Beförderung für Friederike Kempter: Julias Revier

Sie erscheint auf die Minute pünktlich im „Anna Blume“, dem Café im Prenzlauer Berg. Geht auf den hintersten Platz, unbemerkt. Obwohl Friederike Kempter Deutschlands schönste Assistentin in Deutschlands erfolgreichstem Krimi ist, dem Münsteraner „Tatort“. Erst am Sonntag wieder sahen über zwölf Millionen Zuschauer zu, wie sich die Ermittler Thiel und Boerne alias Axel Prahl und Jan Josef Liefers durch 90 Minuten auf dem Lande feixten. Rekordwert. Friederike Kempter steht da als Kommissaranwärterin Nadeshda Krusenstern immer ein bisschen im Hintergrund. Das kann sich nun ändern. Mit einer Beförderung im Ersten. In der neuen ARD-Serie „Hauptstadtrevier“ spielt sie die Berliner Elitepolizistin Julia Klug.

Eine Beförderung in den Vorabend – ein Glücksgefühl für die 33-Jährige? „Als ich letztes Jahr nach zwölf Jahren Fernsehen eine Art Zwischenbilanz gezogen habe, habe ich mir vorgenommen, das Wagnis einzugehen, eine Serie tragen zu wollen“, sagt die Schauspielerin. Sie nippt an ihrer Apfelschorle, lehnt ihr Kinn dann nachdenklich auf ihre Arme, den Tisch, als ob sie sich ein bisschen kleiner machen möchte. Kommt aber gleich wieder hoch. Die Bücher von „Hauptstadtrevier“ hätten ihr sofort gefallen. „Ich hab’ den Produzenten angerufen und gesagt: ,Ich spiel’ die Julia Klug‘.“

Kleinermachen hilft auch in dieser Branche wenig. Und in Friederike Kempters Terminkalender steht nicht nur der „Tatort“. Ihre Vielseitigkeit hat sie in „Add a Friend“ bewiesen, der ersten eigenproduzierten Serie im deutschen Pay-TV, in „Die Lottokönige“(WDR), derzeit im Kino mit „Oh Boy“ oder seit 2008 an der Seite von Anke Engelke in „Ladykracher“. Das war „ganz, ganz wichtig“ für die geborene Stuttgarterin, die ihre Ausbildung an einer Berliner Schauspielschule absolvierte und ihre erste Hauptrolle im Jahr 2000 neben Mariele Millowitsch spielte.

Vor all dem stand kurioserweise ein einwöchiger „Schnupperkurs“ in einer Schauspielschule, den sie im Preisausschreiben gewonnen hatte. Dabei wurde Friederike Kempter in München von einem Agenten entdeckt. Sie bekam ihre erste kleine Rolle. Neben Uschi Glas. Danach habe sie ein Geschichtsstudium angefangen. Man weiß ja nie. Mittlerweile ist ja bekannt, wohin es Schauspieler verschlagen kann. „Ich kenne gute Leute, die jahrelang auf hohem Niveau gespielt haben, auf einmal läuft's nicht mehr.“

Sie versucht, diese Sorge zu verdrängen. Dabei hilft auch – Comedy. „Dieses präzise Spielen in ,Ladykracher‘, das war noch mal eine richtige Ausbildung.“ Sie sei zu dem Job wie die Jungfrau zum Kinde. „Engelke wollte Kollegen, die nicht aus dem klassischen Comedybereich kommen. Wir haben da sehr viel Spaß, obwohl ich anfangs Muffensausen hatte.“ Letztendlich sei die Nadeshda im „Tatort“ aber am schwierigsten für sie zu spielen. „Da habe ich wenige Sätze zu sagen, die auf Anhieb sitzen müssen.“ Das sei wie beim Fußball, wenn Manuel Neuer den einen Ball halten muss, den Bayern München im Spiel aufs Tor kriegt.

Die blonde Lara Croft an der Spree

Anders im „Haupstadtrevier“. Von wegen ein, zwei Sätze. Kempter spielt die alleinerziehende Elitepolizistin Julia Klug, die im Betrugsdezernat in der Polizeidirektion am Berliner Spittelmarkt – und notgedrungen wieder daheim bei ihren Eltern – landet, im Einsatz gegen Bauspekulanten, Heiratsschwindler oder fehl geleitete Klinikchefs. In der ersten Folge schlägt sie bei einem Kiosküberfall mit asiatischer Kampfkunst zwei Männer in die Flucht. Eine Art blonde Lara Croft an der Spree. Das ist keine Unterhaltung, die das Medium Fernsehen neu erfindet. Aber, wie gesagt, die Kempter kommt nach vorne.

Apropos blond. Das mit Deutschlands schönster TV-Krimi-Assistentin trifft ja umso mehr zu, wenn jetzt Tessa Mittelstaedt beim Kölner „Tatort“ aussteigt. Friederike Kempter hat Ähnliches mit ihrem „Tatort“ nicht vor. Sie schwärmt vom Team um Axel Prahl und Jan Josef Liefers, würde sich allerdings wünschen, dass die Figur Nadeshda Krusenstern im Krimi etwas mehr Raum bekäme. Nicht immer nur die Kommissaranwärterin sein. Aber das ist Klagen auf hohem  Niveau. Nicht so gut ist sie auf eine andere Zuschreibung anzusprechen. Wie oft ist sie gefragt worden, was es ihr bedeutet, 2010 von den Lesern des Männermagazins „GQ“ zur „ansehenswertesten Frau des Jahres“ gewählt worden zu sein? Oh Gott, ein verlegenes Lächeln. Wieder sinkt ihr Kinn auf die Arme, den Tisch. „Zig mal. Ich habe noch keine gute Antwort. Ich kann’s nur hinnehmen.“ Ihr wäre es lieber, man würde über ihren IQ reden statt über „GQ“.

Gerne, auch wenn’s dem Interviewer schwerfällt. Zum Beispiel über das, was die in Berlin-Mitte lebende Schauspielerin sonst so macht, wenn sie nicht in Berlin oder Köln/Münster vor der Kamera steht. Am liebsten lesen, im Urlaub, in einem Rutsch, viel Dostojewski. Zur Zeit Tolstois „Krieg und Frieden“. Abends, nach ’nem Drehtag, „Tage der Toten“ von Don Winslow, über Mexikos Drogenprobleme. Ansonsten lässt sie es entspannt angehen, liest leidenschaftlich gerne Zeitungen in Cafés, guckt Fußball (VfB Stuttgart!), schlendert mit ihrem iPod, Leonard Cohen im Ohr, durch die Stadt.

Was an Tagen nach so einer erfolgreichen „Tatort“-Ausstrahlung deutlich schwerer fallen dürfte. Es sei ihr manchmal nicht ganz klar, wie sie mit ihrer Prominenz in der Öffentlichkeit umgehen soll.„Ich bin ja nicht unbedingt jedem als Friederike Kempter geläufig, sondern eher, sagen wir, gesichtsbekannt.“ In der U-Bahn mache sie ein unbeteiligtes Gesicht. „Manchmal, zum Beispiel morgens beim Bäcker, sage ich auch: ,Ich bin’s nicht’.“ Vielleicht sollte sie Bäcker jetzt lieber meiden. Zum Start von „Hauptstadtrevier“ hing am Berliner Kino „Zoo-Palast“ ein 20 mal 20 Meter großes Plakat. Mit Friederike Kempter.

„Hauptstadtrevier“, ARD, 18 Uhr 50