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Bericht: Lasst 1500 Blumen blühen

Aus dem Alltag eines Olympiareporters in Peking.

Der Arbeitstag beginnt an diesem Morgen vor dem Olympia-Medienzentrum. Ein paar Dutzend Journalisten aus aller Welt haben sich vor dem Gebäude aus Stahl und Glas in der Innenstadt versammelt, das wie eine riesige Reisetasche aussieht. Mitarbeiter des Bocog, des Pekinger Olympischen Organisationskomitees, gehen Listen durch und telefonieren aufgeregt am Handy. Kameras werden in Busse geladen, Fotografen besetzen Fensterplätze. Ziel des Tagesausfluges: Besuch des Beilangzhong-Gewächshauses - dort werden die Blumen für Olympia gezüchtet.

"Entdecken Sie das Geheimnis der olympischen Blumenzüchtung", hatte das Einladungsschreiben der Bocog, verkündet. Es bestünde die Möglichkeit, "Arbeiter und Forscher in der Blumenzüchtung" zu interviewen. Doch spätestens als die Journalisten nach einer Stunde Anfahrt unter grauem Himmel über die Blumenbeete stolpern und es außer langen Reihen bunter Gewächse nichts zu berichten gibt, macht sich Enttäuschung bereit. Für die Kollegen der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua scheint sich der Ausflug gelohnt zu haben. "Frische Blumen begrüßen Olympia", lautet am nächsten Tag die Schlagzeile der Staatsagentur.

Wer als Reporter über Pekings Vorbereitung für die Sommerspiele berichtet, wird von einer Flut von Terminen überschüttet. Fast jeden Tag organisieren Chinas Olympiaplaner Pressekonferenzen, Rechercheausflüge und Hintergrundgespräche. Mal werden Medienvertreter über die "Standardisierung der englischen Übersetzung der öffentlichen Schilder in Peking" informiert. Mal reisen Journalisten zur Recherche zur örtlichen Qinghe-Kläranlage. Die Vielzahl der Pressetermine ist umso erstaunlicher, als Chinas Regierung bislang mit ausländischen Journalisten möglichst wenig zu tun haben wollte. Die meisten Ministerien hatten nicht einmal Pressesprecher. "Schicken Sie ein Fax!", lautete die Standardantwort, wenn Korrespondenten um Informationen nachfragten. Antwort erhielt man fast nie.

Die Vielzahl der Medientermine vor Olympia sind kein Zeichen für mehr Pressefreiheit. Vielmehr erwecken sie den Eindruck, als ob Pekings Olympiaplaner ein Medienprogramm abspulen, um Planzahlen zu erfüllen. Wirkliche Informationen über den Stand der Vorbereitungen und Chinas Sportsystem bekommen die Journalisten kaum. "Ich war selten auf Pressekonferenzen, bei denen es so wenig Informationen gab", sagt Benedikt Voigt, Sportkorrespondent des Tagesspiegel. Oft habe er den Eindruck, dass die Situation den ausländischen Journalisten gegenüber absichtlich "verschleiert" werde. "Wir haben auch fast keinen Zugang zu chinesischen Sportlern." Viele Athleten seien offenbar eingeschüchtert und lehnten Interviews ab.

Ähnliche Erfahrungen macht die Fernsehkorrespondentin Diana Zimmermann, die seit einem Jahr für das ZDF aus Peking berichtet: "Bei vielen Chinesen herrscht ein Klima der Angst und Verunsicherung." Zwar hatten Vertreter des Pekinger Außenministeriums Mitte Juni den Korrespondenten ausländischer Fernsehsender in einem Hintergrundgespräch zugesagt, dass die Regierung eine "freie Berichterstattung" begrüße. Doch viele Interviewpartner seien - möglicherweise auch durch die harsche Reaktion auf die Unruhen inTibet - eingeschüchtert und wollten möglichst wenig über Politik sprechen, sagt Zimmermann.

Auf den Pressekonferenzen der Bocog sind solche Themen tabu. Stattdessen sollen die Korrespondenten über Schönes schreiben, über Blumen zum Beispiel. Früher hätten im August in Peking nur "acht Blumenarten geblüht", berichtet der Olympia-Mediendienst. Mit "neuen Techniken" sei es für die Spiele jedoch gelungen, 1500 Blütensorten für Olympia zu züchten. Unter Mao hätte die Schlagzeile gelautet: Lasst 1500 Blumen blühen.

Harald Maass

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