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Hass und Verachtung gegenüber Frauen ist noch immer Alltag – ebenso wie das Gefühl vieler Männer, sie könnten damit ungestraft davonkommen.

© Getty Images/Jonas Hafner/Bearbeitung: Tagesspiegel

Sexuelle Übergriffe auf Frauen und Mädchen: Belästigt, attackiert, vergewaltigt – Chronik eines Gewaltjahres

Die MeToo-Debatte thematisiert nur einen Teil des Problems. Die Polizeiberichte zeigen: Täglich verüben Männer sexuelle Attacken. Eine Dokumentation der unablässigen Frauenverachtung.

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Wenn über Gewalt gegen Frauen diskutiert wird, versanden die Debatten oft im Vagen. Zu unterschiedlich sind die Übergriffe, von beleidigenden Sprüchen bis hin zu brutalen Vergewaltigungen. Die Opfer von körperlicher Gewalt mit jenen von sexualisierten Anzüglichkeiten in einer Kategorie zu verhandeln, erscheint daher oft falsch.

Und doch haben diese qualitativ sehr ungleichen Taten dieselbe Ursache: Hass und Verachtung gegenüber Frauen – und das Gefühl vieler Männer, sie könnten damit ungestraft davonkommen.

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Gleichzeitig hat sich die Diskussion fast ausschließlich auf kleine Gruppen mutmaßlicher Täter fokussiert: Männer in sozialen Machtpositionen – in den USA etwa der Filmproduzent Harvey Weinstein oder der Comedian Louis C.K., in Deutschland zum Beispiel der Regisseur Dieter Wedel oder der Rammstein-Sänger Till Lindemann.

Wer die alltäglichen Übergriffe auf Frauen verstehen will, wird in den Großdebatten nicht fündig – aber in den Polizeiberichten. Der Tagesspiegel hat Dutzende Fälle aus ganz Deutschland seit Jahresbeginn zusammengetragen. Sie zeigen einen Bruchteil der sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die in diesem Land jeden Tag von Männern begangen wird.


5.1.2023, 0.15 Uhr, Leipzig
Ein Mann belästigt eine 20-jährige Frau in der Straßenbahn verbal sexuell und folgt ihr bis zu ihrer Wohnung.

10.1.2023, 16.10 Uhr, Frankfurt am Main
Ein 24-jähriger, wohnsitzloser Mann greift auf der Rolltreppe eines Einkaufszentrums in der Frankfurter Innenstadt einem elfjährigen Mädchen von hinten zwischen die Beine. Er wird von Zeugen verfolgt und von der Polizei festgenommen.

29.1.2023, 1.30 Uhr, Stuttgart-Mitte
Ein unbekannter Mann vergewaltigt eine 20-jährige Frau, die er kurz zuvor kennengelernt hat, in einer Tiefgarage in der Nähe des Stuttgarter Schlossplatzes.

5.2.2023, am frühen Morgen, Adelsdorf in Mittelfranken
Ein 33-jähriger Mann begeht ein nicht näher benanntes Sexualdelikt an einer Frau. Gegen eine Festnahme wehrt er sich so vehement, dass schließlich ein Sondereinsatzkommando anrückt.

6.2.2023, 20.45 Uhr, Hamburg-Sasel
Zwei Männer überfallen eine 21-jährige Joggerin und vergewaltigen sie.

9.2.2023, 13 Uhr, Bad Segeberg
Zwei Männer mit Sturmhauben überfallen in einem Waldstück eine 50-jährige Frau, reißen sie zu Boden und attackieren sie mit vermutlich sexueller Motivation. Als die Frau schreit, fliehen die Männer.

14.2.2023, am Tag, Rostock
Ein 21-jähriger Mann filmt am Rostocker Hauptbahnhof den Intimbereich einer 21-jährigen Frau mit seinem Smartphone.

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1.3.2023, abends, Templin
Ein 18-jähriger Mann stößt ein zwölfjähriges Mädchen in eine Häuserecke und droht, es zu vergewaltigen. Passanten greifen ein.

19.3.2023, 19.30 Uhr, Hannover-Eilenriede
Eine 19-jährige Frau wird im Stadtwald von zwei Männern angegriffen. Ein Mann hält sie fest, der andere Mann vergewaltigt sie. Beide Männer fliehen.

20.3.2023, 3.30 Uhr, Berlin-Moabit
Ein Mann nimmt in einem Hotelzimmer sexuell übergriffige Handlungen an einer 17-Jährigen vor und filmt und fotografiert sie dabei.

