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Schön weit auseinander - sowohl die Sessel als auch die Positionen. Anne Will und Gäste am 15. Mai.

© Wolfgang Borrs/NDR/dpa

Informationsauftrag kollidiert mit Schlafbedürfnis: Das grundlegende Problem der Polit-Talkshows

In TV-Talkshows wird Politik hautnah erfahrbar gemacht. Doch durch die späte Sendezeit werden Millionen Menschen davon ausgeschlossen. Ein Kommentar.

Ein erwachsener Mensch braucht des Nachts 7 bis 8 Stunden Schlaf, manche mehr, manche weniger. Das ist ein Durchschnittswert. Wer in einer Familie mit schulpflichtigen Kindern lebt, deren Unterricht um 8 Uhr beginnt, muss gegen 6 Uhr aufstehen. Warten, bis das Badezimmer frei ist, frühstücken, Schulweg - das dauert.

Der Arbeitsbeginn wiederum ist oft früher. Im Baugewerbe liegt er bei 7 Uhr, im Handwerk ebenfalls, Müllwerker fangen oft um 6 Uhr an. Im Berufsverkehr sind die Straßen zwischen 7 und 8 Uhr am vollsten. Das deckt sich mit den Erfahrungen in Öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch das sind alles Durchschnittswerte.

Wer um 6 Uhr morgens aufsteht und mindestens 7 Stunden lang geschlafen haben will, muss spätestens um 23 Uhr einschlafen. Also nicht erst sich fertig machen und ins Bett gehen, sondern bereits schlafen. Das ist Alltag in Millionen Haushalten in Deutschland.

Sie sollen Orientierung geben in einer komplexen Welt

Nun ein Blick in die Anfangszeiten der Polit-Talkshows der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender: Anne Will beginnt in der Regel um 21 Uhr 45 und endet um 22 Uhr 45, Markus Lanz beginnt um 23 Uhr, Sandra Maischberger beginnt um 22 Uhr 45 und endet um Mitternacht, Frank Plasberg (hart aber fair) beginnt um 21 Uhr und endet um 22 Uhr 15, Maybrit Illner beginnt um 22 Uhr 15 und endet um 23 Uhr 15.

Das heißt, dass Millionen Menschen, die hart arbeiten und ausreichend lange schlafen wollen, von den meisten Polit-Talks der Öffentlich-Rechtlichen ausgeschlossen sind.

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Ihrem Selbstverständnis nach sollen solche Debattenformate die Zuschauer mit Informationen versorgen, ihnen Orientierung geben und sie somit befähigen, sich in einer komplexen Welt besser zurechtzufinden. Wo sonst wird Politik derart hautnah erfahrbar gemacht? Wo sonst können die Argumente ihrer Repräsentanten derart ungefiltert geprüft, gewogen, widerlegt werden?

Welche Nutzer haben die Programm-Verantwortlichen im Blick?

Dass viele Polit-Talkshows am nächsten Morgen auf Online-Portalen rezensiert werden, zeigt, dass in ihnen Diskussionen ausgelöst und unabhängig von ihnen weitergeführt werden. Schon deshalb tröstet der Verweis auf Mediatheken nicht. Um am Marktplatz-Meinungsvielfalts-Getöse teilzuhaben, muss am Ereignis selbst teilgenommen worden sein.

Wen haben die TV-Programm-Verantwortlichen mit so späten Sendezeiten als Nutzer im Blick – Studenten, Freischaffende, Singles? Gehen sie davon aus, dass die „Normalos“ sich für Politik ohnehin nicht sonderlich interessieren? Wer den Informations- und Orientierungsauftrag ernst nimmt, sollte diesen Verdacht durch frühere Sendezeiten entkräften.

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