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Mit Handys filmen die Menschen, wie hier in Aleppo, die Zerstörung in ihrem Land und stellen die Bilder ins Netz. Reporter nutzen das Material für ihre Berichte. Foto: AFP

© AFP

Auslandskorrespondent der ARD: Jörg Armbruster will nicht zurück nach Syrien

Der ARD-Reporter sagt, dass objektiver Journalismus in Syrien kaum möglich ist. Und dann gibt es da noch ein Versprechen.

Seine rechte Hand ist noch immer verbunden. Jörg Armbruster bewegt sie nur vorsichtig, wenn er beim Sprechen gestikuliert. Sie wird wohl nie wieder so funktionieren, wie vorher, sagt Armbruster. Vorher. Das war die Zeit vor dem 29. März, der Tag, an dem der ehemalige ARD-Korrespondent von einem Scharfschützen in Aleppo getroffen wurde. Armbruster war für eine Reportage zusammen mit seinem SWR-Kollegen Martin Durm in Syrien unterwegs, als sein Wagen unter Beschuss geriet. Heute steht für Armbruster fest: Nach Syrien fährt er nicht mehr. Vorerst. Das hat er seiner Frau versprochen.

Für Journalisten ist es lebensgefährlich, aus Syrien über den Bürgerkrieg zu berichten. Seit Beginn des Aufstands gegen das Regime von Präsident Baschar al Assad im März 2011 sind dort nach Angaben der Organisation Reporter ohne Grenzen mindestens 24 Journalisten sowie 60 Blogger und Bürgerjournalisten getötet worden, sieben allein seit Anfang des Jahres. Mehrere in- und ausländische Berichterstatter werden derzeit vermisst. Kurz nach dem Beschuss von Armbruster lobte ein mit Assad sympathisierender Geschäftsmann aus Kuwait ein Kopfgeld auf Reporter der Sender Al Dschasira und Al Arabija aus. Doch nur wenn Journalisten aus Syrien berichten, kann sich die Welt ein Bild von den Entwicklungen machen – ein objektives allerdings nie, warnt Armbruster.

„Ich habe das Wort Wahrheit nie benutzt“, betont der Reporter, als er am Freitag im ARD-Hauptstadtstudio zusammen mit der Journalistin und Nahost-Expertin Kristin Helberg, dem syrischen Journalisten Houssam Aldeen und dem Regisseur Nasir Al-Jezairi, der für die Deutsche Welle Akademie Journalisten im Nahen Osten schult, über die Berichterstattung aus dem Krieg diskutiert. „Man muss sich von dem Begriff Wahrheit verabschieden. Es geht um Wahrnehmung“, sagt Armbruster.

Keine Einreise für Kameramann

Er vergleicht die Arbeit der Kriegsreporter mit dem Zusammenfügen eines Mosaiks: Aus den vielen verschiedenen politischen und religiösen Stimmen Syriens müssten sie dann ein Bild erstellen – die Steine für dieses Mosaik liefere das syrische Informationsministerium allerdings gleich mit. Wer aus dem Land offiziell berichten will, muss hier eine Genehmigung beantragen und bekomme gesagt, wann wo wie gedreht werden dürfe. Und selbst diese Genehmigung zu bekommen sei eine große Hürde. Denn in Deutschland würden sich die Botschaftsmitarbeiter die Berichte über Syrien sehr genau ansehen, die in deutschen Medien erscheinen.

Das sei einem Kameramann neulich zum Verhängnis geworden. Sein Name wurde im Abspann eines Berichts im ARD-„Weltspiegel“ genannt, ihm die Einreise daraufhin verweigert, erzählt Armbruster. Wer eine Genehmigung bekomme, habe immer einen Mitarbeiter des Informationsministeriums an der Seite. „Wenn ich Menschen auf der Straße dazu befragen will, was sie über Assad denken, steht das Ergebnis dann natürlich schon vorher fest“, sagt Armbruster. Die „Männer mit den großen Ohren“ nennt er die Aufpasser, weil sie alles mithören. Für die Zuschauer sind sie zwar unsichtbar, doch wer genau hinschaue, könne bei den Interviewpartnern sehen, dass sie immer in die Richtung des Aufpassers schielen. Aus Angst, etwas Falsches zu sagen – und bestraft zu werden.