20.3.2023, 21.45 Uhr, Friedrichsdorf bei Bad Homburg
Ein 32-jähriger Mann überfällt eine Frau und berührt sie unsittlich. Die Frau wehrt sich, der Täter flieht – und entblößt sich wenige Minuten später vor einer anderen Frau, die sich ebenfalls wehrt.


Das Bundeskriminalamt (BKA) registrierte im Jahr 2022 11.896 Fälle von „Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexueller Übergriffe im besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge nach §§ 177, 178 StGB“. Das ist der höchste Wert seit 2011, eine Entwicklung, die laut dem BKA auch an der #MeToo-Debatte liegen könnte.

Von den 12.004 Opfern, die die Behörde für die Taten ausweist, waren 665 Opfer männlich – und 11.339 weiblich. Das sind 94,4 Prozent.


21.3.2023, 6.30 Uhr, Emmendingen bei Freiburg
Ein 23- bis 25-jähriger, ca. 1,80 Meter großer Mann begeht ein Sexualdelikt an einer jungen Frau.

21.3.2023, 13.45 Uhr, Lichtenstein bei Zwickau
Zwei Männer halten eine 19-jährige Frau am Bahnhof Lichtenstein an, ein Mann hält sie fest, der andere reißt ihr das T-Shirt bis zum Bauchnabel auf.

22.3.2023, 7.15 Uhr, Gelsenkirchen-Schalke
Ein Mann überfällt ein 14-jähriges Mädchen auf dem Weg zur Schule und vergewaltigt es.

25.3.2023, 5 Uhr, Rostock
Ein unbekannter Mann stoppt eine 23-jährige Frau auf der Fußgängerbrücke an der Hansemesse und fordert sie auf, sich auszuziehen.

16.4.2023, 4.20 Uhr, München
Ein Mann vergewaltigt eine 28-jährige Frau auf einer Parkbank im Botanischen Garten. Er wird kurze Zeit später festgenommen.

23.4.2023, 23.30 Uhr, Mettmann
Ein 1,70 Meter großer Mann stoppt eine Radfahrerin in einem Waldstück. Er vergewaltigt sie.

Der abendliche Nachhauseweg ist für Frauen häufig eine bedrohliche Situation.

© IMAGO/Rolf Poss (Symbolbild)

1.5.2023, nachmittags, Dresden
Ein 26-jähriger Mann hält ein zwölfjähriges Mädchen in einem Treppenhaus in der Bautzner Straße an und umarmt und küsst es gegen dessen Willen.

5.5.2023, 3.30 Uhr, Kassel
Ein 19-jähriger Mann überfällt eine 20-jährige Frau, hält sie fest und zieht sie in eine Grünanlage, wo er sie im Intimbereich berührt und gegen ihren Willen küsst. Eine Zivilstreife kann den Mann festnehmen.

7.5.2023, 5.30 Uhr, Hamburg-Billstedt
Ein Mann folgt einem 15-jährigen Mädchen aus einem Bus und überfällt und schlägt es. Das Mädchen wehrt sich, der Mann flieht. Nach ihm wird gefahndet.

10.5.2023, 0.05 Uhr, Köln-Nippes
Ein Mann verfolgt eine 28-jährige Frau, packt sie von hinten an den Schultern und versucht sie auf eine Grünfläche zu ziehen. Die Frau kann sich losreißen und ruft die Polizei. Der Mann folgt ihr weiter und wird letztlich festgenommen.


Natürlich sind die Polizeiberichte kein vollständiges Abbild der Übergriffe. Die Dunkelziffer dürfte immens sein. Es ist davon auszugehen, dass viele Frauen misogyne Belästigung oder verbale sexuelle Attacken gar nicht erst zur Anzeige bringen. Das liegt auch daran, dass die Erfolgsaussichten statistisch betrachtet gering sind.

Hinzu kommt, dass viele Polizeidirektionen in Deutschland sexuelle Übergriffe nicht in ihren Berichten abbilden, um die Frauen, wie man es etwa bei der Berliner Polizei formuliert, nicht ein zweites Mal in der Öffentlichkeit zum Opfer zu machen.

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11.5.2023, 2.55 Uhr, Hamburg-Wandsbek
Ein Mann überfällt eine Frau, reißt sie zu Boden und versucht sie zu vergewaltigen. Die Frau kann sich befreien, obwohl der Mann versucht, sie durch Schläge daran zu hindern.

