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Datenhunger: Bitte mit Gefühl

Die Berliner Internetkonferenz Next ist der „Data Love“ gewidmet. Doppeldeutigkeiten nimmt der Veranstalter gerne in Kauf.

Matthias Schrader, Chef der Marketingagentur Sinner Schrader, hat leicht missionarische Züge. Zumindest stört es den Gastgeber der Internetkonferenz Next am Dienstag und Mittwoch in Berlin wenig, wenn der Titel der Veranstaltung zumindest doppeldeutig ist. „Bei ,Data Love‘ denken in diesen Wochen sicherlich viele an die diversen Datenlecks“, räumt Schrader am Montag ein. „Aber harte Daten wie mein Name, meine E-Mail-Adresse oder meine Kontonummer sind nur ein ganz kleiner Teil der Daten insgesamt, die wir heute mit jedem Klick, mit jeder Websuche und mit jedem Interneteinkauf produzieren. Mit diesen Daten kann man durchaus positiv umgehen, um für den Nutzer und Konsumenten einen Mehrwert zu schaffen“, sagt der Agenturchef auch mit Blick auf seine Kunden. Selbstverständlich müssten die Unternehmen bei der Sicherheit ihre Hausaufgaben machen, aber für die Industrie sei es eine spannende Aufgabe, die Potenziale zu nutzen, die in den Daten liegen.

Zu den Besonderheiten der Next, die 2011 zum sechsten Mal stattfindet, gehört die Mischung. Die Konferenz bringt Techniker, Marketingfachleute und Kreative zusammen. Der Wechsel von Hamburg nach Berlin sowie der Wechsel der Konferenzsprache von Deutsch zu Englisch hat das internationale Renommee der Veranstaltung gestärkt. Insgesamt stehen 150 Redner auf dem Programm, viele davon aus den USA oder Großbritannien. Amazons Vizechef Werner Vogel wird über die Bedeutung der Daten für den Geschäftsbetrieb des Versandhändlers berichten. Autor Tim Ferris erläutert, wie wichtig das Datenmanagement für seine „Four Hour Work Week“ ist. Um Daten geht es auch im Vortrag von Sarah Lacy, Redakteurin des Technikblogs Techcrunch. Auf einer Weltreise hatte sie Startups in aller Welt besucht und sich mit ihnen darüber unterhalten, was sie mit ihren Daten anfangen. Und Ex-Sony-Music-Chef Rolf Schmidt-Holz, wird darüber reden, welche Emotionen, Leidenschaften und welches Herzklopfen Nullen und Einsen auslösen können. Der Veranstalter rechnet mit über 1500 Besuchern.

Ralf Herbrich hat in der Forschungsabteilung von Microsoft in Cambridge die Technologie für eine neue Art der Internetsuche entwickelt. Herbrichs Arbeitsgruppe will dazu beitragen, dass Suchergebnisse individueller und somit relevanter werden. Zur Zeit bekommt bei einer Internetsuche jeder dasselbe Ergebnis. „Dabei interessiere ich mich bei einer Newssuche sicherlich für andere Themen als zum Beispiel meine Frau“, sagt Herbrich.

Zu individuelleren Ergebnissen kann einerseits gelangt werden, indem beobachtet wird, wie sich der Internetnutzer verhält. Dazu gehört, welche Themen und Seiten er aufruft. „Zum anderen vertrauen wir unterschiedlichen Menschen. Meine Freunde auf Facebook und die Menschen, denen ich auf Twitter folge, sind in dieser Kombination einmalig. Daraus lässt sich ebenfalls erkennen, was für mich relevant ist“, sagt der Microsoft-Forscher.

Bislang haben sich die Suchmaschinen von festen Regeln zu gelernten Relevanzfunktionen entwickelt. Am Anfang standen die von Alta Vista und Google bekannten Algorithmen, die mit Häufigkeitsverteilungen von Schlagworten in Dokumenten arbeiteten. Diese Regeln stammen ursprünglich aus dem Bibliothekarswesen. In den letzten fünf Jahren kam das Training von Relevanzfunktionen hinzu. Für Microsofts Suchmaschine Bing beurteilen mehrere Tausend Personen – so genannte Judges – die Relevanz bestimmter Schlagwörter auf einer 5-Punkte-Skala. Dieses Rankingsystem ist zwar noch immer nicht persönlich, aber bereits menschlicher als ein Algorithmus. Die Judges stammen aus vielen Teilen der Welt, auch deutschsprachige sind darunter.

Beim Projekt Emporia wird die Suche nun sozial. Jeder Suchende legt über sein individuelles Umfeld fest, was für ihn relevant ist. Das funktioniert so ähnlich wie bei den Amazon-Empfehlungen für Bücher oder DVDs. Das Emporia-Projekt ist ein Prototyp, den bereits mehrere Zehntausend Menschen für ihre Newssuche einsetzen. Damit es zu individuellen Ergebnissen gelangt, loggt sich der Suchende über die Emporia-Startseite bei seinen Facebook- und Twitter-Konten an.

Der Wunsch nach möglichst maßgeschneiderten Suchergebnissen geht allerdings einher mit einer neuen Diskussion um Datenschutz und Privatsphäre. Das ist auch den Microsoft-Forschern bewusst. „Die Emporia-Nutzer haben die volle Kontrolle, welche Daten sie mit dem System teilen wollen“, sagt Herbrich. Ob und wann die Emporia-Technologie in die allgemeine Bing-Suche einfließen wird, hängt dennoch auch davon ab, wie den Datenschutzbefürchtungen entgegengewirkt werden kann. Auch wenn sich dies Matthias Schrader sicherlich eher früher als später wünschen würde.

nextconf.eu

www.projectemporia.com

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