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Dichtung und Wahrheit: Mauer-Fantasien

Ferch, Ferres, Fürmann: Wie die deutsche Teilung Schauspieler, Autoren und Regisseure beschäftigt.

Die Geschichte ist nicht auserzählt, wird es vermutlich nie sein, nicht im Fernsehen. So lange noch Menschen leben, die den Mauerbau erlebten oder dessen Folgen erdulden mussten. Und so lange Schauspieler wie Veronica Ferres, Heino Ferch und Benno Fürmann die Unmenschlichkeit der Trennung gefühlig in Szene setzen. Zu gut lässt sich die Überwindung dieser Trennung als Sieg über ein diktatorisches System gerade im fiktionalen Fernsehen umsetzen. Oder als klassisches Drama durchdeklinieren. Auch zum 50. Jahrestag gelingt es dem Fernsehen fast mühelos, diesen Sommertag im Jahr 1961 in Erinnerung zu rufen, und dabei sowohl die Gefühle der Menschen zu thematisieren als auch die geopolitische Bedeutung dieser Zäsur herauszuarbeiten. Vor allem aber, und das ist das eigentlich Bemerkenswerte, schafft es das Fernsehen immer wieder, den ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Ereignissen an den Sektorengrenzen neue Seiten abzugewinnen.

Der emotionalste Beitrag des Fernsehens in diesem Jahr ist sicherlich der Film „Der Mauerschütze“, der zuerst auf Arte und in dieser Woche in der ARD lief – und zumindest noch einige Tage in der ARD-Mediathek unter www.ardmediathek.de abgerufen werden kann. Der Film mit Benno Fürmann in der Rolle eines ehemaligen DDR-Grenzschützers, der als 18-Jähriger einen Republikflüchtigen erschießen muss und den noch zwanzig Jahre später das Gewissen plagt, zeigt auf bewegende Weise, dass die Wunden der Seele anders als jene im Stadtbild Berlins oder der Landschaft an der innerdeutschen Grenze oftmals nie verheilen.

Das trifft ebenso auf die „Frau vom Checkpoint Charlie“ zu. Der Film beruht auf der realen Geschichte einer Frau, die nach einer gescheiterten Flucht und dem Freikauf durch die Bundesrepublik doch noch in den Westen gelangt, allerdings ohne ihre beiden Kinder. Lange sieht es so aus, als ob die DDR ihre harte Linie durchsetzen kann, doch am Ende gelingt die Familienzusammenführung. Veronica Ferres erhielt für ihre Hauptrolle als Sara Bender den Deutschen Fernsehpreis als „Beste Schauspielerin“. Ihre emotionalen Auftritte in Talkshows, in denen sie in die Rolle der Expertin für das Leben hinter dem „Antifaschistischen Schutzwall“ gedrängt wurde, wurden weniger wohlwollend gewürdigt.

Die Teilung im Fernsehen verläuft nicht zwischen Ost und West, jedenfalls nicht nur, sondern vor allem zwischen öffentlich-rechtlichem Programm und dem Privatfernsehen. Im Privaten wird selbst der Schrecken der Mauer zum Eventfernsehen, auch Filme wie „Der Tunnel“ werden am Ende an ihrem Quotenerfolg gemessen. Mitunter gehen Qualität und Quantität Hand in Hand: Das wiederum auf einer realen Vorlage beruhende und mit Heino Ferch, Sebastian Koch, Nicolette Krebitz ausgezeichnet besetzte Fluchtdrama konnte das Publikum ebenso wie die Kritiker überzeugen. Die Verfilmung von „Böseckendorf“ (Sat 1) war dagegen allein schon durch die Geschichte quasi ein Selbstläufer. Dass ein ganzes Dorf Richtung Westen „rübermachte“, wie 1961 geschehen, hätte man keinem Drehbuchautor abgenommen. Der ebenso fiktive wie rasante Pro7-Fluchtfilm „Go West“ wird gar zum Roadmovie durch große Teile des ehemaligen Ostblocks mit komödiantischen Einlagen – zu dritt auf einer Schwalbe wäre man im real existierenden Sozialismus keine drei Dörfer weit gekommen. Mauer, Teilung und Flucht, so viel ist sicher, sind nicht der schlechteste Stoff fürs Fernsehen. Auf die Spitze getrieben hat es „Die Grenze“, der TV-Zweiteiler mit Uwe Kockisch, Thomas Kretschmann und Katja Riemann, in dem Teamworx-Produzent Nico Hofmann in Rostock wieder eine Mauer aufbauen ließ – mitsamt Schießbefehl.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kann nicht nur wie bei dem „Mauerschützen“ im fiktionalen Genre beeindrucken, sondern seine Stärken auch im Dokumentarischen beweisen – und somit dem Informationsauftrag nachkommen. Und der Geschichte noch weitere Geschichten hinzufügen. Zum Beispiel dadurch, dass der Bau und der Betrieb der Mauer aus Sicht der damit beschäftigten Menschen aus Armee, Volkspolizei und Parteikadern erzählt wird, wie von der ARD in „Geheimsache Mauer“ vorexerziert. Das Erste ist damit immerhin das Risiko eingegangen, dass die Schilderung der logistischen Probleme sowie die Auseinandersetzung mit den Gewissensnöten von wehrdienstleistenden Grenzschützern als zu verständnisvoll gedeutet werden könnte.

Mitunter sorgen die Verantwortlichen von damals selbst für neue Erkenntnisse, zum Beispiel in der ZDF-Dokumentation „Geheimakte Mauerbau – Die Nacht der Entscheidung“. Erst jetzt veröffentlichte Akten des russischen Staatsarchivs für Zeitgeschichte zeigen, wo der Bau der Mauer in Auftrag gegeben wurde: in Ost-Berlin oder Moskau. Die Antwort gibt es am Dienstag um 20 Uhr 15.

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