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© dpa-Zentralbild

Ablösung: „Sippenhaft wie unter Stalin“

Sergej Lochthofen, Noch-Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“, befürchtet einen Kahlschlag wie in NRW

Sergej Lochthofen wurde 1953 im Lager Workuta geboren, sein Vater war 20 Jahre lang in der Sowjetunion inhaftiert gewesen. Dass der Essener WAZ-Konzern nun erst ihm als Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“ und knapp danach auch seiner Frau Antje-Maria Lochthofen, der stellvertretenden Chefredakteurin, den Stuhl vor die Tür setzt, ist „Sippenhaft wie in Stalins Zeiten“, sagte Lochthofen nach seiner überraschenden Abberufung dem Tagesspiegel.

Der renommierte Journalist, der regelmäßig sonntags im ARD-„Presseclub“ zu Gast ist, „soll nach dem Wunsch der Geschäftsführung eine andere Aufgabe innerhalb der WAZ Mediengruppe übernehmen, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht“, hatte ihm die Geschäftsführung bei einem kurzfristig anberaumten Gespräch mitgeteilt. Zum 1. Januar 2010 werde er als Chefredakteur abgelöst – ohne Vorwarnung, ohne Angabe von Gründen.

Das will Klaus Schrotthofer, der Geschäftsführer der Zeitung, so nicht stehen lassen. „Wir werden uns nicht öffentlich über Sergej Lochthofen äußern. Aber der Entscheidung sind viele Gespräche und Diskussionen vorangegangen“, sagte Schrotthofer. Dabei sei klar geworden, dass der Chefredakteur den anstehenden Veränderungsprozess nicht mit der nötigen Überzeugung mitgetragen hätte.

Laut Lochthofen wolle die WAZ in Thüringen drei Zeitungen bis zur Unkenntlichkeit fusionieren und die Redaktion ausdünnen. Dieser Personalabbau wäre mit ihm nicht zu machen, sagte er, der stolz darauf ist, seit 1990 keinem Redakteur gekündigt zu haben. Nach einem Gespräch mit WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach werde jetzt überlegt, wie die Konfliktsituation entschärft werden könne.

Der Nachfolger von Sergej Lochthofen wird Paul Josef Raue, Chefredakteur der „Braunschweiger Zeitung“. Lochthofens Abberufung sei Teil eines umfassenden Erneuerungsprozesses innerhalb der Zeitungsgruppe Thüringen, zu der neben der „Thüringer Allgemeinen“ auch die „Ostthüringer Zeitung“ und die „Thüringische Landeszeitung“ gehören. Raue soll in Abstimmung mit der Redaktion die Einführung „innovativer Redaktionsstrukturen“ fortsetzen, um die Vielfalt der Zeitungstitel in Thüringen zu erhalten, sagte Schrotthofer. Als Beispiel nannte er die bereits erfolgte Einführung eines zentralen Newsdesks für die Lokalteile der „Ostthüringer Zeitung“, der die Journalisten von Produktions- und Administrationsaufgaben entlaste.

In der Belegschaft geht dennoch die Angst um, dass sich in Thüringen wiederholt, was die WAZ in NRW mit der Zusammenlegung wichtiger Mantelressorts von „WAZ“, „Westfälischer Rundschau“ und „Westfalenpost“ vorexerziert hat. Auch der Betriebsratsvorsitzende der „Thüringer Allgemeinen“, Wolf-Dieter Bose, weiß, dass zukunftsfähige Strukturen notwendig sind. „Wir hoffen nur, dass dabei die Zeitung und die Belegschaft nicht hintenüber fallen.“

Schrotthofer sagte, er könne die Unsicherheit in der Belegschaft verstehen. „Aber ich bin mir sicher, dass die Redaktion gestärkt aus den Veränderungen hervorgeht.“ Es sei nicht vorgesehen, das NRW-Modell auf Thüringen zu übertragen, dafür sei die Zeitungslandschaft hier zu kleinteilig. Kurt Sagatz

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