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Amtsantritt: Revolutiönchen

Weder Schunkelhaus noch Skandalsender – die neue MDR-Intendantin Karola Wille benennt ihre Ziele. Einige davon dürften die anderen ARD-Chefs verwundern.

Jede Statistik lügt im Rahmen ihrer Erhebung. Aber bei den Dritten Programmen der ARD ist kein Zweifel möglich. Sie haben das älteste Publikum in Fernseh-Deutschland. Das MDR-Fernsehen ist da kein Ausreißer, der Durchschnitt liegt bei 60 Jahren. Aber jetzt kommt die Attacke. Jetzt, da mit Karola Wille zum 1. November eine neue Intendantin gewählt worden ist. Die frühere MDR-Justiziarin ist 52, im künftigen Leitungsteam der Dreiländeranstalt für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sitzen noch jüngere Kräfte (die übrigens allesamt der ausgeschiedene Senderchef Udo Reiter, 67, geholt hatte). Wolf-Dieter Jacobi, Fernsehdirektor seit Anfang Oktober, ist 46. Stefan Raue, Chefredakteur seit Dienstag, ist 53. Sandro Viroli, Landesfunkhausdirektor Sachsen seit wenigen Wochen, ist 53. Aber nicht jeder, der jünger als sein Durchschnittspublikum ist, muss dementsprechend handeln.

Der Mitteldeutsche Rundfunk möchte, das wurde beim Pressegespräch am Mittwoch in Leipzig betont, die Zukunft gewinnen. Beim Daseinszweck, den Programmangeboten von Radio, Fernsehen und Internet, wird beabsichtigt, dem Ruf des Senders endlich und intensiv entgegenzuarbeiten. „Der MDR ist kein Schunkelhaus“, sagte Wille, sondern Rundfunk mit öffentlich-rechtlicher Qualität. Allerdings gelte es, insbesondere im Fernsehen die erreichte Modernität der mitteldeutschen Länder ins Programm zu holen und dort abzubilden.

Fernsehdirektor Jacobi wollte nur unwesentlich konkreter werden. An der regionalen Prägung, an der hohen Informationskompetenz will er nicht rütteln, an der Unterhaltung auch nicht. Es scheint, als solle sich die Angebotspalette nur sukzessive, nur punktuell ändern. Jacobi bekannte sich übrigens zu seinem persönlichen Schunkeln bei Schlagersendungen. Aber er will künftig anders von links nach rechts und von rechts nach links kippen, er fasste seinen Reformwillen unter den Begriff „Schlager 2012“.

Der MDR leidet, nicht anders als der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk, unter einem Generationenabriss. Weniger beim Hörfunk, da ist der MDR mit den Wellen Sputnik und Jump erfolgreich in der Spur, sehr viel mehr beim Fernsehen. Was über den Kinderkanal von ARD und ZDF, den MDR-Intendantin Wille unbedingt in der Verantwortung ihres Senders halten will, noch an Aufmerksamkeit in der jungen Zielgruppe erreicht wird, das wird bei den 14- bis 49-Jährigen an die private Konkurrenz abgegeben, erst beim Publikum ab 50 und im Seniorenpublikum sind die Öffentlich-Rechtlichen wieder Marktführer. Wille ist bereit, die immer wieder aufsteigende und abfallende Diskussion um einen ARD-Jugendkanal neu zu befeuern. Das wird nicht alle Intendanten in der ARD freuen, ebenso wenig wie die Ankündigung, den ARD-Finanzausgleich, mit dem der Saarländische Rundfunk und Radio Bremen am Leben gehalten werden, zu reformieren. Wille ließ erkennen, dass der MDR, der bis 2016 seine Rücklagen aufgebraucht haben wird und Einsparungen von 48 Millionen Euro erreicht haben will, nicht zum Kreis der Einzahler gehören möchte. Sparen scheint beim MDR möglich, in den Strukturen würden immer Ressourcen stecken, sagte die Senderchefin.

Kein Schunkelhaus mehr – auch kein Skandalsender mehr, das ist das nächste große Ziel der neuen Intendantin. Affären wie um den Unterhaltungschef Udo Foht würden weiter mit aller Kraft und großer Transparenz aufgearbeitet. Was Karola Wille erkennbar zu schaffen macht: Der MDR verfügte über weitgehende Kontrollmechanismen, gar über einen Anti-Korruptionsbeauftragten, trotzdem waren Betrug und Bestechlichkeit in zahlreichen Bereichen bei zugleich mafiösen Strukturen möglich. Eine neue Verantwortungs- und Führungskultur soll da Abhilfe schaffen, ganz besonders in der Spitzenetage. Denn die MDR-Skandale funktionierten von oben nach unten. Nach Willes Aktionsprogramm soll der Sender „wieder zur Ruhe kommen“, alle acht Direktoren möchten bitte „auf ein Tor spielen“, die Programme der Zukunft zugewandt sein.

Karola Wille hat, wie sie bekannte, am Mittwoch ihre erste Pressekonferenz absolviert. Sollte ihr Auftritt und der ihrer Leitungsmannschaft in ein Bild gefasst werden, taugt vielleicht dieses: Leipzig, das ist die Heldenstadt der Montagsdemonstrationen von 1989. Das mit der Medienrevolution wird nach MDR-Maßstäben passieren. Ein Revolutiönchen zieht herauf. Joachim Huber

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