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Medien: Blogout

„Ich hoffe, Sie hatten eine inspirierende Zeit und wünsche Ihnen eine ebensolche“, so verabschiedet sich der Netzjournalist Mario Sixtus auf dem preisgekrönten Videoblog „Elektrischer Reporter“ von seinem Publikum. Dreieinhalb Jahre und 24 Folgen lang hatten er und sein Team für „Handelsblatt.

„Ich hoffe, Sie hatten eine inspirierende Zeit und wünsche Ihnen eine ebensolche“, so verabschiedet sich der Netzjournalist Mario Sixtus auf dem preisgekrönten Videoblog „Elektrischer Reporter“ von seinem Publikum. Dreieinhalb Jahre und 24 Folgen lang hatten er und sein Team für „Handelsblatt.com“ witzig und lehrreich erklärt, was die digitale Welt im Innersten zusammenhält. Seit November 2008 lief die Reihe auch im ZDF Infokanal. Insgesamt 184 Experten wurden befragt, 99 Orte besucht und 92 353 Kilometer zurückgelegt – was einer doppelten Erdumrundung auf Äquatorhöhe entspricht, „inklusive einiger Schlenker“.

Nun zieht der „Elektrische Reporter“ den Stecker. Ihm sei die Kunstfigur des Typen mit 8-Bit-Pixelkrawatte, „der verschwurbeltes Fernsehsprech von sich gibt“, zunehmend auf den Senkel gegangen, schreibt Sixtus. Die Figur könne sich nicht entwickeln, bleibe in der 70er-Jahre-Ironie stecken. Außerdem sei die Produktion der rund zehnminütigen Videobeiträge extrem aufwendig gewesen. Herstellung und Aufbereitung des Materials hätten viel Zeit und Arbeitskraft gekostet. „Für ein winziges Team wie das unsere hieß das: permanenter Ausnahmezustand, Leben im Hamsterrad seit über einem Jahr.“ Beide Probleme hätten sich „nicht einfach wegoptimieren“ lassen – weshalb die Produktion „jetzt erst mal auf Stand-by“ geschaltet und das Format „mit den Erfahrungen aus den letzten Jahren“ neu konzipiert werde. Eine dritte Staffel sei im Übrigen ohnehin von Anfang an nicht geplant gewesen, sagte der Düsseldorfer Sixtus dem Tagesspiegel.

Die bisherige Arbeit hat sich gelohnt, das zeigen nicht nur die vielen traurigen Leserkommentare auf der Homepage. Der Blog gewann 2007 den Grimme Online Award und den Lead Award in Silber, die einzelnen Folgen auf www.elektrischer-reporter.de hatten laut Sixtus jeweils zwischen 50 000 und 100 000 Aufrufe, dazu kommen die Klicks in der ZDF-Mediathek, auf Videoportalen oder in Tauschbörsen. „Uns war wichtig, auf allen Kanälen zu senden“, sagt Sixtus. Die Nutzer hätten die Sendung schließlich bezahlt – mit ihren GEZ-Gebühren.

Ist der Rückzug des Vorzeigeblogs ein Zeichen für den Niedergang der Bloglandschaft? In den USA ist laut einer aktuellen Studie des Pew Internet & American Life Project der Anteil der Blogger in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen in den vergangenen fünf Jahren von 24 auf 15 Prozent gesunken. Die Altersgruppe der Zwölf- bis 17-Jährigen nutzt lieber soziale Netzwerke, Spiele- oder Videoportale. Der Studie zufolge sind drei Viertel dieser Altersgruppe bei Facebook und ähnlichen Diensten, vor vier Jahren waren es noch 55 Prozent. Insgesamt gebe es in den USA mehr als 30 Millionen Blogs. Hierzulande ist es nur rund eine halbe Million – „Deutschland war nie ein Blogland“, bringt der Berliner Netztheoretiker Sascha Lobo es auf den Punkt.

Von einem Niedergang kann dennoch keine Rede sein, da sind Lobo und Sixtus sich einig. An ihrer Zusammenarbeit in der Videoglosse „Sixtus vs. Lobo“ werde sich bis Vertragsende im Sommer jedenfalls nichts ändern, versichert Sixtus. Aber: „Natürlich ist die digitale Avantgarde gezwungen, sich permanent zu verändern.“ Die Halbwertszeit bestimmter Formate sei nun einmal begrenzt. Und dass viele Nutzer von den Blogs zu den Sozialen Netzwerken abwandern, beobachten die beiden Blog-Pioniere durchaus. „Die Blogger haben mächtige Mitspieler bekommen“, stellt Lobo fest. Auch große Konzerne nutzten inzwischen die Instrumente der digitalen Avantgarde – um Kunden zu gewinnen und zu binden. Der Präsident des US-Fernsehsenders CNN sagte kürzlich, für ihn sei Facebook mit seinen 500 Millionen Nutzern eine größere Konkurrenz als der Sender Fox mit seinen zwei Millionen Zuschauern.

Für Lobo bleiben Blogs dennoch „die Seele des Internets“. Sie seien unverzichtbar als „unabhängige Stimmen des Einzelnen in der digitalen Welt“. Zwar gebe es immer mehr konkurrierende Angebote, die sozialen Netzwerke hätten teilweise die Hinweisfunktion der Blogs übernommen. Ein Facebook-Eintrag oder ein Twitter-Post bestehe oft nur aus einer kurzen Beschreibung plus Link – von denen wiederum aber ein Gutteil auf Blogs verweise. Diese neu entstandene „Empfehlungsökonomie“ müsse die „Digitale Bohème“ für sich nutzbar machen.

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