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Der k. u. k. Soldat Karl Kasser (David Oberkogler) schwört 1914 den Eid in Galizien.

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Arte-Doku: Aus 14 Tagebüchern werden 14 Schicksale des Ersten Weltkriegs

Mit Hurra in die Hölle: Eine Arte-Doku blickt auf die Menschen „da unten“, die für wahnwitzige Expansionspläne und Irrtümer der Militärstrategen ihre Haut zu Markte tragen mussten.

„Lieber sie als wir!“ Mit diesem Schlachtruf führt der junge Leutnant Ernst Jünger (gespielt von Jonas Friedrich Leonhardi) 1915 seinen Trupp aus dem Schützengraben zum Sturm auf die französischen Linien. Es ist einer von unzähligen Versuchen, die im Westen festgefahrene Front wieder in Bewegung zu bringen. In den acht Folgen der großen Darstellung „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ bei Arte und ARD wird es bei dem einen martialischen Kampfruf bleiben.

Jüngers Kriegstagebuch mag sich den Autoren aufgedrängt haben, ebenso aber auch ein Gegengewicht dazu, dass der Bildhauerin und Zeichnerin Käthe Kollwitz (Christina Grosse), die bis zu ihrem Tod darunter litt, sich der Meldung ihres Sohnes Peter als Kriegsfreiwilliger nicht widersetzt zu haben. Er fiel in den ersten Kriegswochen in Flandern.

Die anderen Hauptgestalten des weiträumig abgesteckten Kriegspanoramas sind völlig unbekannte Personen, deren bewegende Tagebücher oder Briefe aus jener Zeit in Archiven gefunden wurden. Die einen werden als Zeugen der mörderischen Stellungskämpfe aufgerufen wie zum Beispiel zwei junge Bauern aus dem Südwesten Frankreichs, Louis Barthas (Mikaël Fitoussi) und Paul Pireaud (Lazare Herson-Macarel). Die anderen sind Frauen, die in den Lazaretten Sanitätsdienste taten wie die bei Kriegsausbruch erst zwölfjährige Schülerin Elfriede Kuhr (Elisa Monse) aus Schneidemühl oder die britische Rote-Kreuz-Veteranin Sarah MacNaughtan (Celia Bannerman), die trotz fortgeschrittenen Alters in ein Lazarett in Belgien geht.

Kosakentochter muss um ihr Leben bangen

Eine eigene romantische Geschichte ist die der schönen Kosakentochter Marina Jurlowa (Natalia Witmer). Mit 14 folgt sie ihrem Vater in den Krieg, kämpft unerschrocken in einer Reiterstaffel und wird 1918 in einem Gefängnis „der Roten“ um ihr Leben bangen.

Wie kann ein Film knappe Aufzeichnungen in eine bewegende Handlung umsetzen? Jan Peter, unter dessen Regie die sich über sieben Stunden erstreckende Serie entstand, bedient sich eines so nur im Fernsehen akzeptablen Tricks: Mitten in den kurzen, nachinszenierten Episoden dreht der Darsteller das Gesicht zur Kamera und spricht Sätze aus dem Tagebuch, während im Hintergrund die Szene weiterläuft. Handlung und Bericht ergänzen einander, halten den Zuschauer auf Distanz, ohne darum die Spannung zu mildern. Dafür sorgen schon die eingeblendeten Fotos, die teilweise in einem aufwendigen Verfahren von Glasplatten reproduziert wurden. Dazu kommen Wochenschauaufnahmen, etwa von den endlosen Lazarettzügen und dem Training verkrüppelter Menschen für die weitere Verwendung an oder hinter der Front.

Die inszenierten Szenen wirken stets authentisch, und doch können sie nur Andeutung für „die Hölle“ sein, durch die jeder Tagebuchschreiber und mit ihm Millionen Soldaten gehen mussten.

Warum das alles so war, warum „Der Große Krieg“ ausbrach und wider alle politische und militärische Vernunft weitergeführt wurde, bis die Völker erschöpft waren oder sich – in Russland und Deutschland – gegen die später nie zur Rechenschaft gezogenen Generäle auflehnten, konnte nicht Gegenstand der Serie sein, auch wenn die Frage in dem von Udo Samel einfühlsam gesprochenen Kommentar immer wieder durchklingt. In den chronologisch geordneten Teilen mit ihren unterschiedlichen thematischen Akzenten bleibt der Blick auf die Menschen „da unten“ gerichtet, die für wahnwitzige Expansionspläne und die schweren Irrtümer der Militärstrategen ihre Haut zu Markte tragen mussten. Dutzende andere Zeitzeugen ergänzen das Bild zu einer Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs.

Das Ergebnis rechtfertigt die hohen Produktionskosten von sechs Millionen Euro, vermutlich einer der teuersten Fernsehserien, die bisher in Europa abgedreht wurden. Aber Europa, in Gestalt westlicher Fernsehanstalten in Portugal und Spanien bis zu den nördlichen in Norwegen und Finnland und östlichen in Tschechien und Slowenien, ist durch Mitbeteiligung Pate bei diesem deutsch-französischen Projekt, das 14 Menschen von damals als unsere Zeitgenossen entdeckt.

„14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“. Arte, Dienstag, 20 Uhr 15; Fortsetzung am 6. und 13. Mai. In der ARD am 27. und 28. Mai ab 21 Uhr 45 verkürzt auf 4 x 45 Minuten.

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