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Medien: Afghanistan: Die Ohnmacht des Chirurgen - Dokumentarfilm

Der Imam presst mit der Inbrunst von Gebärenden die Hände an den Kiefer und quält seine Stimmbänder: "OAlloahhh". Er ruft nicht von einem Minarett herab, er predigt im afghanischen Hochgebirge, ewiges Schlachtfeld seit Alexander des Großen.

Der Imam presst mit der Inbrunst von Gebärenden die Hände an den Kiefer und quält seine Stimmbänder: "OAlloahhh". Er ruft nicht von einem Minarett herab, er predigt im afghanischen Hochgebirge, ewiges Schlachtfeld seit Alexander des Großen. Um ihn herum wanken verstümmelte Menschen. Sie verzweifeln nicht etwa deshalb, weil sie verstümmelt sind, sondern weil sie mit den verlorenen Gliedmaßen im "Heiligen Krieg" der Afghanen aus dem Norden, der sich gegen die noch fundamentalistischeren Brüder der Taliban richtet, nicht weiter kämpfen können. Einer, der sein Bein verloren hat, heizt die Krankenhausbrigade weiter an. Amputierte und grausam Verstümmelte stimmen ein ins Kriegsgeheul des Mannes mit den Binden auf den zerstörten Augen. Sanft und gleichzeitig verschlossen klingt, was zu Ehren Allahs gemeinsam geleiert wird: "Brüder, wir kämpfen weiter".

Der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilm "Jung (Krieg) - Im Land der Mudschahedin" der italienischen Autoren Fabrizio Lazzaretti und Alberto Vendemmiati (Phoenix, 22 Uhr 15) konzentriert sich auf den notdürftigen Operationstisch des Militärchirurgen Gino Strada im afghanischen Pandschir-Gebirge. Die Autoren ersparen einem nichts. Nicht die kruden Religionismen, nicht diesen alles zerstörenden Bruderkrieg und vor allem nicht die andere Seite des Krieges: Westliche Hilfsorganisationen, die geduldig und doch resigniert, schwer verwundete Menschen wieder zusammenflicken müssen. Die Autoren lassen nicht locker, ein Dauerbombardement grässlicher Bilder: Krieg ist Blut, das aus zerschossenen Adern quillt. Auf irgendeine Kanone, deren Schuss man in der "Tagesschau" überhört, folgen en détail die Schreie von Kämpfern und blutige Amputationen der Gliedmaßen kleiner Kinder. Mit westlicher Emphatie lässt sich Gottesfanatikern, ob aus dem Norden oder dem Süden, nicht beikommen. Sie spotten jeder Anteilnahme. Der Löwe Strada, der äußerlich George Tabori ähnelt und ebenso streitbar ist: Er ist ohnmächtig. Wütend ist er und müde wirkt der Vermittler am Ende. Frieden ist dort, in Afghanistan, nur ein Wort. Stradas Ohnmacht ist die des Westens.

Michael Burucker

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