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Abendschau

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50 Jahre Abendschau: "Die Berliner sind ein eigenes Völkchen"

Cathrin Böhme und Sascha Hingst sprechen im Interview mit dem Tagesspiegel über 50 Jahre "Abendschau", hippe Bezirke in Berlin und die Wetterkapriolen in der Hauptstadt.

Frau Böhme, Herr Hingst, träumen Sie schon die „Abendschau“?

BÖHME: Zum Ende des Urlaubs erwischt es mich tatsächlich manchmal. Plötzlich überkommt mich dann der Gedanke, mein Gott, die Sendung fängt gleich an, und du liegst hier am Strand rum. Das fährt mir richtig in die Glieder. Aber ich habe zum Glück meinen Mann dabei, der mich beruhigt. Gehört eben einfach zum Beruf dazu.

HINGST: Mein Standardalptraum geht so: Ich sehe auf die Uhr, es ist zwei Minuten vor 19 Uhr 30, und ich weiß, ich müsste gleich moderieren, bin aber irgendwo am anderen Ende der Stadt.

Wann haben Sie die „Abendschau“ zum ersten Mal bewusst wahrgenommen?

BÖHME: Zu meinen Kindheitserinnerungen gehört, dass ich bei meinen Großeltern bin und die sich mit mir beschäftigen – bis die „Abendschau“ beginnt. Ab da musste ich mich selbst beschäftigen und durfte nicht dazwischen quatschen. Für meine Großeltern war die „Abendschau“ eine Pflichtsendung. Auch weil Hans Werner Kock am Ende immer gesagt hat: „Macht's gut, Nachbarn!“ Da haben sich meine Großeltern, die im Osten Berlins wohnten, angesprochen gefühlt.

HINGST: Mir hat keiner die Bedeutung der „Abendschau“ erklären müssen. Was man mir erklärt hat, war, in welche Fettnäpfchen ich besser nicht treten sollte, zum Beispiel bei der Aussprache von Namen. Also: Nikolskoe oder Nikolskö oder Nikolskoje?

Ist die „Abendschau“ eine Sendung für die ganze Stadt?

BÖHME: Berlin ist eine Stadt. Seit der Wende reden wir bei der „Abendschau“ nicht mehr von Osten oder Westen. Es ist eine Tatsache, dass bestimmte Entwicklungen nun mal im Osten oder im Westen stattfinden. Aber das sind eher geografische Orientierungen, keine politischen.

Haben Sie um ihr Publikum im Osten kämpfen müssen?

BÖHME: Viele Zuschauer im Osten haben gesagt: Ihr kommt ja nur zu uns, wenn es ein Problem gibt. Da war man richtig misstrauisch. Das hat etwas damit zu tun, dass viele Menschen die Erfahrung gemacht haben, wie sehr nach der Wende auf sie heruntergeguckt worden ist. Das ist mittlerweile anders. Die „Abendschau“, diese Ur-West-Berliner Institution, ist von den Zuschauern zwischen Lichtenberg und Pankow längst adoptiert worden.

Gelten in diesen aufregenden „Hipster“-Gegenden von Neo-Berlin „Abendschau“-Seher nicht als die letzten Spießer von Alt-Berlin?

HINGST: Die Leute wollen nicht nur wissen, was in Mitte los ist, sondern auch, was in Steglitz oder in Pankow passiert. Ich kenne einige Jüngere in den hippen Vierteln, die öfter bei uns reinzappen.

Die „Abendschau“ will informieren, nicht irritieren. Sie ist der Prophet des Bestehenden.

BÖHME: Wir erreichen, wenn wir etwas Hippes senden, nicht garantiert junge Leute. Aber die Oma, der Opa, die Mama, der Papa sagen: Kuck’ mal, da passiert was. Die Berliner sind schon ein sehr eigenes Völkchen. Ich kann mir keine andere Stadt vorstellen, in der zehntausende Bewohner bei 30 Grad im Schatten beim Tag der offenen Tür bei der Kanalisation Schlange stehen.

Welche Themen gehen immer?

BÖHME: Nahverkehrskollaps, Autobahnen abgesoffen, Wetterkapriolen. Themen, bei denen wir davon ausgehen können, dass sie mehr als 500 000 Menschen betreffen.

Wetter geht immer.

HINGST: Und drei Mal in der Woche Senat und Senatspolitik. Aber wir scheinen mit unserer Mischung nicht ganz falsch zu liegen. Unsere Zuschauer sind uns sehr treu, Die Verweildauer bei der „Abendschau“ liegt bei 15 Minuten, und das bei 30 Minuten Sendezeit. Bei der „heute“-Sendung im ZDF um 19 Uhr sind es acht Minuten.

Was kann der Zuschauer gar nicht leiden?

HINGST: Wenn der Moderator ihn von oben herab behandelt. Der Zuschauer mag auch nicht, wenn wir ihm erklären, wie die Welt zu funktionieren hat. Und er kann es überhaupt nicht ausstehen, wenn wir Gäste arrogant abfertigen.

BÖHME: Unsere Stammzuschauer möchten nicht, dass wir uns zu weit von ihnen entfernen. Die Distanz darf nicht zu groß werden, sonst reißt die Verbindung ab.

Wie wichtig ist Ihr Outfit?

BÖHME: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sich die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu 85 Prozent auf die Optik konzentriert.

HINGST: Wenn ich weiß, dass von all den Worten, die ich in vier Minuten spreche, sieben Prozent beim Zuschauer hängen bleiben, dürfen diese sieben Prozent nicht an meiner Krawatte scheitern.

Frau Böhme, wie stellen Sie sich den durchschnittlichen, männlichen „Abendschau“-Zuschauer vor?

BÖHME: Er ist geschätzte 54, der Typ, der am Tag der offenen Tür seine Frau vorschickt und sagt, hol' mir mal ein Autogramm von der Frau Böhme. Er ist Urberliner, glaubt, sich gut auszukennen in seiner Stadt. Er kann sich ein Leben ohne seine „Abendschau“ nicht vorstellen.

Herr Hingst, was macht die „Abendschau“-Zuschauerin aus?

HINGST: Sie fühlt sich als Berlinerin, egal, ob sie schwäbisch spricht oder bayrisch. Sie ist tendenziell jemand, der sagt, ich muss mal was bewegen.

Ihr Publikum weiß vieles – auch vieles besser?

BÖHME: Wir wollen und brauchen das wissende, aufgeklärte Publikum. Aber auch wer uns zum ersten Mal sieht, wird an die Hand genommen.

Sie beide wurden auch geholt, weil Sie das Publikum der „Abendschau“ jünger machen sollen. Ist die Operation geglückt?

HINGST: Ich hoffe, wir sind geholt worden, weil wir gut sind.

Was ist falsch an dem Satz, Udo Walz ist bekannter als Böhme und Hingst, Böhme und Hingst sind aber bekannter als Friedbert Pflüger.

HINGST: Cathrin Böhme ist bekannter als Udo Walz und Friedbert Pflüger zusammen. Ich bin erst seit 2007 dabei, also sind Walz und Pflüger bekannter als ich.

Frau Böhme, Sie schweigen. Denken Sie über einen „Abendschau“-Slogan nach?

BÖHME: Wie wär's damit: „Abendschau“, die brauch' ich täglich.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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