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Medien: Die Frau, die mehr weiß

Heute feiert Verlegerwitwe Friede Springer ihren 60. Geburtstag. Noch immer nennt sie ihren Mann „Herrn Springer“. Vielleicht aus Selbstschutz

Von Peter Siebenmorgen

Ernst Cramer, der gute Geist im Hause Springer, der alterskluge, weise Mann, der auch in seinem 90. Lebensjahr täglich in sein Büro, Tür an Tür zu dem von Friede Springer, kommt, muss nicht lange überlegen: „Niemand“, lautet seine Antwort auf die Frage, wer das volle Vertrauen der Witwe seines Freundes Axel Springer genieße. Bevor sich Missverständnisse einnisten können, relativiert er seine Antwort: Das gelte übrigens für jeden Menschen, selbst in der glücklichsten Ehe, selbst in der größten Liebe bleibe stets eine gewisse „reservatio mentalis“. Niemand öffne sich dem anderen ganz. Hätte die Frage ein wenig anders gelautet, fügt Cramer über seine Zimmernachbarin hinzu – etwa: von wie vielen Menschen Friede Springer glaube, dass sie ihnen voll vertraue –, dann wäre auch seine Antwort ein wenig anders ausgefallen: „Einige“.

Am heutigen Donnerstag feiert Friede Springer ihren 60. Geburtstag – „nur mit den besten Freunden“, wie sie selbst sagt; die Köche kalkulieren für 220 Personen. Seit 1985, dem Tod ihres Mannes, verfügt Friede Springer über die Mehrheit am Axel-Springer-Verlag. Damit ist sie, auch wenn sie sich lange dagegen gesträubt hat, mächtig. Und dort, wo die Macht und in diesem Fall auch sehr viel Geld wohnen, nisten sich die Schmeichler gern ein. Schwer auszumachen, wie viel von der ihr entgegengebrachten Freundlichkeit tatsächlich ihr selbst gilt.

Das weiß sie selbst am besten. Und macht sich – auch zum Selbstschutz – kleiner, als sie wirklich ist. Mit Händen und Füßen hat sie sich deshalb lange Zeit dagegen gewehrt, als Verlegerin bezeichnet zu werden. Verleger – das war Axel Springer, in dessen Büro im 19. Stock des Axel-Springer-Hauses sich seit seinem Tod nichts verändert hat. Außer, dass sie es ist, die jetzt dort an seinem Schreibtisch sitzt, auf dem, die zweite Neuerung, seit ein paar Jahren ein Laptop liegt. „Der prächtige Blick über Berlin, ein wunderschönes Büro haben Sie“, ist es da schon manchem Besucher entfahren. „Nein, das ist nicht mein Büro“. Oft hat sie so geantwortet, und wenn sie das tut, dann richtet sich die in ihrer Anmutung mädchenhaft gebliebene Frau noch ein wenig gerader auf, als es ihre von Selbstdisziplin diktierte Normalhaltung gebietet. Und fügt nahtlos ihre Entgegnung fort: „Ich bin hier nur zu Gast. Dies ist das Büro von Herrn Springer.“

Das Büro „von Herrn Springer“! Nicht das „meines Mannes“, schon gar nicht das von „Axel“. Nein: „Dies ist das Büro von Herrn Springer.“ Sie versieht ihre Geschäfte also nicht aus „ihrem“ Büro, und Verlegerin ist sie auch nicht. Was aber ist sie dann?

In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre hat sie ihren späteren Mann kennengelernt, 1978 haben sie geheiratet. Spätestens von diesem Zeitpunkt an hat Axel Springer kein geschäftliches Gespräch von Bedeutung geführt, dem sie nicht beigewohnt hätte. „Niemand weiß so genau wie Friede Springer, was Axel Springer dachte und was er mit seinem Haus wollte“, meint Ernst Cramer, der wirklich enge Freund und Vertraute des Verlegers. Eine bessere Vorbereitung auf die Aufgabe, die sie seit dem Tod von „Herrn Springer“ zu meistern hat, kann es eigentlich nicht geben.

