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Medien: Bildung als Nahkampf

Ein Dokumentarfilm schildert den Alltag in der Schule – aus der Sicht der Lehrer

Vor knapp fünf Monaten sorgte ein Brief des Lehrerkollegiums der Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln bundesweit für Aufsehen. Darin zählten die Pädagogen ihre drängendsten Probleme auf: die zunehmende Gewaltbereitschaft der Schüler, deren „totale Ablehnung des Unterrichtsstoffes“, das Desinteresse der Eltern, der hohe Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunft und deren Perspektivlosigkeit. Am Ende forderten sie, die Hauptschule „zugunsten einer neuen Schulform“ aufzulösen. Der Brief las sich wie eine Kapitulationserklärung. Wohl auch deshalb erzielte er eine Resonanz, wie es eine von Lehrern geführte Klage bis dahin noch nie geschafft hatte. Dass ähnliche Probleme in der gesamten Republik auftreten, ist freilich längst nicht mehr zu übersehen.

„Die Schüler spüren es, wenn man schwach ist“, sagt Lehrerin Stephanie Harkcom. „Man muss ihnen das Gefühl geben, man geht in den Ring und weiß genau, ich bin der Stärkere.“ Bildung wird zum Nahkampf, Lehrer Ludwig Zimmermann fühlt sich gar „an der Front“. In ihrem 90-minütigen Dokumentarfilm „Beruf Lehrer“ beobachten Wilma Pradetto (Buch und Regie) und der zweifache Grimme-Preisträger Thomas Schadt (Buch) den Alltag von Harkcom, Zimmermann und weiteren Lehrerkollegen an der Tulla-Realschule in Mannheim. Der Film entstand vor den Ereignissen um die Rütli-Schule, auch sind die Verhältnisse hier nicht annähernd so aus dem Ruder gelaufen wie in Berlin-Neukölln. Dafür darf die Tulla-Realschule mit rund 800 Schülern und einem Ausländeranteil von 50 Prozent als etwas repräsentativer gelten.

Pradetto und Schadt, der zuletzt mit „Amok in der Schule“ einen Film über das Blutbad am Erfurter Gutenberg-Gymnasium gedreht hatte, zeigen kurze Szenen von verschiedenen Schulsituationen und lassen ansonsten die Lehrerinnen und Lehrer reden. Da kommt viel aufgestauter Frust hoch, über die öffentliche Meinung, über die Versäumnisse der Politik, über das Alleingelassenwerden mit den Problemen in den Familien. „Das einfache Benehmen fehlt. Die Schüler bringen von zu Hause gar keine Kenntnisse mit“, empört sich Hauswirtschaftslehrerin Brigitte Sicilia. Sie tritt in ihrem Unterricht wie ein Feldwebel auf und baut nach der Schule ihre Aggressionen beim Autofahren ab. Klassenlehrer Gerhard Bayha pflegt einen verständnisvolleren Ton. „Die Schüler müssen das Gefühl haben, dass sie gemocht werden, dass sie respektiert werden.“ Die Lehrer klagen und kritisieren, aber es ist niemand dabei, dem der Beruf oder Schüler gleichgültig wären. Ja, sie habe Angst, sagt Englischlehrerin Johanna Görtz. Davor, dass ihr ein Schüler entgleitet, dass sie nichts mehr für ihn tun könne. Sie habe Angst vor der eigenen Machtlosigkeit.

Vermutlich hat es noch keinen Film gegeben, der ähnlich fair mit den viel gescholtenen Schulpädagogen umgegangen ist. Niemand wird vorgeführt, auch nicht in den Unterrichtsszenen, in denen die Anspannung und Überforderung der Lehrer zu spüren ist. Es gibt keinen Kommentator, der es sowieso besser weiß, und keine Eltern oder Schüler, die ihren Teil zum beliebten Spiel der gegenseitigen Schuldzuweisungen beitragen. Es ist ein wohltuend einseitiger Film. Pradetto und Schadt begegnen den Lehrern unvoreingenommen. Deren Aussagen, die sonst gerne als Jammerei überbezahlter Beamter mit viel Nachmittagsfreizeit abgetan werden, stehen hier in einem Kontext von Bildern, die die speziellen Belastungen ihres Berufs unterstreichen: die Position vor einer unruhigen Klasse, die ständige Streitschlichtung zwischendurch, der Lärm und das Gedränge auf den Fluren.

Etwas geschönt wirkt der Film dann aber doch: Was fehlt, sind die Konflikte innerhalb der Lehrerkollegien selbst, die zuweilen auch nicht von schlechten Eltern sind. Und hin und wieder ein Gedanke, was die Lehrer selbst besser machen könnten – das hätte dem Film nur gutgetan.

„Beruf Lehrer“, Mittwoch,

ARD, 23 Uhr 15

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