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Medien: Alle Beachtung

Die Berliner Fashion Week kämpft noch um internationale Anerkennung – die Lifestyle-Magazine der Hauptstadt haben sie längst

Wer das Büro von „Vogue“-Chefredakteurin Christiane Arp in München betritt, wird sie finden: „Liebling“, „032c“, „Sleek“ und all die anderen Lifestyle-Magazine, die aus Berlin kommen. Hier in der Münchner Redaktion, die sich mit Haute-Couture und Pret-à-Porter beschäftigt, haben die Blätter aus der Hauptstadt ihren festen Platz. Die „Vogue“-Chefin schätzt den ungewöhnlichen und überraschenden Blick, den sie auf Kunst, Kultur und Mode bieten. „Davon brauchen wir noch mehr in Deutschland“, sagt sie.

Nicht nur in München, auch in der Kunst- und Modeszene von Paris, Mailand und New York werden die Berliner Independent-Magazine, die alle von kleinen Verlagen herausgegeben werden, gerne gelesen. Damit bekommen sie das, wofür die am kommenden Donnerstag beginnende Fashion-Week noch kämpft: internationale Beachtung.

Das gilt insbesondere für „032c“. Das Magazin, dessen Name für einen Rot-Ton aus der Pantone-Farbskala steht, hat seine Redaktionsräume in der Kleinen Kursstraße gleich hinter dem Außenministerium. Was hier entsteht, wurde 2007 von „ New York Times“ und „International Herald Tribune“ zum „Best Magazine of the World“ gekürt und gewann 2008 den Lead Award, der als Oscar der Zeitschriftenbranche gilt. Kein Wunder, das Konzept ist einzigartig, wie die aktuelle Ausgabe erneut beweist: Steven Meisel, einer der berühmtesten Modefotografen weltweit, hat eines seiner seltenen Interviews gegeben – aber das alleine wäre für „032c“ natürlich nicht spektakulär und künstlerisch wertvoll genug. Deshalb gibt es auf vierzehn aufklappbaren Seiten die von Meisel geschossenen Cover der italienischen „Vogue“ aus den vergangenen 20 Jahren dazu. Weiter vorne werden die Probleme der Stadtplanung in Dubai nicht in einer Reportage thematisiert, sondern in einem Comic. Und selbstverständlich sind die Modestrecken mehr Kunst als Kommerz. „Contemporary Culture“ nennen die Macher diesen Mix, der höchstens mit Tyler Brulés „Monocle“ vergleichbar ist. „Wir haben aber definitiv mehr Sex“, sagt Chefredakteur Jörg Koch und meint damit nicht nur den Anteil nackter Frauen und Männer im Heft, sondern die anspruchsvollen Texte, die die Intelligenz der Leser herausfordern sollen.

Alles im Magazin ist auf Englisch geschrieben, denn in Deutschland werden von dem zweimal pro Jahr erscheinenden und zehn Euro teuren Magazin nur 8000 Exemplare verkauft, 32 000 dafür in weiteren 23 Ländern weltweit, die meisten in New York und Paris. Das internationale Publikum schätzt „032c“ auch deshalb, weil es sich dem verschrieben hat, was viele Ausländer an Berlin so faszinierend finden: „Das Neue im Alten zu finden und das Alte im Neuen.“

Markus Peichl, Herausgeber des „Liebling“-Magazins beschwört ebenso den Einfluss, den Berlin auf die Magazine hat: „Hier gibt es einen idealen Nährboden aus Kunst, Kreativität und Wahnsinn. In dieser Intensität bietet dies im Moment keine andere Stadt auf der Welt“, sagt er. Zwar ist das erst seit 2007 erscheinende „Liebling“ das jüngste der Berliner Independent-Magazine, gehört aber bereits zur Pflichtlektüre für die Trendsetter aus der Kunst-, Musik- und Modeszene – vermutlich deshalb, weil „Liebling“ seinen Lesern zwar das Gefühl vermittelt, sich mit angesagten Dingen jenseits des Mainstreams zu beschäftigen. Aber die Autoren pflegen dabei keinen angestrengten Hipster-Ton, sondern sind angenehm unaufgeregt. Beispielsweise wenn sie ein Plädoyer auf die feste Verabredung halten, die im Handy-Zeitalter auszusterben droht, sich Schauspieler Daniel Brühl Gedanken über seinen Ruhm macht und Schriftsteller Clemens Mayer seine Faszination für Rambo erklärt. All das auf Großformat, denn „Liebling“ liest sich wie ein Magazin, sieht aber wie eine Zeitung aus. Ein klares Bekenntnis zu Print. „Es geht darum, sich Zeit zu nehmen, das sinnliche Erlebnis Zeitung zu spüren“, sagt Peichl.

