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Aha: Die gegenüber dem Fernsehprogramm geringere Dynamik des Werbespots führt durch die Trägheit des menschlichen Ohrs zu einer subjektiv lauteren Wahrnehmung. Foto: dpa

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Fernseh-Ärgernis: TV Hören und Drehen

Endlich: Die ARD will zum 1. Januar eine EBU-Richtlinie umsetzen und die Lautstärke der Werbung senken.

Samstagabend, 18 Uhr 30, „Sportschau“-Zeit. Füße hoch, ungestört im Ersten Fußball-Bundesliga gucken. Ungestört? Zweimal in 90 Minuten „Sportschau“ kommt Werbung, und nicht nur das, sie kommt auf lauten Füßen, lauter jedenfalls als vorher Moderator Reinhold Beckmann oder der „Sportschau“-Trailer. Ein Dauerärgernis für Fans, für Zuschauer des ARD- und ZDF-Vorabendprogramms überhaupt, die sich seit Jahren darüber aufregen, dass der Ton mit beginnender Werbung im Vergleich zum umgebenden Programm offenbar stets angehoben wird und man die Fernbedienung zum Tonabsenken griffbereit halten muss. Das soll sich nun Anfang 2012 ändern. Das Erste will die Grundlautstärke der Spots senken.

Der sogenannte „Spot-Effekt“, ein hausgemachtes Problem. Bisher gaben die Fernsehsender den Unternehmen vor, wie laut die lauteste Stelle ihres Spots sein darf. Die Werbefilme legen dann meist gleich in der höchsten Stufe los, und das, nachdem beispielsweise vorher in der Daily Soap „Verbotene Liebe“ zärtlich getuschelt wurde. Werbung soll ja knallen, Aufmerksamkeit erzielen. Künftig soll das Programm einen harmonischeren Geräuschpegel bekommen. Statt einer Spitzenlautstärke werde dann ein Durchschnittswert für Werbespots und andere Beiträge vorgegeben.

Die ARD-Werbetochter ARD-Werbung Sales & Services (AS&S) gibt als Startzeitpunkt den 1. Januar 2012 aus. Zum Jahreswechsel nimmt das ARD-Sendezentrum nur noch korrekt nach Lautheit gepegeltes Material entgegen, was für das gesamte Programm gelten soll. Beim ZDF und seinem ZDF Werbefernsehen steht der genaue Termin für den Wechsel als eines von mehreren Technikprojekten noch nicht fest. „Wir werden erst mal mit unseren Partnern aus der Werbewirtschaft sprechen“, sagt ZDF–Sprecher Walter Kehr.

Die AS&S verweist auf die neue Produktionsrichtlinie „EBU R-128“, die das Erste für Spots und Programm ab Januar anwenden und damit die „lautheitsnormierte Tonaussteuerung“ zum Einsatz bringen wird. Sie beruht auf einer europaweiten Einigung der öffentlich-rechtlichen Sender in der EBU, dem europäischen öffentlich-rechtlichen Netzwerk. Sie peilt an, dass auf lange Sicht das gesamte Programm in der Lautstärke harmonischer werden soll – im absoluten Verhältnis werden vor allem die Werbefilme leiser. Damit wollen die Sender endlich auf Zuschauerbeschwerden über die Lautstärke reagieren.

Ob ARD und ZDF damit auch auf die Bedürfnisse der Werber eingehen, steht auf einem anderen Blatt. Immerhin, der Frankfurter Vermarkter ARD-Werbung führt für Kunden und Agenturen – sie müssen bei der Spotproduktion umbauen – erste Erfahrungen an, wonach Fernsehwerbung, so angepasst, eher akzeptiert werde und sich die Beschwerden wegen zu lauter Werbung reduzieren würden.

Leiser Film, unverhältnismäßig laute Werbung, das Phänomen war kaum nachzuvollziehen. Und hatte eine wahrnehmungsphysiologische Erklärung: Um Aufmerksamkeit zu erzeugen, werden Werbespots häufig „am oberen Limit“ produziert, im oberen Dynamikbereich. Die gegenüber dem Programm geringere Dynamik des Werbespots führt durch die Trägheit des menschlichen Ohrs zu einer subjektiv lauteren Wahrnehmung, ohne dass die absoluten Lautstärkepegel angehoben werden. Das Ohr benötigt eine gewisse Zeit, um sich von laut auf leise anzupassen. Umgekehrt geschieht dies sofort. Außerdem hängt der Lautstärkeeindruck mit dem redaktionellen Umfeld zusammen. Während Spots ein konstantes Lautstärkeniveau haben, ist der Pegel in Filmen, Serien oder „Sportschau“ von der jeweiligen Szene, der Hintergrundmusik, den Geräuschen und Sprechern abhängig. Deshalb kann fürs menschliche Ohr der subjektive Eindruck einer höheren Lautstärke des Werbespots entstehen.

Ob die großen, werbetreibenden Fernsehsender, RTL und Sat1, dem Beispiel der Öffentlich-Rechtlichen folgen werden, ist unklar. Der Privatsenderverband VPRT, sagt ein Sprecher, prüfe ernsthaft diese EBU-Linie. Es empfiehlt sich also weiterhin, die Fernbedienung mit der Tontaste griffbereit zu haben.

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