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Medien: Der Produzent, die Macht und die Provinz

Für den Thriller „Tödliches Vertrauen“ kehrten Otto Sander und Barbara Rudnik in ihre Heimatstadt Kassel zurück

Merkwürdiges Gefühl, dieses Haus zu betreten, das einst so stolz über die Mauer schaute, an dem unsichtbar die schrillsten Spuren Westberliner Geschichte kleben. Personenkontrolle, Drehkreuze, Geleitschutz bis zum Ziel. Und dann schweift der Blick aus dem 17. Stockwerk über den Osten Berlins, der gar nicht mehr grau in der fahlen Herbst-Sonne liegt.

Wer in so luftiger Höhe thront, hat Macht. Und keine Pose nötig. Jedenfalls nicht Hubertus Meyer-Burckhardt, seit einem Jahr Mitglied des Springer-Vorstandes, zuständig für elektronische Medien und das Buchgeschäft, vorher Chef der Multimedia-Film- und Fernsehproduktion in Hamburg. Offener Kragen und Blick, scheinbar ganz entspannte Gestik, aber er ist auf der Hut: das Zigarillo zwischen den Fingern erlischt immer wieder.

„Wenn ein Produzent Vorstand wird, bleibt er Produzent, egal was er tut. So wie jeder Journalist, der Vorstand wird, Journalist bleibt.“ Und was macht einen Filmproduzenten aus? Eine Idee entwickeln, Autor, Regisseur, Schauspieler dafür gewinnen, Geld beschaffen, die Durchführung überwachen, und das fertige Produkt schließlich zum Erfolg führen. „Das ist wie ein Gärtnerberuf, was Sie vor zwei bis drei Jahren gesät haben, bohrt sich jetzt durch den Boden ans Licht“. Und so erscheint plötzlich der Springer-Vorstand wieder als stolzer Produzent auf der Szene, und das gleich zweifach. Am 26. November startet „Mein letzter Film“ in den Kinos: ein fulminanter Monolog von Hannelore Elsner nach einem Drehbuch von Bodo Kirchhoff, inszeniert von Oliver Hirschbiegel (dem Regisseur von „Das Urteil“, einem vielfach preisgekrönten Werk, ebenfalls aus Meyer- Burckhardts Garten). Die unerwartet begeisterte Festival-Resonanz auf das Experiment rief einen Film-Verleiher auf den Plan. Das Fernsehen muss mit der ursprünglich für Juli 2002 geplanten Ausstrahlung warten. Und heute Abend zeigt das ZDF als „Fernsehfilm der Woche“ um 20 Uhr 15 „Tödliches Vertrauen“, einen Thriller der besonderen Sorte.

Wie ein drohender Vogel mit hochgerecktem Hals hockt die Herkulessäule über der von den Zeitläuften geschundenen Stadt Kassel. Sein Horst, der riesige Bergpark zu seinen Füßen, wirkt licht, beinahe idyllisch. Wenn da nicht unterm Laub von Zeit zu Zeit tote Mädchen lägen. Und wenn der Berg nicht durchlöchert wäre von Höhlen, die eigentlich den macht- und glanzsüchtigen Kurfürsten Kassels als Kühlräume dienten, die nun aber ein Unhold als Gefängnis für junge Frauen nutzte. Und wenn da nicht dieser reizende Rentner durch den Wald tappte, der sich auskennt wie keiner und mehr zu wissen scheint als gut ist: „Nur um Macht geht es dem Mörder“, raunt er, „wie Herkules“. Otto Sander spielt diesen Alten mit schillernder Abgründigkeit. Neben ihm agiert Christian Redl als polternd ungeschickter, resignierter Kommissar, und die blonde Forstarbeiterin, die sich berufen fühlt, den Täter endlich zu stellen, füllt Barbara Rudnik mit Leben. Diese drei verbindet mit ihrem Produzenten ein biografisches Detail: Sie alle stammen aus Kassel. Und sie alle haben jung diese nordhessische Stadt verlassen, in der bisher nur ein einziger Film gedreht wurde: „Rosen für den Staatsanwalt“ von Wolfgang Staudte. Das war im Jahr 1959.

„Seitdem ich Produzent bin“, sagt Meyer- Burckhardt, „seit Anfang der 80er Jahre also, träumte ich davon, einmal in meine Heimatstadt zurückzugehen mit mindestens drei Schauspielern aus diesem Ort, um dort einen Film zu drehen.“ Und dann kamen Zeit und Möglichkeit, die Vier fanden sich und sagten das Fällige: „Lasst uns was gemeinsam machen“. In Kassel. Als melancholisches Memento der verrinnenden Zeit: Erinnerungen tauchen auf beim Drehen, ans Rodeln, den ersten Kuss, die erste Begegnung mit Film.

„Wer gerne lebt, so wie ich, findet es außerordentlich bedauerlich, dass retrospektiv immer mehr Zeit ist und vorn immer weniger.“ Der 46-jährige Meyer-Burckhardt lacht die Bedrückung weg.

Der ortsfremde Drehbuchautor Timo Berndt streifte durch die Stadt, entdeckte die Schönheit des Bergwaldes und die Unheimlichkeit des Allmacht-Monumentes Herkules und entwickelte unmittelbar aus den gefundenen Motiven die Geschichte – die Provinz als unverwechselbar realitätsträchtiger Ort, fern von jedem Heimatschwulst. Regisseur Johannes Grieser taucht das Geschehen in matte Herbstfarben und entwickelt es so konsequent langsam, dass die Spannung untergründig packt.

Eigentlich hatte der leidenschaftliche Produzent („Mich hat ganz früh der Beruf interessiert, der sich an der Nahtstelle zwischen Kunst und Kreativität einerseits und Kapital und Organisation andererseits ansiedelt“) noch eine ganze Reihe von Provinzfilmen geplant, in Paderborn zum Beispiel. Oder in der Arbeiterstadt Mannheim, woher Uwe Ochsenknecht und Esther Schweins stammen. Nicht aus ideologischen Gründen – hie Globalisierung, da Rückzug in die überschaubare Region, Besinnung auf Wurzeln und verlorene Werte – sondern aus spielerischer Lust am Experiment, auch „aus Respekt vor Publikum und eingesetztem Kapital“. Wobei die Inhalte schwanken können zwischen Bohlen-Buch und dem komplexen Elsner- Monolog einer Schauspielerin, die mit ihrem Leben und ihren Lieben abrechnet. Zwei weitere liegen noch keimend im Boden: einer von Roger Willemsen – eine Liebeserklärung an die Frauen; der zweite von Charles Lewinsky – eine Rede der Juden an die Deutschen. Jetzt aber sitzt Hubertus Meyer-Burckhardt hoch oben über Berlin, fern jener Provinz, deren größte Kraft es wohl ist, ihr kreatives Potenzial auszustoßen – und wieder zurückzuholen. Auf Zeit, versteht sich.

Mechthild Zschau

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