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Bloß nicht hängen bleiben. Im Zeitalter der Programmflut ist der Suchdurchlauf per Fernbedienung selbst Programm geworden. Foto: ddp

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Auf Knopfdruck: In der Falle

Früher zappte, wer im Fernsehen noch nichts gefunden hatte. Heute ist das permanente Umschalten eine Kulturtechnik. Warum es die Sinne schärft.

Es gibt Fallen. Jeder tappt in eine andere, aber wer erst mal den Köder intus hat, ist im Fernsehsessel verloren für das, was er eigentlich machen wollte: zappen.

Zappen ist im Zeitalter der Programmflut zu einer Kulturtechnik geworden. Früher zappte nur, wer die Sendung zum Dranbleiben noch nicht gefunden hatte, zappen hieß suchen und wer bei „seinem“ Programm gelandet war, legte die Fernbedienung weg. Heute ist der Suchdurchlauf selbst Programm. Allerdings gibt es Fallen: Das reine Zappen, das Patchwork-Glotzen, das Querschnitt-Fernsehen in Echtzeit läuft immer Gefahr, von einer Sendung mit ausreichendem Faszinationsgrad unterbrochen zu werden. Die Sender legen es darauf an. Sie wollen jeden Zuschauer. Wer also zappen will, muss imstande sein, sich loszureißen und zum nächsten Kanal überzuwechseln, er muss gegen die üblichen Leimruten Resistenz entwickelt haben. Und er muss – da er erst weiterswitchen darf, wenn er weiß, was für Angebote er da ausschlägt – sich binnen weniger Minuten oder gar Sekunden orientieren und ein Urteil fällen. Dazu braucht es, wie bei jeder Kulturtechnik, Übung und Erfahrung. Wenn man die erst mal hat, ist der Zapp-Umgang ein angenehmer und informativer Zeitvertreib.

Da es vor allem darauf ankommt, nicht in die überall ausgelegten Fallen zu geraten, hilft es, sich bewusst zu machen, auf welche Köder man reflexartig mit Dranbleiben reagiert. Bei mir sind das (u.a.) Tiere. Die Kängurus im WDR haben meine Ehre als Zapperin nur deshalb nicht beschädigt, weil ich in die letzten Meter dieser Reportage hineinschaltete. Aber auch Wissens-Sendungen, die mit einer raunenden Off-Stimme vorangetrieben werden, lassen mich meist wenigstens kurz innehalten. Es gibt so vieles, das man nie wissen wird und das des Wissens doch unbedingt würdig wäre. Auf Phoenix: die Sahara. Dort grasten mal Rinder, diese Zeit ist in Sandsteingravuren von Urmenschen festgehalten worden.

Das Faszinosum dieser Sendungen liegt nicht in der Machart – ich würde sie kaum gezielt einschalten wollen. Es liegt vielmehr daran, dass sie ein schmerzliches Bewusstsein hervorrufen, ein profundes Wissen um die Wüste, um das Gold und um die Kängurus in diesem Leben nicht mehr zu erwerben. Und zugleich liegt es an der freudigen Gewissheit, dass der Sender und die Filmemacher sich der Dinge annehmen und das Wissen um sie komplettieren und archivieren und es so theoretisch auch für mich aufbewahren. Diese Gefühle stellen sich durchs Zappen manchmal sogar eher ein als durchs Schauen. Insofern gehören Wissenssendungen (für mich) zur Klasse der nicht ganz so gefährlichen Fallen.

Anders ist das bei der nächsten Falle: der heiße Atem der Aktualität. Ich muss gestehen, hier versagt mein zappender Finger auf der Fernbedienung öfter mal. Ausrede: Nachrichten sind ja nur kurz. Auf N24 erfahre ich aber über die Flut in Pakistan nicht mehr, als ich durch meine Hausberichterstatter im Ersten und im ZDF schon weiß. Es ist wieder so, dass nicht die Qualität der News-Sendung auf N24 sie zur Falle werden lässt, sondern das überwältigend wohltuende, spannungsvolle, das Selbst aufwertende Gefühl des Angeschlossenseins an den Infostrom, der über die gesamte Erde rauscht und jeden, auch den aufmüpfigsten Zapper, mit allem zu versorgen vorgibt, was er braucht, um sagen zu können: Ich weiß, was auf der Welt los ist.

