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Medien: Das Prinzip Pomade

VORSICHT! WERBUNG Vor vier Wochen stand an dieser Stelle ein kräftiges Lob auf die VW-Werbung für den Polo.

VORSICHT! WERBUNG

Vor vier Wochen stand an dieser Stelle ein kräftiges Lob auf die VW-Werbung für den Polo. Heute geht es um andere Fragen: Warum fährt der neue Golf 5 jetzt auch geradeaus? Wieso schafft er plötzlich Kurven? Und wie ist es möglich, dass er im Gegensatz zum alten Vierer Spaß macht?

Sicherlich haben sich die Kreativen von der Werbeagentur DDB Berlin gedacht: Wenn wir eine technische Neuerung wie die Vierlenker-Hinterachse herunterspielen, ist das viel überraschender als das übliche Selbstlob. Leider hat die Sache einen kleinen Haken. Was ein Werber versteht, ist für den normalen Autofahrer ein Schmarren. Habe ich vor einer Woche – wieder einmal – in meiner Stammkneipe erlebt.

Da hatte ein Mensch die „Bild am Sonntag“ mit just einer Geradeausfahr-Anzeige in Sachen Golf vor sich liegen. Und weil er weiß, dass ich in der Reklame arbeite, stellte er mir vorwurfsvoll die Frage: „Was habt ihr euch denn dabei gedacht?“ Auf die Schnelle fiel mir nur ein Argument ein: „Das ist das Pomadenprinzip.“ – Vor hundert Jahren war es nämlich üblich, die Leser mit seltsamen Überschriften auf den Inhalt einer Anzeige aufmerksam zu machen. Eine der berühmtesten lautete „Hingerichtet!“ Dann ging’s weiter mit Pünktchen … und schon richteten sich alle Blicke auf die fabelhaften Frisuren mit der einzigartigen Pomade von Dr. Schlotterbeck. Kann sein, dass damals einige zehntausend Leser auf den Trick reingefallen sind. Heute aber, wo jeder Mensch bewusst oder unbewusst im Durchschnitt und pro Tag ungefähr 2000 Werbebildern ausgesetzt ist, geht das an den Lesern komplett vorbei.

Immer wieder streite ich mich mit Studenten aus Design und Kommunikation über das so genannte Neugierigmachen. Wie vor hundert Jahren leben sie im Glauben, wenn man die Verbraucher über das Produkt im Unklaren lässt, wollen sie unbedingt wissen, was Sache ist. Tatsächlich machen Anzeigenleser, Fernsehzuschauer oder Radiohörer, sofort dicht, wenn sie nicht eine klare, interessante Information bekommen. Anders im Kino. Da schauen sich die Besucher den nichtssagenden Unsinn an, weil sie auf den Film warten und gar nicht anders können, als auf die Leinwand zu schauen. Kommt dann nach vierzig Sekunden irgendein lächerliches Produkt, gähnen sie oder pfeifen halt ein bisschen. Manchmal lachen sie auch gequält, und der Produzent des Werbefilms sagt: „Toll, wie unser Streifen beim Publikum ankommt.“

Reinhard Siemes

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