscheint die Inselwelt. Trotzdem müssen sich die männerfreundschaftsbeseelten Kumpel am Ende abkühlen. Nackt stürmen die reifen Knaben der eisigen Ostsee entgegen. Jans Frau steht wohlwollend am Ufer.

Baden bleibt erlaubt.

„Tatort: Mord auf Langeoog“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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