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Andreas Baum

© Johannes Schneider

Berlins Spitzenpirat im Interview: "Utopisch bin ich Bürgermeister"

Wer hat Angst vor der FDP? Und welche Themen will die Piratenpartei bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl im September setzen? Im Gespräch mit Tagesspiegel Online auf der "re:publica" arbeitet Spitzenkandidat Andreas Baum am Profil der Partei.

Herr Baum, wenn wir jetzt hier bei der "re:publica" eine Wahl abhielten, wäre - allen kritischen oder spöttischen Stimmen unter den hier Anwesenden zum Trotz - die Fünf-Prozent-Hürde wohl kein Problem für die Piraten. Aber Berlin ist nicht die Netzwelt ...

Wir müssen es vor allem hinkriegen, die politisch interessierten und aktiven Menschen in Berlin auf unsere Seite zu ziehen. Jeder, der in irgendeiner Weise in einer Bürgerinitiative aktiv ist, muss bemerken, dass die Piraten - mit ihren basisdemokratischen Strukturen - die ideale Schnittstelle in die Parteipolitik sind. Da passen die Piraten genau zu dieser Stadt, wo es schon lange ein sehr breites basispolitisches Engagement gibt.

Bürgerinitiativen sind gerade in Berlin ein weites Feld. Ist das völlig unabhängig von Themen? So nach dem Motto: Was von unten kommt, gehört zu uns?

Alles, was dahin geht, bestehende Dinge in Frage zu stellen und neue Lösungsstrategien aufzutun, ist bei den Piraten an der richtigen Adresse. Die Piraten haben immer Lust auf Veränderung. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns jedes Thema groß auf die Fahnen schreiben. Ich halte es aber gerade für Bürger, die ein konkretes Anliegen haben, für sinnvoll, zu gucken, wo es Schnittstellen mit der Piratenpartei gibt.

Ist eine Partei für die vielen kleinen Themen und Anliegen überhaupt noch die richtige Organisationsform? Gerade in ihrem Kerninteressengebiet, der Netzpolitik, bekommen die Piraten ja gerade heftig Konkurrenz von flexibleren Initiativplattformen. Stichwort "Digitale Gesellschaft".

Parteien bestimmen unser Leben, unser politisches System ist auf Parteien ausgerichtet. Sie bestimmen unser Handeln und die Voraussetzungen, in denen wir leben und mit denen wir umgehen müssen. Dieses Feld muss besetzt werden, und hier kann die Piratenpartei auch zeigen, wie sich innerparteiliche Strukturen hin zu mehr Demokratie verändern lassen. Das hat absolut seine Berechtigung.

Was ist aber nun der Markenkern, den die Piratenpartei den Berliner Wählern kommunizieren muss?

Ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in der Parteienlandschaft ist das Thema "Transparenz", und zwar auf allen Ebenen, sowohl organisatorisch als auch im politischen Forderungskatalog. Und das ist gerade in Berlin zentral: Nehmen Sie den Berliner Wassertisch, nehmen Sie die Frage nach offenen Funknetzwerken, in dieser Stadt lässt sich viel hin zu mehr Transparenz bewegen.

Wo sehen Sie die größte politische Konkurrenz?

Den grünen Höhenflug müssen wir sicherlich ernst nehmen. Die FDP haben wir ja so gut wie überholt (lacht). In Wirklichkeit ist es aber so: Ich freue mich auch über jeden, der Forderungen und Strategien von uns übernimmt. Ich glaube schon, dass die Piraten dafür gesorgt haben, dass das Thema Netzpolitik in den großen Parteien angekommen ist. Und wenn jetzt die Berliner CDU übers Netz die Wähler am Wahlprogramm mitarbeiten lässt, ist das ja auch nichts Schlechtes.

Nach einem allzu großen Machtinstinkt klingt das nicht gerade. Könnten sich die Piraten dann nicht in einer gewissen Zeit einfach selbst liquidieren?

Dafür sind wir inzwischen zu groß und zu stark, das wird einfach nicht passieren. Aber davon abgesehen: Es muss die Piraten geben, weil es immer eine treibende Kraft geben muss. Wenn man sieht, wie behäbig die Grünen geworden sind, braucht es diesen Druck von der Seite. Wenn ich sehe, dass die Bundesgeschäftsführerin der Grünen einen Blogbeitrag veröffentlicht, in dem sie es begrüßt, dass es jetzt eine Arbeitsgruppe zum Thema "innerparteiliche Demokratie" gibt, kann ich nur sagen: Da bewegt sich nicht mehr viel. Die Piraten haben - auch mit Hilfe neuer Techniken - Strukturen geschaffen, mit denen jedes Mitglied einen Antrag einbringen kann. Das ist immer noch beispielhaft.

Was ist mit der FDP? Die versuchte jüngst, ihr netzpolitisches Profil zu schärfen ...

Im Moment sehe ich da eher eine große Selbst-Demontage - und auch kein wirkliches netzpolitisches Engagement. Da mag es Veranstaltungen geben, wo große Reden geschwungen werden, aber wirklich frische Ideen gibt es nicht, da wird auch viel 1:1 bei den Piraten abgeguckt, das finden wir immer wieder. Ich persönlich bin da aber tatsächlich eher idealistisch: Wenn's der Sache dient, mal schauen. Wenn es dazu führt, dass sich mehr Menschen mit unseren Themen beschäftigen, finde ich das gut. Aber die Piraten werden immer noch einen Schritt weiter vorne sein. Unser Profil ist einzigartig.

Was ist denn nun eigentlich dieses Profil - gerade für Berlin?

Heute wurde auf Twitter geschrieben, dass die Piraten ein sozial-liberal-progressives Profil haben. Dem kann ich eigentlich nur zustimmen.

