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Medien: Das Bonsai-Imperium

Regelmäßig kommen die Medienbeteiligungen der SPD in die Schlagzeilen. Tatsächlich ist die vermeintliche Macht der Partei minimal

Für Günter Nooke ist die Sache klar: „Wir brauchen uns nichts vorzumachen: An einigen Stellen haben wir hier Berlusconi von links“. Nooke ist seit Oktober der medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundesfraktion, und er stört sich massiv an den Medienbeteiligungen der SPD. Daher unterstützte er auch den Vorstoß der Berliner CDU, „SPD draufzuschreiben, wo SPD drinsteht“. Im November wurde auf Initiative der CDU das Berliner Pressegesetz dahingehend geändert, dass Zeitungen und Magazine ihre Besitzverhältnisse künftig im Impressum veröffentlichen müssen. Auf Bundesebene scheiterten die Konservativen mit weiter gehenden Bestrebungen im April. Damals hatte der Bundestag als Konsequenz aus den Spendenskandalen ein neues Parteiengesetz beschlossen. Im Zuge der Änderung wollte die CDU/CSU auch den Gesetzesparagraphen erweitern, der Stellung und Aufgaben der Parteien regelt. „Unmittelbare oder mittelbare Beteiligungen, die den Parteien eine bestimmende Einflussnahme auf Medien ermöglichen“, sollten untersagt werden. Die Aufnahme des Passus scheiterte an der Regierungskoalition.

So lange Altkanzler Helmut Kohl fest im Sattel saß, scherte sich niemand darum, ob und wie viele Zeitungen die SPD besitzt. Erst mit dem Regierungswechsel 1998 sind die Medienbeteiligungen zum Gegenstand von Veröffentlichungen und medienpolitischen Initiativen geworden. Dabei ist die Bedeutung der Parteipresse ein Thema vergangener Zeiten. Nur Pressehistoriker wissen noch, dass sich über die Hälfte aller Zeitungen vor dem Ersten Weltkrieg zu je einer der großen politischen Parteien bekannte. 1954 erschienen noch 24 SPD-Zeitungen im Bundesgebiet. Optisch wirkten sie schon für damalige Verhältnisse altbacken, inhaltlich dominierte das, was verdiente Parteifunktionäre für wichtig erachteten. Für die meisten hatte die Vermittlung des Standpunktes ihrer Partei Vorrang vor einer sachgerechten Informationsvermittlung. Zudem dienten die Zeitungen als Finanzquelle der Parteiorganisation. Auch heute ist das so: 18,1 Millionen Euro betrug 2001 der Jahresüberschuss der SPD-Medienbeteiligungen. Davon wurden 9,6 Millionen Euro direkt an die Partei ausgeschüttet.

Von den 24 Blättern, die in den 50er Jahren noch erschienen, haben unter ihrem traditionellen Namen bis heute nur vier überlebt; zwei weitere indirekt, indem sie unter Aufgabe ihres Namens mit einer konkurrierenden Zeitung fusionierten, bevor die bröckelnde Auflage dazu geführt hätte, dass sie eingestellt werden. An der „Westfälischen Rundschau“ (Dortmund) und an der „Neuen Presse“ (Hannover) hält die SPD über die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), in der sie ihre Pressebeteiligungen bündelt, nur noch Minderheitsanteile; die „Neue Ruhr Zeitung“ (Essen) ist der SPD über eine Stiftung verbunden. Bei der „Hamburger Morgenpost“ fehlt nach mehreren Eigentümerwechseln jede Verbindung zur SPD. Die beiden aus einer Fusion entstandenen Titel in Bielefeld und Cuxhaven sind deshalb bemerkenswert, weil hier die höchsten Anteile anzutreffen sind, die die DDVG an Zeitungsverlagen besitzt: ein Anteil von 57,5 Prozent an der „Neuen Westfälischen“ (entsprechend dem zum Zeitpunkt der Fusion eingebrachten eigenen Auflagenanteil), von 50 Prozent an den „Cuxhavener Nachrichten“. Der ursprüngliche Zeitungsbesitz der SPD ist also weitgehend den Folgen einer abwärts gerichteten Auflagen- Anzeigenspirale und damit unabweisbaren Konzentrationsvorgängen zum Opfer gefallen.

