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Medien: Bühne fürs Volk

Eindrucksvoller Dokumentarfilm über den Berliner Rosa-Luxemburg-Platz

Im Rückblick werden sie alle nostalgisch: die Tochter des 1931 vor dem Kino Babylon erschossenen Polizeirevier-Vorstehers Paul Anlauf und der heute in einem Kibbuz in Israel lebende Jürgen Loewenstein. Heinz Marohn, der sich als Junge den Roten Jungpionieren anschloss und Eva-Marie Koneffke, die ihr Leben lang hier gelebt hat, die junge Mutter, die zu DDR-Zeiten ins Scheunenviertel zog, als dort keiner wohnen wollte, und Stefan Lucks, der vor zehn Jahren hierher kam, seine Wohnung renovierte und unter den Lagen von Tapeten die Judensterne einer ehemaligen Talmud-Schule fand. Sie alle lebten und leben gerne hier. Und erzählen die Geschichte ihres Platzes.

Vier Mal hat er in den vergangenen hundert Jahren seinen Namen gewechselt, jener dreieckige Platz zwischen Scheunenviertel und Alexanderplatz. Er hieß zunächst Babelsberger Platz, dann Bülowplatz und Horst-Wessel-Platz, Karl- Liebknecht-Platz und nun Rosa-Luxemburg-Platz. Er war das Zentrum der ostjüdischen Gemeinde in Berlin und gleichzeitig ein berüchtigtes Amüsierviertel. Zille holte sich hier seine Motive, Ernst Lubitsch wuchs hier auf und stand unter Max Reinhardt hier auf der Bühne. Der Hauptmann von Köpenick kaufte hier seine Uniform, Thälmann hielt seine Reden, zu DDR-Zeiten war das Babylon Premierenkino, nach der Wende kam Frank Castorf an die Volksbühne und machte den Platz zum Inbegriff innovativen Theaters.

Vor allem aber war es immer ein politischer Platz. Die kommunistische Partei zog 1926 ins Karl-Liebknecht-Haus direkt an der Volksbühne und wurde dort 1933 von den Nationalsozialisten vertrieben, die das Haus in Horst-Wessel-Haus umbenannten und einen „Ehrenhain für die Gefallenen der NS-Bewegung“ einrichteten. Straßenschlachten zwischen Kommunisten und Nazis spielten sich hier ab, die Polizei sprach vom „Unruhebezirk Nummer eins“. 1931 werden zwei Polizisten hier erschossen, die Täter, unter ihnen Walter Ullbricht und Erich Mielke, werden nie gefasst. 1949 kamen die Kommunisten zurück, 1990 zog die PDS ein. Der Prozess gegen Mielke wegen der Polizistenmorde wird erst 1992 wieder aufgerollt: die Strafakte, damals von der West-Berliner Justiz der DDR überstellt, hatte sich in Mielkes Tresor gefunden.

All das erzählt die Dokumentarfilmerin Britta Wauer in ihrem höchst suggestiven Fernsehfilm „Berlin – Ecke Volksbühne“. Sie hätte kein dankbareres Thema finden können, um die Geschichte Berlins im 20. Jahrhundert zu bündeln. Dem Fluss der Geschichte folgend, blendet sie historische Aufnahmen, Filmmaterial, Plakate, Flugblätter und Gegenwart übereinander, zeichnet mit flottem Strich die Umrisse von Platz und Volksbühne nach, braucht nicht mehr tun, als immer wieder diesen Platz und seine Anwohner sprechen zu lassen. Geblieben ist nur wenig: Stolpersteine, die an die ehemaligen jüdischen Bewohner, auch Jürgen Loewensteins Eltern, erinnern, die deportiert und ermordet wurden. Demnächst Aussprüche Rosa Luxemburgs, die ins Pflaster des Platzes eingelassen werden sollen. Und das rostige Logo der Volksbühne, ein Rad auf Füßen. Es ist ein ehemaliges Räuberzeichen und bedeutet: „Vor Überfällen wird gewarnt.“ Auch Ganoven lebten immer am Rosa-Luxemburg-Platz.

„Berlin – Ecke Volksbühne“: Arte, 20 Uhr 40

Christina Tilmann

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