Kein anderes Magazin kann allein schon wegen seines Formats so große und opulente Bilder und Fotostrecken drucken. Ein solches Spiel mit Material und Optik wird in der kreativen Szene geschätzt. Fotografen und Designer probieren sich hier gerne aus, zeigen Kunst und Mode auf eine Art und Weise, wie es in „Vogue“ und „Elle“ nicht möglich ist. Mit 2,80 Euro ist „Liebling“ noch dazu vergleichsweise günstig, 30 000 Exemplare verkauft das Magazin nach eigenen Angaben in der jungen, urbanen Zielgruppe.

Dass sie sich abwendet, sobald es langweilig wird, wissen auch die Macher von „Sleek“. Ihr Konzept: viele Bilder, wenig Text, immer mit einem Gegensatz spielend. Schon der Name „Sleek“ bedeutet einerseits stilsicher, andererseits schleimig glatt. Aktuell geht es um das Thema „Global/Local“, gezeigt werden Menschen, Kunst, Kultur und Mode aus aller Welt. „Sleek“ ist komplett zweisprachig, auf Deutsch und Englisch, um internationale Autoren und internationales Publikum zu gewinnen. 32 500 Exemplare verkauft das 9,50 Euro teure Blatt nach eigenen Angaben – wenig im Vergleich zu „Vogue“ mit monatlich 131 695 Stück, doch im Schnitt mit den anderen Independent-Magazinen.

„Nebeneinander existieren können beide Segmente, die klassischen Modemagazine und die unabhängigen Lifestyle-Blätter“, ist sich Cathy Boom, Chefredakteurin des „StyleMag.net“ sicher. Während sich Zeitschriften wie die „Vogue“ eher auf Mode konzentrieren, die von bekannte Labels auf den Laufstegen gezeigt wird, hätten die Independent-Labels mehr Platz für Streetwear. Zur Straße, wo neue Trends entstehen, haben Independent-Blätter mehr Nähe und können sie schneller ins Blatt bringen, sagt auch „De:Bug“-Moderedakteur Jan Joswig: „Im Gegensatz zu den großen Blättern müssen sie nicht darauf warten, bis große Marken und damit die Anzeigenkunden einen neuen Trend ausgerufen haben.“ Beispielsweise sei die Röhrenjeans in den Independent-Blättern etwa eineinhalb Jahre früher aufgetaucht als in Magazinen wie der „Vogue“.

In diesem Gespür für Trends und Überraschendes liegt die große Chance der unabhängigen Blätter, die Wirtschaftskrise einigermaßen glimpflich zu überstehen. Denn auch auf dem Magazinmarkt gilt die einfache Regel: Wer austauschbar ist, droht ausgetauscht zu werden – sowohl von Lesern als auch von Anzeigenkunden. „Unvorhersehbar zu sein“ ist für „032c“-Chefredakteur Koch deshalb eines des wichtigsten Ziele. Die Nischenmagazine profitieren aber nicht nur von ihrem ungewöhnlichen Stil, sondern auch von ihrer schlanken Struktur. Hohe Qualität zu niedrigen Kosten ist für sie möglich, gerade weil sie nicht an einen riesigen Verlagsapparat angebunden sind. Die Redaktionen bestehen oft nur aus einer Handvoll Festangestellten, Texte werden vor allem von freien Mitarbeitern zugeliefert.

So müssen die Blätter versuchen, profitabel zu werden oder zu bleiben, was bisher noch die wenigsten schaffen. Auf enorme Auflagenzuwächse dürfen sie nicht hoffen. Nur zwölf Prozent von den Zeitschriften, die in den vergangenen zehn Jahren eingeführt wurden, schafften es, regelmäßig über 60 000 Stück im Einzelhandel zu verkaufen, weiß Markus Peichl. Den Weg zum Erfolg sieht er wie auch Koch deshalb in der Unverwechselbarkeit der Independent-Magazine. „Von ihnen ist auch in Zukunft ein wesentlicher Impuls für den Zeitschriftenmarkt zu erwarten“, sagt Peichl. Die internationale Mode- und Kulturszene wartet gespannt.

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