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Shin Dong-hyuk hatte  Fluchtpläne verraten.

© WDR

Nordkorea: Totschläge, jeden Tag

Fronarbeit, Mangelernährung, Folter und Hinrichtungen: Die Dokumentation „Camp 14“ erzählt vom Schrecken, den ein Junge im nordkoreanischen Lager erlebt.

Im Alter von vier Jahren erlebt Shin zum ersten Mal, wie auf dem Lagerplatz ein Mensch hingerichtet wird. Mit vierzehn muss er mit ansehen, wie man seine Mutter und seinen Bruder aufhängt. Acht Jahre später gelingt ihm die Flucht aus diesem Lager in Nordkorea, seit 2006 lebt Shin Dong-hyuk, so sein vollständiger Name, nun in Seoul. Hier findet ihn Marc Wiese, dem Shin von all den Regisseuren, die ihn belagerten, am Ende das Vertrauen schenkte, gemeinsam einen Film zu machen. Zwei Jahre arbeiteten sie zusammen, sagt Wiese, eine Geduldsprobe für beide Seiten, an deren Ende der hervorragende, mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilm „Camp 14“ steht.

Fronarbeit, Mangelernährung, Folter und Hinrichtungen, meist wegen geringfügiger Verstöße gegen die „Regeln“ des Lagerlebens, sind die Werkzeuge der „Formatierung“ (Wiese) der Lagerinsassen zu Menschen, denen jede Empathie und wegen der Aussichtslosigkeit ihres Eingesperrtseins auch jeder Freiheitswille abhandengekommen sind und die nur eines noch wollen: so lange wie möglich zu überleben.

Stockende Berichte der Zeugen

Mit Animationsszenen in düsteren Farben veranschaulicht der Film die stockenden Berichte des Zeugen. Einmal wird nachgezeichnet, wie ein Lehrer – es gab primitiven Schulunterricht – ein Mädchen dafür bestrafte, dass es ein paar Weizenkörner am Wegrand aufgelesen hatte. Er schlug sie mit einem Stock stundenlang, immer auf den Kopf. Über dieses Totschlagen hat sich niemand aufgeregt, kommentiert Shin. Was der Lehrer tat, war völlig normal.

Selbst heute fällt es Shin schwer, sich schuldig zu fühlen, weil er nach dem zufällig mitgehörten Gespräch zwischen Mutter und Bruder über Flucht prompt zum Lehrer lief und sie damit dem Tod auslieferte. In gleicher Weise haben „wachsame“ Jungpioniere und Komsomolzen im Stalin’schen Russland ihre Eltern angezeigt. In totalitären Verhältnissen ist sich jeder der Nächste, weil „die Regeln“, als Ideologie verbrämt, auch die natürlichsten Bindungen zerstören.

Der Schauspieler August Diehl hat Shin einfühlsam synchronisiert, die Kamera nimmt sich Zeit für Shins Gesicht und seine kärgliche Behausung mit der Matratze auf dem nackten Betonfußboden. Es tut wohl, dass der Film auf einen Kommentar verzichtet und er nicht nur anklagt, sondern sich auch am inneren Drama dieses Menschen beteiligt, der sich bis heute, obwohl er inzwischen weit in der Welt auf Tagungen und Meetings herumgekommen ist, in der hypermodernen Großstadt fremd fühlt. Die Gedanken, die geheimen Sehnsüchte gehen, mag es wider alle Vernunft sein, zurück in die Lagerwelt, wo er mit klaren Regeln aufgewachsen ist und nicht einmal wusste, was Geld ist.

Weniger Probleme mit dem Leben im südkoreanischen Kapitalismus haben offenbar der ehemalige Kommandant eines anderen nordkoreanischen Lagers und ein früherer Geheimdienstler, die darüber, wie sie nach Seoul gekommen sind, nicht sprechen wollen. Der eine scheint tiefe Reue zu verspüren, der andere malt noch einmal die genossene Macht aus: „Das Leben eines Menschen war nicht mehr wert als das einer Fliege.“ In Anzug und Krawatte, zwei smarte Herren, scheinen sie keine Verfolgung zu fürchten. Könnten Shin und sie wohl miteinander reden? Nein, sagt Marc Wiese. Die Zeit für eine Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild ist für Nordkorea noch furchtbar weit entfernt.

„Camp 14: Total Control Zone“, Mittwoch, Arte, 20 Uhr 15

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