13.5.2023, 21 Uhr, Köln
Ein 15- bis 20-jähriger, etwa 1,70 Meter großer Mann belästigt in der Straßenbahn-Linie 9 eine 58-jährige Frau, fasst ihr unter anderem an die Brüste und versucht, sie aus der Bahn zu zerren. Als Zeugen der Frau zu Hilfe kommen, flüchtet er.

28.5.2023, 17.30 Uhr, Chemnitz/Glauchau
Ein unbekannter Mann nähert sich einer 23-Jährigen im Zug und fasst ihr mehrfach gegen ihren Willen an die Oberschenkel.

31.5.2023, 17.30 Uhr, Jüterbog
Ein 39-Jähriger berührt auf einer Parkbank ein Kind im Intimbereich und unter der Kleidung. Er wird festgenommen.

5.6.2023, 22.45 Uhr, Berlin
Ein 26-jähriger Mann überfällt und vergewaltigt in einem Park in der Nähe des U-Bahnhofs Hellersdorf eine Frau.

„Nein heißt nein.“ Demonstration der #MeToo-Bewegung gegen sexuelle Übergriffe Anfang Dezember 2017 vor dem Trump International Hotel in New York.

© dpa/Erik McGreger

6.6.2023, 20.15 Uhr, Dortmund
Drei Jugendliche belästigen in der Stadtbahn zwei Mädchen, elf und 15 Jahre alt, sexuell und fordern sie unter anderem auf, sich zu entkleiden.

9.6.2023, 23.40 Uhr, Haltern am See
Drei junge Männer nötigen eine Gruppe von 15- und 16-jährigen Mädchen sexuell, küssen und berühren sie gegen ihren Willen. Die Mädchen können fliehen.

11.6.2023, 12.15 Uhr, Stuttgart-Zuffenhausen
Ein Mann entblößt sich vor einer 33-jährigen Frau und beginnt zu onanieren.

12.6.2023, 18.30 Uhr, Stuttgart-Untertürkheim
Ein 20 bis 25 Jahre alter Mann bedrängt eine 18-jährige Frau sexuell und fasst sie im Intimbereich an.


Teil des Problems ist, dass rein verbale Ausfälle nach jetzigem Stand kaum strafbar sind. Bislang sind nur Verleumdungen und Beleidigungen justiziabel. Ein Großteil der alltäglichen Ausfälle gegen Frauen wird polizeilich also überhaupt nicht registriert.

Die SPD-Bundesfraktion will nun genau dies ändern und auch verbale sexuelle Belästigung strafbar machen, vor allem Erniedrigungen und Einschüchterungen.


13.6.2023, 0.30 Uhr, Wertingen in Schwaben
Ein 16-jähriger Mann vergewaltigt nach einer Party eine 18-jährige, ihm bekannte Frau in einem Industriegebiet.

13.6.2023, am Tag, Berlin
Ein 36-jähriger Polizeibeamter wird verdächtigt, eine Kollegin betäubt und auf einer Datingplattform zur Vergewaltigung angeboten zu haben.

15.6.2023, 0.50 Uhr, Bonn-Nordstadt
Ein unbekannter Mann versucht, eine 33-jährige Frau im Hausflur ihres Wohnhauses zu vergewaltigen. Sie kann sich befreien.

15.6.2023, 14 Uhr, Magdeburg
Ein 38-jähriger Mann fasst einer 42-jährigen Zugbegleiterin nach einer verbalen Auseinandersetzung im Zug nach Magdeburg an die Brüste.

15.6.2023, vormittags, Bernau bei Berlin
Ein 39-jähriger Mann tritt im Stadtpark vor zwei 14-jährige Mädchen, entblößt seinen Genitalbereich und greift einem Mädchen an die Brüste. Die Polizei nimmt ihn fest.

15.6.2023, 21.30 Uhr, Köln-Brück
Ein 1,80 Meter großer Mann attackiert auf einem Feldweg eine 75-jährige Frau, hält sie fest und zerrt an ihrer Kleidung.

16.6.2023, nachts, Mönchengladbach-Gladbach
Ein 24-jähriger Mann vergewaltigt eine 48-jährige Frau in ihrer Wohnung. Er wird verhaftet.

18.6.2023, nachmittags, Bremen
Ein 26-jähriger Mann belästigt am Hauptbahnhof ein 15-jähriges Mädchen sexuell. Die Bundespolizei muss eingreifen.

19.6.2023, 0.40 Uhr, Hamburg
Ein 35-jähriger Mann fasst am Hamburger Hauptbahnhof einer 22-jährigen Frau ans Gesäß.

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