Weitere Fallen: Vertraute Gesichter und die geliebte bläuliche Atmosphäre aus öfter gesehenen amerikanischen Serien. Die reizende und tüchtige Stella Bonasera und der ebenso gut wie kompetent aussehende Mac Taylor aus „CSI New York“ zwingen mich, zu eruieren, ob ich die Staffel schon kenne, und falls nicht: Ade für heute Abend, autonomes Zappen! Und wenn wenig später auf Vox gar Alan Shore und Denny Crane in „Boston Legal“ ihre Tiraden schwingen, stelle ich sogar den Ton lauter, damit mir nichts entgeht. Funktionieren diese Fallen, weil die Qualität der Serien außerordentlich ist? Für „Boston Legal“ sage ich: ja!, aber auch für diese Spitzenserie gilt, was bei ähnlichen Fallen die Hauptrolle spielt: es ist der Wiedererkennungswert, die beglückende Erfahrung, dass es treue Menschen gibt, die immer wieder auf dem Bildschirm auftauchen und sich meines nächtlich ermatteten Geistes mit ihrem Humor, ihrem Sinn für das Absurde, für die Poesie und den Wahnsinn unserer Existenz annehmen. Womit auch die Autoren gemeint sind, die man zwar nicht sieht, von denen man sich aber irgendwie gegrüßt fühlt.

Nun zur Gegenprobe. Der Zapper ist mit Anschlägen auf seinen Geschmack und seinen Langmut konfrontriert, denen er nur allzu gern mit Zappen begegnet. Prominentester Fall ist die Werbung, die ein geübter Zapper in Sekundenbruchteilen erkennt. Grund ist die verzweifelte Tonlage der Marktschreierei, die durch alle Verstellungen hindurch deutlich bleibt und von nichts anderem als der Not der Verkäufers spricht, seine Ware losschlagen zu müssen. Der Zapper denkt: Was geht mich diese Not an? und switcht. Er landet im Reality-Fernsehen der Kommerzkanäle, kenntlich durch übergewichtige Personen mit Zottelhaaren und Hängebacken, die mit nöliger Stimme ihr Los beklagen. Switch nach einer Sekunde. Zielgruppenangebote wie japanische Animation (Kinder), sogenannte Volksmusik (Alte), Kochsendungen (Leckermäuler oder Fans der Brutzel-Entertainer), „Spektakuläre Sprengungen“ oder „Der Panzerfriedhof“ (Männer), Castingshows (Jugend) und Quizshows (Familien) werden sofort weggezappt (außer wenn die Fernsehkritikerin auf sie angesetzt worden ist), wohingegen Oper (3sat) und Trickfilm (Super RTL) bewundernde Minuten geweiht werden. Aber nicht mehr als drei! Sonst ist das kein Zappen mehr.

Konsequentes Zappen verschafft einen ausgezeichneten Überblick über das Gesamtprogramm, es trainiert jene Wahrnehmungskanäle, die mit Atmosphäre, Aura, Spannung, kurz: mit dem Schwer-Benennbaren zu tun haben. Es übt Neinsagen (Weiterzappen bei „CSI“) sowie blitzartiges Erkennen (Werbung). Und es führt im glücklichen Fall zur Begegnung mit abseitigen, aber sehenswerten Programmanteilen, auf die ein Nicht-Zapper niemals käme, sei das ein Film von anno Tobak (Schwarz-Weiß ist für mich immer ein Zapp-Hindernis), sei es wie vorletzte Woche ein Reportage über das Jugendamt Wedding, die das ZDF – nicht als Wiederholung, sondern als Erstausstrahlung – nachts um halb eins versendete. Naja, nicht wirklich versendete, weil ein paar wackere Zapper auf dem Quivive gewesen sein werden.

Wenn die Lust am Zappen um des Zappens willen vom Appeal einer Sendung überboten wird, ist sie es meistens wert, geschaut zu werden. Auch der programm-müde, ab- und aufgeklärte Zapper von heute hofft insgeheim, dass sie auf ihn lauert: die Falle, an der all sein professionell zurechtgeschliffener Widerstand zerschellt.

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