Wenn heute dennoch wieder über Zeitungen der SPD diskutiert wird, dann deshalb, weil die Partei in den letzten drei Jahrzehnten Eigentum auch an solchen Zeitungen erwarb, die zum Teil traditionell ganz anderen politischen Gruppierungen zugerechnet wurden. Nach der Wende sprach die Treuhandanstalt der SPD eine 40-Prozent-Beteiligung an der ehemaligen SED-Bezirkszeitung „Sächsische Zeitung“ (Dresden) zu. Bei diesen Kapitalbeteiligungen lagen die Vorteile für die Partei auf der Hand: Immer handelte es sich um Titel, die den regionalen oder lokalen Zeitungsmarkt dominierten. Den Treuhändern, und später der DDVG, ist es aber bei solchen Zukäufen nie gelungen, Mehrheiten zu erwerben oder auf Dauer zu halten. Die Anteile bewegen sich stets zwischen 20 und 31,25 Prozent.

Sowohl das Siechtum der SPD-Zeitungen als auch die neuen Beteiligungen waren in der Branche bekannt und sind bis in Einzelheiten in Publikationen dokumentiert. Über das Engagement der SPD am Pressemarkt wurde dennoch kaum etwas in den Medien veröffentlicht. Das Interesse der konservativen Presse stieg nur zu Wahlkampfzeiten, etwa 1998 mit mehreren Berichten in der „Welt“ sowie 2002 in der „FAZ“. Meist wurde die reale Situation drastisch überzeichnet, um eine erhebliche Bedrohung der Meinungsvielfalt zu belegen. Zum Beispiel in der „FAZ“ vom 10. Januar 2002. Ungeachtet der wahren Verhältnisse wurden dort fröhlich die Auflagen von Tageszeitungen und monatlichen Zeitschriften addiert, einige Titel wurden doppelt gezählt und Zeitungen (etwa aus der Ippen-Gruppe) wurden mit einbezogen, die mit der SPD gar nichts zu tun haben. Auf diese Weise kam die „FAZ“ auf eine Gesamtauflage der SPD-Zeitungen von knapp drei Millionen Exemplaren (was rund 13 Prozent der deutschen Zeitungsauflage entsprechen würde).

Diese Zahl geistert seither immer wieder durch die medienpolitische Diskussion, so auch in dem kürzlich erschienenen Buch von Andreas Feser: „Der Genossen-Konzern. Parteivermögen und Pressebeteiligungen der SPD“. Wieder war es die „FAZ“, die Fesers Thesen aufgegriffen hat. Dabei hat sie völlig selbstständigen Verlagen, die den Mantel ihrer Zeitungen von einer Zeitung mit SPD-Beteiligungen beziehen, auch das Etikett eines SPD-Verlages aufgeklebt. So wurde selbst die „Süddeutsche Zeitung“ zu einem mit der SPD verbundenen Unternehmen, weil ihr Verlag Mehrheitsgesellschafter in Verlagen ist, an denen die DDVG beteiligt ist. Bliebe man konsequent, müsste man auch die Axel Springer Verlag AG als SPD-nahe einstufen, da Springer die Hälfte der „Leipziger Volkszeitung“ gehört und seinem Partner, der Madsack- Gruppe in Hannover (an der die DDVG mit 20,35 Prozent beteiligt ist), dort sogar die unternehmerische Führung überlassen hat. Wenn man den Vorstoß der Baden-Württembergischen CDU vom 20. August 2002 ernst nimmt, müsste sich Springer also von allen Hörfunk- und Fernsehaktivitäten zurückziehen – entsprechend der Forderung, diese seien schon dann unzulässig, wenn man mit Medienunternehmen kooperiere, an denen die SPD Anteile hält.

