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"Ich glaub, es hackt": In einem offenen Brief an die Werbeagentur Jung von Matt schreit Judith Holofernes ihre Wut auf die "Bild"-Zeitung heraus.

© dpa

Wir sind Helden versus "Bild"-Zeitung: Wovon man nicht sprechen kann ...

Die Berliner Band "Wir sind Helden" lassen die Anfrage für eine "Bild"-Werbekampagne abblitzen. Der offene Brief von Frontfrau Judith Holofernes wird derzeit im Netz gefeiert. Dabei wäre es viel besser gewesen, zu schweigen. Ein offener Brief zurück.

Liebe Judith Holofernes,

Sie haben ja völlig Recht, mit allem, was Sie sagen: Die laufende Plakat-​Aktion der "Bild"-​Zeitung, bei der prominente Köpfe auf "Bild"-Plakaten Kritik an der "Bild"-Zeitung üben, ist in der Tat perfide, und zwar genau auf die Art, die Sie beschreiben: Es ist perfide, den Anschein zu erwecken, man dulde kritische Stimmen in der eigenen Einflusssphäre, um sich sich so einen Anstrich von Meinungspluralität zu geben, gleichzeitig aber (natürlich) alles unter Kontrolle zu behalten. Es ist richtig, dass die "Bild"-Zeitung mehr ist als ein "Guilty Pleasure", wie Sie schreiben, dass sie eine klar erkennbare Agenda hat, Deutschland nicht nur zu beschreiben, sondern sogar zu machen. Sie ist mehr als ein "stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund", und ja, wenn man es moralisch ausdrücken möchte, ist sie ein "bösartiges Wesen" und ein "gefährliches politisches Instrument", indem sie manipuliert und bis heute (und eben nicht nur in alten 68er-Frontkämpferzeiten) einen bedenklichen Untertanengeist schürt und hilft, Demokratie nach Gutsherren-Art zu betreiben. (Das haben wir ja jüngst wieder erlebt.) "Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muss so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zulässt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun", so hat es Max Goldt bereits in den 90ern geschrieben. Ich glaube, wir können uns zumindest auf den ersten dieser Sätze einigen.

Die Frage ist nun: Wem hilft gerade in diesem Zusammenhang die Empörung über "Bild"? Am ehesten doch "Bild", oder? Denn das ist doch das Allerallerperfideste an der Kampagne, an Werbekampagnen im Allgemeinen: dass jede Form von Aufmerksamkeit gut ist. In Ihrem offenen Brief an die Werber der Agentur "Jung von Matt" zitieren Sie Marshall McLuhan: "Ich hab wahrscheinlich mit der Hälfte von euch studiert, und ich weiß, dass ihr im ersten Semester lernt, dass das Medium die Botschaft ist." Das schreiben Sie, obwohl Sie im nächsten Satz zugestehen, "dass ihr, zumindest in einem sehr spezialisierten Teil eures Gehirns, genau wisst, was ihr tut". Und ja genau, das wissen sie, die solches tun: Sie erzeugen Aufmerksamkeit, das ist ihr Medium, und exakt diesem Medium geben Sie, liebe Frau Holofernes, eine neue Form. In gewisser Weise könnte man sagen: Sie ergänzen die offizielle Plakatkampagne um eine virale Substruktur. Ihre Äußerung mag "Bild"-kritisch sein, Ihre Botschaft ist es unwillkürlich nicht. Die ist allein: Es wird über "Bild" geredet, das ist gut für "Bild". Sie wollten nicht mit einem "Bild"-kritischen Statement in einem "Bild"-Plakat erscheinen, letztendlich plakatieren Sie viel breiter: "Die Bildzeitung ist ein gefährliches politisches Instrument", den Satz, den Sie nirgendwo lesen wollten, speisen Sie höchstselbst ins Netz, und die Werber der "Bild" lachen sich – traurig, aber wahr – ins Fäustchen.

Die Frage ist nun: Was kann man da noch tun? Was tut man gegen ein Medium (und ich meine hier vielmehr die Werbung für "Bild" als nur die "Bild"), das derart geschickt affirmiert, dass es allen die Chance nimmt, sich öffentlich negativ dazu zu verhalten? In Ihrem Brief zitieren Sie auch – ich vermute bewusst falsch – den großen Apologeten der Negativität Theodor W. Adorno: Aus seinem Diktum, es gäbe kein richtiges Leben im falschen, machen Sie, es gebe kein "Gutes im Schlechten". Die "Bild" hat es so weit gebracht, dass jede öffentliche Äußerung über sie schlecht ist, weil sie die "Bild" in ihrer Bedeutsamkeit bestärkt und allein das ist das Medium, allein das zählt. Auch dieser Brief ist damit schlecht, aber vielleicht kann man ihn ja als letztes Wort nehmen und sich mit einer anderen Geistesgröße des 20. Jahrhunderts, mit Ludwig Wittgenstein aus der Affäre ziehen: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen", allein das trifft heute noch auf die "Bild"-Zeitung zu, allein das kann sie heute (außer roher, körperlicher Gewalt gegen ihre Logistik und ihre Protagonisten) noch treffen. Sie haben völlig Recht, es ist perfide. Dieser Perfidie ist aber mit Wut nicht beizukommen, das müsste wissen, wer so scharfe Briefe schreiben kann wie Sie. "Ich glaub es hackt", schreiben Sie den Werbern von "Jung von Matt" auf Ihre Anfrage. "Ich glaub, es hackt", mag man auch Ihnen zurufen, die Sie sich so medienwirksam und "Bild"-dienlich ereifern.

Mit freundlichem Gruß, Jo Schneider (für Tagesspiegel Online)

PS: Gerade erhalte ich Post von der Werbe-Agentur "Jung von Matt" mit folgendem Inhalt: "Bild und JvM haben 'Wir sind Helden' um ihre Meinung zu BILD gefragt und Judith Holofernes hat für 'Wir sind Helden' geantwortet und hat ihre Meinung veröffentlicht." Da fehlt dann eigentlich nur "Wir danken Frau Holofernes für ihren tatkräftigen Einsatz ..."

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