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Magazine im Netz: Mehr Distanz, mehr Nähe

Wo Spiegel Online draufsteht, steckt künftig weniger „Spiegel“ drin - zumindest, was die Anzahl der Texte angeht. Doch nicht nur das Nachrichtenmagazin aus Hamburg justiert derzeit seine Web-Strategie neu.

Es fängt schon beim Aufzug an. Die Redakteure des „Spiegel“ müssen spätestens im 12. Stock aussteigen, die Redakteure von Spiegel Online dürfen weiterfahren, bis ganz nach oben in den 13. Stock. Im November wurde das neue „Spiegel“-Gebäude an der Ericusspitze 1 in Hamburg eröffnet, die beiden vorher räumlich getrennten Redaktionen von Print und Online sind unter einem Dach vereint. Online sitzt jetzt über Print. Die Sicht mancher „Spiegel“-Redakteure auf die Arbeit der Online-Kollegen soll sich nicht gerade verbessert haben, ist aus dem Verlag zu hören. Und das liege nicht nur am Aufzug.

Die Verkaufszahlen des „Spiegel“ sinken. Schon bald könnte das Magazin im Einzelverkauf erstmals unter die 300 000-Marke rutschen, derzeit sind es noch rund 311 000 Exemplare (IVW, 4. Quartal 2011), dazu werden per Abonnement etwa 449 000 Stück verkauft. Insgesamt liegt die verkaufte Auflage damit bei rund 928 000 Exemplaren. Seit 2010 wurde die Millionenmarke nicht mehr überschritten. Mit Nutzwert-Titeln à la „Focus“ versucht der „Spiegel“ dagegenzuhalten. „Hilfe für das Herz“, heißt es in der aktuellen Ausgabe, im Februar erschien der Burn-out-Titel „Die gestresste Seele“, im Januar „Die Vitamin-Lüge“ und „Lebenskunst Optimismus“. Doch den Grund für das Auflagenminus glaubt mancher Mitarbeiter im eigenen Haus zu finden: Spiegel Online. Auf der Website würden die Print-Texte einfach verschenkt, viele Leser würden deshalb nicht mehr das Heft kaufen, befürchten sie.

Dabei werden im Laufe der Woche keineswegs alle Stücke aus dem „Spiegel“ online gestellt – sondern lediglich drei. Die Texte sollen als eine Art Appetizer dienen, die Online-Leser an die gedruckte Ausgabe heranführen. Doch in der Trennbarkeit liegt ein Problem: trotz besonderer Kennzeichnung wissen viele Leser nicht zu unterscheiden, welche Texte nun aus dem „Spiegel“ kommen und welche Online-Artikel sind. Wer gefragt wird, ob er den „Spiegel“ lese, sagt Ja – und meint damit oft die Website.

Deshalb soll die Online-Strategie des „Spiegel“ jetzt neu justiert werden. Aus dem Heft sollen künftig kaum noch Stücke auf der Website erscheinen. Wo Spiegel Online draufsteht, steckt damit weniger „Spiegel“ drin – zumindest, was die Anzahl der Texte betrifft. Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron begründet diese Strategie allerdings nicht mit verhärteten Fronten zwischen Print und Online, sondern mit der digitalen Ausgabe des „Spiegel“. 33 000 Mal werde sie pro Woche verkauft. „Dieses Produkt wollen wir weiter fördern und werden deshalb eher noch zurückhaltender mit der freien Verbreitung von Print-Artikeln sein“, sagt Blumencron.

Gerechnet wird anscheinend so: Sind „Spiegel“-Texte kostenlos auf Spiegel Online zu lesen, nimmt die Zahlungsbereitschaft für die Print- und die digitale Ausgabe ab. Doch ob eine Gütertrennung sowohl die Leserzahlen von Print als auch Online steigen lässt, ist die Frage.

Die „Zeit“ zeigt, dass Online und Print sehr wohl gemeinsam wachsen können. Zwei Drittel aller Texte aus der jeweils aktuellen Ausgabe werden nach Angaben von Verlagschef Rainer Esser im Laufe der Woche auf Zeit Online veröffentlicht. Sowohl die Nutzerzahlen der Website als auch die Verkaufszahlen der Wochenzeitung steigen, die Auflage ist auf fast 510 000 Exemplare angewachsen. Diese Entwicklung „entkräftet das Kannibalisierungsargument“, sagt Esser. Nicht weniger, wie beim „Spiegel“, sondern mehr Texte aus der Print-Ausgabe sollen deshalb künftig auf Zeit Online veröffentlicht werden.

Auch der „Focus“ setzt auf eine engere Verzahnung mit Focus Online. Seit knapp zwei Monaten wird im Heft auf das Online-„Thema der Woche“ hingewiesen. Die jeweils aktuelle Ausgabe des „Focus“ wiederum ist auf der Website nicht mehr nur bis Mittwoch, sondern bis Donnerstag präsent. Auch mit mehr Print-Texten online soll die Marke „Focus“ gestärkt und gegen einen weiteren Rückgang der Auflage, die derzeit bei rund 558 000 Exemplaren liegt, angegangen werden.

Der „Stern“ legt sich dagegen nicht fest, wie viele Texte pro Woche auf Stern.de veröffentlicht werden. „Von Zählreimen, wie viele Heftstücke online erscheinen dürfen, halten wir nichts. Es kommt auf den Inhalt an“, sagt Frank Thomsen, Chefredakteur von Stern.de. Je nach Thema würde entschieden, ob es exklusiv im Heft bleibt oder auf der Website weiter verfolgt wird. Genauso könne ein Thema von Stern.de später im „Stern“, dessen verkaufte Auflage bei derzeit wöchentlich rund 817 000 Stück liegt, weitergedreht werden. Täglich würden sich die beiden Redaktionen darüber abstimmen. Die Kernredaktion des „Stern“ sitzt im Verlagsgebäude von Gruner + Jahr übrigens über der von Stern.de.

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