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Medien: Bagdad sucht den Superstar

Shows, Serien, Tipps: Al Sumaria macht Privatfernsehen à la RTL für den Irak

Ein Wohnviertel am Rand von Beirut mit Blick aufs Mittelmeer. Jean Claude Boulos hat sein Büro in einem Haus, das aussieht wie ein normales Wohnhaus, aber die Zentrale von Al Sumaria ist, einem von vielen TV-Kanälen, die von Beirut aus in die arabische Welt senden. Beirut ist zu einer kleinen Medienmetropole geworden: Es gibt sogar einen Kanal extra für Frauen, eine anderer gehört der Hisbollah. Jean Claude Boulos ist ein weißhaariger Mann von 71 Jahren. Jahrzehnte hat er bei Tele Liban gearbeitet. Vor einem Jahr hat er sein beschauliches, aber auch ein wenig langweiliges Rentnerdasein, das für das libanesische Bürgertum vor allem aus Strandspaziergängen besteht, aufgegeben, um Fernsehen für ein Land zu machen, in dem er noch nie war: den Irak. „Wir bauen zwar schon Studios in Bagdad“, sagt Boulos, „aber die Situation dort ist zurzeit einfach zu gefährlich.“

Da hat er Recht, auch wenn man zurzeit wenig davon liest: Die Entführungsfälle westlicher Journalisten – wie zuletzt der des „Guardian“-Reporters Rory Carroll – schaffen es immerhin noch in die Kurz-gemeldet-Spalten. Arabische Journalisten leben noch viel gefährlicher, ohne dass es überhaupt ein internationales Echo findet. Wer hat schon mitbekommen, dass die 36-jährige Moderatorin Raeda al Wazzan des staatlichen Senders Al Iraqija von Unbekannten aus ihrem Auto gezerrt und ermordet wurde? Beim Nachrichtenkanal Al Arabija sprengte eine Autobombe das gesamte Bagdadbüro in die Luft. Auch Al Sumaria hat schon in Bagdad, wo der Sender ein Büro unterhält, eine Mitarbeiterin verloren. Auf dem Weg zur Arbeit ist sie von einer Bombe getötet worden.

Vor einem Jahr ist Al Sumaria von einem libanesischen Investor gegründet worden, einem Businessmann, der Millionen eingesetzt hat und möglichst schnell Rendite sehen will. Im deutschen Medienmarkt ist dieser Typ Investor nicht gerade der Beliebteste, Boulos aber ist sehr zufrieden: „Das ist die beste Garantie für Erfolg.“ Denn Al Sumarias Investor verfolgt kein politisches Interesse, was den Kanal von den meisten irakischen Stationen – allein in Bagdad gibt es elf Radios und sieben Fernsehsender – unterscheidet. Der Sender Al Iraqija wird von den USA gesponsert, andere sind religiös ausgerichtet, für oder gegen Schiiten und Sunniten. „Da kommen wir gerade Recht“, sagt Boulos. „Jeden Tag werden die Menschen mit verschiedensten Meinungen bombardiert. Wir stehen auf keiner Seite.“ Al Sumaria bezeichnet die USA nicht als Okkupationsarmee, sondern als US-Militär. Selbstmordattentäter werden nicht Märtyrer genannt, sondern Tote.

Al Sumarias Schwerpunkt liegt jenseits der Nachrichten über die täglichen Toten oder den Prozess gegen Saddam. Der Sender will das Prinzip Privatfernsehen ins Bürgerkriegsland bringen, bunt und unpolitisch, ganz im RTL’schen Sinne. Und so ist es kein Zufall, dass der Sender eine Art „Irak sucht den Superstar“ ausgerichtet hat. Über 3000 Iraker haben beim Singwettbewerb mitgemacht.

Das Progamm steht auf den klassischen Säulen kommerziellen Fernsehens: Talk, Tipps und Serien, die von Al Sumaria im Irak selbst produziert werden, mit irakischen Schauspielern und irakischen Kameraleuten. Im Fernseher, der hinter Boulos Schreibtisch läuft, ist gerade ein Spot mit Susu zu sehen, dem Maskottchen des Senders, das in seiner Possierlichkeit den Mainzelmännchen in nichts nachsteht. Wenn Susu am Tigris spazieren geht, fällt sie ins Wasser, beim Skilaufen wird sie unfreiwillig zum rollenden Schneemann. Al Sumaria macht sozusagen ein Anti-Krieg- Programm. „Wir kümmern uns um den Alltag der Leute“, sagt Boulos.

Von anfangs fünf Stunden täglich hat Al Sumaria sein Programm bereits auf 16 Stunden ausgedehnt; kommerzielle Werbung konnte der Satellitenkanal zwar noch nicht akquirieren, dafür schaltet die irakische Regierung Spots, um für die Wahlen oder für die Rekrutierung zum Polizeidienst zu werben.

Bei der kleinen Führung durch den Sender, zu der Boulos den Reporter mitnimmt, sieht man, dass nicht nur die Sendezeit angewachsen ist. Die Abstellkammern, sogar die Balkone sind zu Büros umgebaut worden, denn die Beiruter Belegschaft zählt mittlerweile 82 Mitarbeiter. Im Newsroom sitzen zwei Frauen, die gerade aus dem Irak gekommen sind. „Alle zwei Wochen wird ein Teil des Personals in Bagdad ausgewechselt“, sagt Boulos, läuft weiter, vorbei an der Abteilung, die er „freiwillige Selbstzensur“ nennt: Zwei Mitarbeiter schauen das Programm durch, bevor es in den Irak geschickt wird, und schneiden alles heraus, was anstößig sein könnte, sogar längere Kussszenen. Al Sumaria will nirgends anecken.

„Wollen wir hoffen“, sagt Boulos zur Verabschiedung, „dass wir bald nach Bagdad ziehen. Das würde viele unserer irakischen Kollegen glücklich machen.“ Aber erst einmal zieht der Sender um in ein größeres Haus in die Berge bei Beirut, denn im Irak ist Arbeiten nur schwerlich möglich. Zurzeit sind die Hälfte der 150 Mitarbeiter des Bagdader Büros Sicherheitsleute.

Alfred Hackensberger[Beirut]

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