Journalisten müssten in ihren Berichten deshalb immer klar machen, unter welchen Bedingungen sie recherchieren, fordert Kristin Helberg: „Das ist leider nicht immer der Fall.“ Über viele Jahre war sie die einzige in Syrien akkreditierte deutsche Journalistin. Sie berichtet vor allem fürs Radio – ein Vorteil, wie sie sagt. Kamerateams würden wegen ihrer Technik immer sofort auffallen. Dazu werde Fernsehen in den arabischen Ländern als das wichtigste Medium wahrgenommen. Hörfunk hingegen habe keine große Bedeutung und so habe sie mehr Freiheiten gehabt als die TV-Kollegen.

Heute berichtet Helberg aus Deutschland über den Krieg – allerdings auch unter besonderer Vorsicht. Als Material nutzt sie die vielen Videos, die mit Handykameras aufgenommen und im Netz veröffentlicht werden. „Alles, was man erfährt, ist nur eine Ansammlung subjektiver Wahrnehmung. Und diese Wahrnehmungen muss ich immer mitdenken, wenn ich berichte.“ Das Material richtig einordnen zu können, sei aber nur dann möglich, wen man das Land und seine Konflikte kenne. „Viele Kriegsreporter ziehen einfach von Afghanistan weiter in den Irak und dann nach Syrien, holen ihre Schablonen raus und legen los. Aber wer das macht, tappt zwangsläufig in eine Falle“, sagt Helberg. Das sei in den deutschen Medien bereits mehrfach passiert. Zu stark sei die Berichterstattung fokussiert auf Kämpfe, Truppenverläufe und Bewaffnung der Rebellen. Die Folge: Ein unangemessenes „Schwarz-Weiß-Denken“, das davon ausgehe, zu wissen, wer gut und wer böse sei.

yrische Journalist Houssam Aldeen: „Die internationalen, aber auch die deutschen Medien beschäftigen sich zu wenig mit der Situation, wie sie wirklich ist.“ Er selbst musste aus seiner Heimat flüchten, nachdem er wegen kritischer Berichte zwischenzeitlich festgenommen wurde. Allerdings weiß er auch, wie schwierig es für seine ausländischen Kollegen ist: „Das syrische Regime betrachtet alle ausländischen Journalisten als Spione.“ „Und alle Syrer, die mit ausländischen Journalisten zusammenarbeiten, als Vaterlandsverräter“, ergänzt Armbruster, der Aldeen und Helberg zustimmt: „Sicher sind in den Berichten viele Fehler gemacht worden. Aber es ist auch einfach sauschwer, den syrischen Konflikt korrekt darzustellen, weil es so viele unterschiedliche Parteien gibt. Wichtig ist dann nur, dass diese Fehler zugegeben und korrigiert werden.“

War es ein Fehler, dass er im Frühjahr nach Aleppo gereist ist? „Nein, ich bin trotz allem froh, dass ich die Reise gemacht habe, denn ich habe dabei viele Dinge erfahren. Und ohne diese Erfahrungen könnte ich meine Reportage nicht machen. Dafür muss man da gewesen sein“.

„Zwischen Krieg und Frieden - der neue Nahe Osten“ lautet der Titel dieser Reportage. Die Ausstrahlung ist für den 31. März 2014 geplant, um 22 Uhr 45 im Ersten. Im November reist Armbruster dafür in den Libanon, nach Ägypten, Quatar, Israel und Jordanien. Selbst wenn er noch einmal nach Syrien wollte, dürfte und könnte er wegen seiner Recherche in Aleppo und seines kritischen Kommentars auf Tagesschau.de derzeit wohl nicht mehr in das Land einreisen, vermutet er. Aber er will eben auch nicht: „Die Situation dort ist heute noch viel gefährlicher als im Frühjahr.“ Er hat es seiner Frau versprochen.

Sonja Álvarez

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