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Immer skeptischer. Jonathan Schnitts Dokumentarfilm „Foxtrott 4: Sechs Monate Afghanistan“ zeigt der NDR in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch um 0 Uhr. Foto: NDR

© NDR

Allein im Flecktarn: „Mir hat keiner reingeredet“

Embedded Journalism: Reporter Jonathan Schnitt drehte vier Monate bei der Bundeswehr in Afghanistan. Zensur gab es nicht, sein Testament hatte er gemacht.

Herr Schnitt, Sie haben vier Monate lang auf Feldbetten geschlafen, sind bei 45 Grad durch die Wüste marschiert, haben sich von abgepacktem Essen ernährt – warum?

Die Idee kam im Jahr 2009 auf, als die Diskrepanz zwischen den politischen Reden und dem, was in Afghanistan wirklich passierte, immer größer wurde. Während dort deutsche Soldaten kämpften, starben und auch töteten, sprachen die Politiker immer noch von „Maßnahmen zur Stabilisierung“. Ich wollte zeigen, wie es dort wirklich ist, wie es sich für die Soldaten anfühlt. Auch im Alltag, der in den Nachrichten ja kaum vorkommt. Die Soldaten sind ungefähr mein Alter. Was macht das mit meiner Generation, die die erste seit dem Zweiten Weltkrieg ist, in der es wieder gefallene Soldaten gibt? Darauf wollte ich Antworten finden.

Soldaten müssen, bevor sie in den Einsatz gehen, ein Testament abschließen. Auch Sie haben sich bewusst in eine potenziell lebensgefährliche Situation begeben. Hatten Sie keine Angst?

Natürlich. Ich habe sogar ebenfalls ein Testament aufgesetzt. Man lebt dort zwischen eintöniger Routine einerseits und der Anspannung, dass ständig etwas passieren könnte. Wenn man durch die Dörfer fährt, könnte theoretisch in jedem Auto ein Selbstmordattentäter sitzen. Am gefährlichsten sind die Sprengfallen. Im Film ist zu sehen, wie die Einheit, die ich begleitet habe, einen gelben Kanister erst bemerkt, als alle vorbeigefahren sind. Später stellte sich heraus, es war tatsächlich ein Sprengsatz. Dass er nicht hochgegangen ist, war purer Zufall. Aber die Soldaten haben gelernt, Was-wäre-wenn-Fragen gar nicht erst zuzulassen, das Kopfkino auszuschalten. Daran habe ich mich gehalten.

Es ist das erste Mal, dass ein Journalist eine Bundeswehreinheit über einen so langen Zeitraum begleitet hat. Sie waren den Soldaten sehr nahe – zu nahe für einen Journalisten?

Dass da eine Nähe entsteht, ist klar, wenn man zusammen isst, zusammen auf Patrouille geht, nebeneinander schläft. Wären wir angegriffen worden, hätte ich natürlich gewünscht, dass die Bundeswehrsoldaten besser treffen als die Angreifer. In dieser Situation könnte ich nicht mehr neutral sein. Aber solange ich das dem Zuschauer oder Leser deutlich mache, finde ich das fair. Und der Film soll ja gerade Afghanistan aus der Perspektive der Soldaten zeigen, und die dokumentiere ich. Das heißt: Wenn die Soldaten Verbrechen begangen hätten, hätte ich das zeigen müssen und gezeigt.

War es schwierig, die Bundeswehr zu überreden, mitzumachen?

Es hat vor allem viel Geduld erfordert. Als sich endlich alles geklärt hatte, verlief es ziemlich reibungslos. Ich musste mehrere Vorbereitungslehrgänge für den Einsatz mitmachen und zusagen, in gefährlichen Situationen allen Anweisungen exakt zu folgen. Im Gegenzug wurde mir versichert, dass eine Zensur nicht stattfindet.

War es so?

Es hat mir nie jemand in meine Arbeit hineingeredet. Auch die Soldaten durften frei sprechen, solange sie es klar als ihre eigene Meinung gekennzeichnet haben.

Wie ist Ihr Eindruck von der Stimmung unter den Soldaten?

Zunächst muss man sagen, dass sie keine „Masse in Flecktarn“ sind, wie sie vielleicht oft wahrgenommen werden. Das sind alles Söhne und Väter – und natürlich auch Töchter und Mütter – und jeder hat seine eigene Motivation, bei der Bundeswehr und in Afghanistan zu sein und hat einen eigenen Blick auf den Sinn oder Unsinn des Einsatzes. Grundsätzlich denke ich, dass viele in dem Glauben dahin gefahren sind, wirklich etwas verändern zu können. Je länger man dort bleibt – und das war auch bei mir so –, umso mehr begreift man, wie unglaublich komplex dort unten die Kräfteverhältnisse sind.

Und die deutschen Soldaten werden immer skeptischer?

Die Stimmung hat sich auf jeden Fall verändert, und, soweit ich das beurteilen kann, eher ins Negative. Was der Einsatz wirklich gebracht hat, wird man erst 2014 sehen, wenn die Bundeswehr Afghanistan verlässt. Doch viele Soldaten fragen sich schon jetzt: „Was mache ich hier eigentlich?“

Das Gespräch führte

Constantin Wißmann.

Der Journalist Jonathan Schnitt hat vier Monate lang eine Einheit deutscher Soldaten bei ihrem Einsatz nahe Kundus begleitet, mit einer Ausnahmegenehmigung des

Ministeriums.

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