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Casting-Shows: Der Mann für gewisse Träume

Stefan Raab ist näher dran am guten Geschmack – aber wer Aufregung sucht, muss Dieter Bohlen schauen

Dieter Bohlen ist wahrscheinlich nicht bescheuert. Er hat ein Einser-Abitur, Betriebswirtschaftslehre studiert, in seiner Jugend war er – wie es bei vernünftigen Menschen sein sollte – für ein paar Wochen Kommunist. Und wahrscheinlich hätte er Lena Meyer-Landrut unter die letzten 15 Kandidaten von „Deutschland sucht den Superstar“ gelobt, denn es ist ja nicht so, dass Bohlen nicht hören könnte, ob einer singen kann oder nicht. Und Lena kann singen. Aber weil es in dieser ganzen Geschichte nicht ums Singen geht oder darum, ein Talent zu finden, ist es viel komplizierter. Lena würde niemals im Fernsehen vor Dieter Bohlen singen. Lena singt im Fernsehen vor Stefan Raab. Das ist ein großer Unterschied. Oder?

Im aktuellen „Spiegel“ gibt es ein kurzes Interview mit der 18-jährigen Lena Meyer-Landrut, sie sorgte vergangenen Dienstag für den einzigen Höhepunkt in Stefan Raabs Castingshow „Unser Star für Oslo“, in der ein Sänger oder eine Sängerin gesucht wird, den Deutschland guten Gewissens zum „Eurovision Song Contest“ schicken kann. An dieser Show hängt viel, es sei eine „nationale Aufgabe“, deshalb wohl macht Pro 7 mit der ARD gemeinsame Sache, deshalb wohl hat das Feuilleton fast einstimmig die erste Sendung bejubelt. Mit Lena scheint die „nationale Aufgabe“ bereits erledigt zu sein. Außerdem ist sie ist klug, denn vom „Spiegel“ angesprochen auf die eher mauen Quoten von „Unser Star für Oslo“ und dem Hinweis, „DSDS“ sei erfolgreicher, sagt sie: „... und viel schlechter, das interessiert mich gar nicht. Leider gibt es offenbar weniger Menschen, die sich für Anspruchsvolleres begeistern können.“ Bei „DSDS“ würde sie „nie“ auftreten: „Die Art der Sendung finde ich schlimm.“

Nun ja. Schlimm sind beide Sendungen – jede auf ihre Art: „Unser Star für Oslo“ ist langweilig, brav, nett. „DSDS“ ist böse, Trash-TV, eine Show, wie sie sich nur der Teufel ausgedacht haben kann, um den Zuschauer zu verdummen und junge Menschen zu zerstören. Aber der Teufel spielt keine Rolle bei „DSDS“ – die Hauptrolle spielt Dieter Bohlen, und der Mann ist jetzt seit mehr 25 Jahren erfolgreich im Unterhaltungsgeschäft. Er hat Erfolg mit Dingen, mit denen ein halbwegs intelligenter, aufgeklärter, kulturell interessierter Mensch nichts zu tun haben will: mit Kompositionen, die sich in ihrer Banalität gleichen. Mit Büchern, die auch nicht dadurch besser werden, dass sie eine Frau von „Bild“ mitgeschrieben hat. Und eben mit „DSDS“, der Sendung, die bereits in der siebten Staffel von RTL gezeigt wird. Bohlen saß in der ersten Jury und er ist jetzt „Chefjuror“. Er hat alle anderen Jurymitglieder überlebt, er hat alle bisherigen Moderatoren überlebt und er hat auch jeden „DSDS“-Gewinner überlebt.Der anhaltende Erfolg des Formats ist sein Erfolg, die Sendung wurde Dieter Bohlen angepasst wie ein Anzug – wenn er denn mal einen Anzug tragen würde.

Am Sonntag wurde er 56 und er kleidet sich auch wie ein 56-Jähriger, wie ein 56-Jähriger, der irrerweise glaubt, Jugendlichkeit könne man mit dem Tragen von ausgewaschenen Jeans, Turnschuhen und pastellfarbenen Pullovern herstellen. Raab trug bei „Unser Star für Oslo“ einen Anzug.

Natürlich sind Raab und seine Sendung näher dran am Feuilleton und am guten Geschmack – nur wird daraus noch kein aufregendes Fernsehen. Bohlen und „DSDS“ sind anders. Sie wollen keinen Applaus, sie wollen Quote und Geld – und beides bekommen sie, weil sie Ruhm versprechen, weil einer wie Bohlen dafür steht, dass man es schaffen kann. Womit? Spielt eigentlich keine Rolle. Was genau? Auch nicht wirklich. Aber man kann!

Die Haltung von Bohlen und „DSDS“ spricht eine sogenannte Parallelwelt an, die man fast schon Mainstream nennen kann. Eine Welt der Aufsteigerträume von Unterschichtkindern, für die „Starwerden“ der einzig mögliche Weg zu sein scheint. Dabei kann man ihnen zuschauen, dabei tragen sie ihre Unterschichtuniformen, die sich an der Kleidung von Dieter Bohlen mindestens orientiert. Bohlen weiß das – wieso sollte er sonst so affig rumlaufen?

Den Unterschied beider Formate erkennt man bereits an den Namen der Protagonisten. Einige der Vornamen der letzten 15 Kandidaten der aktuellen „DSDS“-Staffel: Kevin, Mehrzad, Nelson, Menowin, Kim, Céline, Naomi. Und so heißen einige Kandidaten von „Unser Star für Oslo“: Katrin, Lena, Kerstin. Auf der einen Seite Bürgerkinder, auf der anderen Straßenkinder, zwei der „DSDS“-Kandidaten waren bereits im Knast.

Die meisten Kandidaten von „DSDS“ haben Dieter Bohlen als Musiker nie erlebt, da sie in den 80er Jahren, als Bohlen mit seiner Band „Modern Talking“ unfassbare Erfolge gefeiert hat, noch nicht geboren waren. Sie kennen Bohlen als das, was er seit einigen Jahren mithilfe der „Bild“ und „DSDS“ versucht zu sein: eine Legende, eine Art Instanz, dessen Existenzberechtigung sich allerdings nur dadurch zeigt, dass er eben der Chefjuror von „DSDS“ ist. Es ist ein geschlossenes System – und es funktioniert. So gut, dass aus Dieter Bohlen in den vergangenen Jahren Herr Dieterbohlen geworden ist: ein älterer Mann, dem junge Menschen gefallen müssen, wenn sie im Leben etwas erreichen wollen.

Das Problem ist nur, dass sie nichts erreichen – egal, ob sie im Recall rausfliegen, oder gewinnen. Im Fernsehen findet man kein Topmodel, kein Supertalent und auch keinen Sänger, der das Zeug zum Star hat. Im Fernsehen findet man Leute, die im Fernsehen funktionieren – aber nur, so lange sie genau das machen, was das Fernsehen von ihnen will. Und wenn das Fernsehen nichts mehr von ihnen will, dann ist es halt vorbei, dann kommt etwas Neues, dann schalten die Zuschauer um. Es ist völlig egal, welcher Kevin oder Nelson diese Staffel von „DSDS“ gewinnt. Es ist völlig egal, welche Lena oder Katrin beim „Eurovision Song Contest“ antritt. Im nächsten Jahr geht alles in eine neue Runde, spätestens dann sind die Sieger vergessen.

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