Leider sind Ökologie und Atompolitik im Moment die großen Themen, zumindest bundespolitisch.

Jeder kann in unserem Programm und unseren Beschlüssen einsehen, wie unsere Position zu diesem Thema ist - und dass wir da den Grünen in nichts nachstehen. Natürlich kommen die Piraten da nicht her und werden nicht primär mit diesen Themen wahrgenommen, deshalb sind die Grünen hier mit Sicherheit im Vorteil. Doch jeder, wer die Grünen aus Gründen einer ökologischen Politik wählt, sollte sich angucken: Was ist bei denen vorhanden, und was bei den Piraten? Und was ist bei den Piraten darüber hinaus vorhanden?

Haben die Piraten Fehler gemacht, dass sie ihr politisches Profil in dieser Breite seit der Gründung im Jahr 2006 nicht richtig darstellen konnten?

Ich glaube, wir lernen dazu. Und wir haben Prinzipien: Wir haben immer gesagt, dass wir etwa im Wahlkampf mit Themen statt Köpfen bestehen wollen. Ein Wahlplakat mit einem Riesengesicht und nur drei Wörtern kommt für uns eben nicht infrage. Dass ein solcher Ansatz nicht aus dem Stehgreif zündet, ist doch völlig klar, zumal, wenn man bedenkt, dass wir alle keine Politik- oder Werbeprofis sind.

Was ist denn die Piratenstrategie für die Abgeordnetenhauswahl?

Wir müssen es schaffen, über unsere Themen ein Thema zu werden - und darüber wiederum Themen zu setzen.

Wie soll der Wahlkampf aussehen? Nur übers Internet? Wollen Sie sich ins Abgeordnetenhaus twittern?

Twitter ist für uns extrem wichtig - auch und gerade in der internen Kommunikation. Ansonsten werden wir natürlich auch unsere Themen über Twitter nach außen kommunizieren, auch Facebook werden wir nutzen, weil hier noch einmal viel mehr Leute aktiv sind, die nicht im engeren Sinne netzaffin sind. Dabei werden wir natürlich auch immer wieder unsere kritische Sicht auf Facebook selbst kommunizieren, gerade hier müssen Piraten für den Schutz von Privatdaten eintreten. Generell gilt aber: Im Netz müssen wir uns nicht mehr in dem Maße bekannt machen. Wichtig ist, dass gerade wir auch in der Stadt präsent sind, als Personen und mit Plakaten.

Was sind denn die wichtigsten Themen im Wahlkampf?

Das wird sich rausstellen, wo auch die anderen Parteien ansetzen werden, und wo wir sagen können: Da haben wir einen Gegenpol. Unser Oberthema "Transparenz" wird aber auf jeden Fall eine Rolle spielen. Dass sich beim Volksentscheid zum Thema "Wasser" im Februar eine signifikante Anzahl Menschen trotz der Kälte in die Wahllokale begeben hat, um abzustimmen, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits klar war, dass die entsprechenden Grundlagen veröffentlicht werden, zeigt uns, dass es auch hier in der Stadt ein grundlegendes Interesse daran zu geben, dass Verträge zwischen Senat und Firmen wieder öffentlich sein müssen. Da arbeiten wir dran - und ich glaube, dass das eines der großen Themen im Berliner Wahlkampf wird.

Was ist mit dem ganzen Themenkomplex "Mieten und Gentrifizierung"?

Unsere grundlegende Position ist, dass Freiräume erhalten bleiben müssen - und zwar nicht-kommerzielle. Das wird auf jeden Fall Thema bei uns im Wahlkampf sein, in den Ereignissen rund um das Kunsthaus Tacheles und die Räumung der Liebigstraße 14 haben wir das Vorgehen der städtischen Behörden klar kritisiert. Da gehen wir wiederum auch weiter als die Grünen. Dass sich Renate Künast beim ganzen Vorgang um die Liebig 14 immer nur auf die Verträge berufen hat, ist für uns unzumutbar. In solchen Fällen müssen andere Mittel gefunden werden als der Einsatz von Polizeiknüppeln.

Beißt sich derartiges Eintreten für einen weitgehenden Milieuschutz nicht mit einer liberalen Position? Kann man die Piratenposition auch in Berlin als liberal, aber nicht marktliberal bezeichnen?

Dem würde ich so zustimmen. Als eine Partei, die letztlich ja aus einer Graswurzelbewegung hervorgegangen ist, haben die Piraten neben der Liberalität auch ein klares soziales Profil. Ansonsten entscheidet es sich in den einzelnen Positionen. Und hier ist es eben wichtig, dass bei den Piraten an deren Erarbeitung immer so viele Leute wie möglich beteiligt sind.

Wie wichtig werden netzpolitische Themen für die Abgeordnetenhauswahl?

Es werden von uns sicher immer wieder Fragen kommen, was Berlin tun kann, um bestimmte Strukturen zu verbessern. Wir befürworten zum Beispiel, dass Plätze auf öffentlichen Gebäuden zur Verfügung gestellt werden, um ein stadtweites "Freifunk"-Wlan-Netz zu schaffen. Wir würden auch die Berliner Bürger anregen, selbst ein solches Netz auf die Beine zu stellen. Es gibt immer wieder Schnittmengen zwischen netzpolitischen und lokalen Themen. An diesen Schnittstellen müssen die Piraten ihr Profil schärfen.

Was ist die Zielvorgabe für Sie und die Piraten bei der Berliner Wahl - utopisch und realistisch?

Utopisch bin ich Bürgermeister, realistisch ziehen wir mit einer Piratenfraktion ins Abgeordnetenhaus ein.

In welchem Jahr?

(lacht) Im Jahr 2011 natürlich!

Die Fragen stellte Johannes Schneider.

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