Wie hoch sind die Marktanteile tatsächlich, wenn man die Auflagenanteile nach der Höhe der Beteiligungen gewichtet? Derzeit gibt es neun Zeitungsverlage, an denen die DDVG direkt (mit Anteilen zwischen 57,5 und 13,1 Prozent) beteiligt ist. Die verkaufte Auflage dieser regionalen/lokalen Zeitungen beträgt 1 007 600 Stück. Diese neun Verlage sind mit unterschiedlichen Anteilen wiederum indirekt an weiteren 22 Zeitungsverlagen mit einer Gesamtauflage von 670 800 Exemplaren beteiligt. Hinzu kommt eine indirekte Beteiligung der DDVG an einer Straßenverkaufszeitung mit einer Auflage von 110 400 Stück. Gewichtet ergibt sich aus allen direkten und indirekten Beteiligungen der DDVG an Tageszeitungen eine Gesamtauflage von 437 500 Exemplaren (3. Quartal 2001). Bezogen auf die Gesamtauflage im Zeitungsmarkt liegt der Anteil der DDVG-Zeitungen also bei insgesamt 1,8 Prozent. Der Marktanteil bei den regionalen/lokalen Abonnementzeitungen beträgt 2,3 Prozent, der Marktanteil bei Straßenverkaufszeitungen 0,7 Prozent. Von wirtschaftlicher Macht der DDVG und damit der SPD auf dem Zeitungsmarkt kann wohl kaum die Rede sein.

Aber stellt eine Beteiligung an immerhin 32 Zeitungsverlagen nicht publizistische Macht dar? Lässt sie sich zu Gunsten der SPD einsetzen oder aktivieren? Erstens: Es gibt nur eine Mehrheitsbeteiligung der DDVG, und dort vertritt der geschäftsführende Minderheitsgesellschafter primär die Interessen seiner früheren „bürgerlichen“ Zeitung. Zweitens: Fast alle genannten Zeitungen haben in ihrem Verbreitungsgebiet die Allein- oder Erstanbieterposition oder sind mit dem jeweiligen Marktführer wirtschaftlich verbunden. Sie sind daher geradezu gezwungen, eine ausgewogene politische Haltung anzustreben. Denn nur eine ausgewogene Berichterstattung garantiert eine breite Akzeptanz bei den Lesern. Und nur so können letztlich neue Wettbewerber verhindert werden. Drittens: Einige der genannten Zeitungen haben mit anderen Verlagen Verträge über die Lieferung des Zeitungsmantels, also mindestens der aktuellen überörtlichen Zeitungsseiten. Die Verträge stünden infrage, wenn der Inhalt der übernommenen Seiten unausgewogen wäre oder eine deutliche Präferenz für eine politische Richtung erkennen ließe. Es spricht einiges dafür, dass die DDVG und damit die SPD aus ihrer Beteiligung an erfolgreichen Zeitungen durchaus ökonomischen Nutzen zieht, ihr publizistischer Einfluss aber marginal sein dürfte.

In die Diskussion über SPD-Zeitungen wird meist der Essener WAZ-Gruppe einbezogen. Aus der Entstehungsgeschichte der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“, die der Gruppe den Namen gibt, lässt sich das nicht herleiten. Die „WAZ“ wurde 1948 als dezidiert parteiunabhängige Zeitung für das Ruhrgebiet lizenziert. Der in der Nachkriegszeit beispiellose Erfolg der „WAZ“ war nur möglich, weil sie ganz bewusst die Nähe zu einer breiten Leserschaft suchte, indem sie sich durch eine politisch unabhängige Linie von den parteinahen Titeln im gleichen Verbreitungsgebiet deutlich absetzte. Der parallel laufende Abstieg der mit ihr konkurrierenden Zeitungen führte drei von ihnen 1974/75 unter das Dach der „WAZ“-Gruppe, wo sie im engen wirtschaftlichen Verbund ihrer früheren politischen Richtung – sozialdemokratisch bei der „Westfälischen Rundschau“ und „NRZ“ wie christlich-demokratisch bei der „Westfalenpost“ (Hagen) – folgen können. Deren Existenz zeigt, dass es in Deutschland in der Tat parteinahe Zeitungen gibt – und zwar in beiden großen politischen Lagern.

Walter J. Schütz

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