Worin diese Aufgabe besteht? Vor einigen Jahren hat sie es auf den Punkt gebracht: „Das Erbe wahren“. Doch diese Hinterlassenschaft ist weit mehr als nur ein großes Zeitungshaus. Der Springer war stets auch Programm, der Verleger war von einem unverwechselbaren Sendungsbewusstsein beseelt. Sie nicht. Die Freiheit verteidigen, die deutsche Einheit wollen, die Versöhnung mit Israel – natürlich fühlt sie sich den Grundsätzen des Verlegers und des von ihm begründeten Zeitungshauses zutiefst verpflichtet. Aber die Gabe und Leidenschaft zur politischen Zuspitzung, die kompromisslose Entschiedenheit zum Kampf bis zur letzten Patrone für diese Werte fehlen ihr. Sie will die alten Schlachten nicht schlagen. Zu den beglückendsten Momenten in der letzten Lebensphase ihres Mannes zählt für sie, dass er, der Wüter wider die Ostverträge und die Entspannungspolitik, sich kurz vor seinem Tod mit Willy Brandt auszusöhnen begann. Nicht irgendwo, sondern bei einer fast zufälligen Begegnung in Israel.

Auch wenn einige der Blätter ihres Verlags immer wieder dem Verdacht ausgesetzt sind, sich heute noch in den Schützengräben von einst am wohlsten zu fühlen: Nein, sie will die alten Schlachten wirklich nicht schlagen. Ihr ganzes Wesen ist im Grunde auf Versöhnlichkeit gestimmt. Aber jene, die um Friede Springers politische Friedfertigkeit wissen und die sie deshalb zuweilen angehen, dem als feindselig empfundenen Treiben ihrer Zeitungen ein Ende zu setzen, laufen regelmäßig ins Leere. Sie will sich nicht einmischen, bietet keinen Einhalt. Weil sie sich nicht als Verlegerin begreift, wie ihr Mann es tat. Aber auch, gerade weil sie sich, im wortwörtlichen Sinne, als Wahrerin des Erbes ihres Mannes fühlt. Gerade weil ihr jeglicher politischer Messianismus fehlt, gewinnt jener Aspekt der Hinterlassenschaft, der das schlichte Vermögen ausmacht, besonders große Bedeutung. Versuche, Einfluss zu nehmen, damit sie sich für Zwecke anderer, selbst wenn jene ihr sympathisch sind, einspannen lässt, wehrt sie regelmäßig ab – als seien sie ein Angriff auf ihr Eigentumsrecht, was sie ja irgendwie auch sind. Politiker haben diese Erfahrung sammeln können; in gleicher Weise wie Leo Kirch, der andere Großaktionär des Springer-Verlags. Alles hat der Münchner Medienrealitäten-Händler versucht – mal sich angeschmeichelt, mal Krieg geführt –, um über die Geschicke des Hauses zu verfügen. Ob es um die internen Machtverhältnisse oder die inhaltliche Ausrichtung der Objekte ging: Immer wieder ist dieser Mann, dem keine geschäftlichen Schliche unbekannt sind, der sich weltweit schon mit ganz anderen Unternehmensgrößen und Unternehmerpersönlichkeiten erfolgreich gemessen hat, gegen die Wand gerannt. Als er in der kurzen, vergleichsweise liberalen Phase von Springer zu wenig vom Geist des Verlegers beklagte und deshalb die Abberufung von Chefredakteuren durchzudrücken versuchte, erfolglos, entfuhr ihm, händeringend, im kleinsten Kreis der Satz: „Ich verstehe diese Frau nicht.“

So geht es vielen, die mit ihr im Laufe der Jahre zu tun hatten oder die sie aus der ferneren Warte beobachten. Am Anfang hielten sie fast alle für schwach. Dann, als sie sich Kirch trotzig in den Weg stellte und ihn niederkämpfte, hielten sie alle für stark. Das eine war und ist sie so wenig wie das andere. Dass sie die Rolle der Verlegerin nicht annahm, nicht annehmen wollte, ist kein Zeichen von Schwäche – eher von Bescheidenheit, von Selbstbeschränkung. Sie will nicht sein, was sie nicht ist. Wie sie später dann die Angriffe auf ihr Eigentum ein ums andere Mal abwehrte, auch das das war keine wirklich Stärke. Dafür hätte sie mit Bestimmtheit wissen müssen, wohin sie das Unternehmen in Zukunft geführt sehen will. Was Kirch und die vielen, die Friede Springer mal unter-, mal überschätzt haben, nicht begreifen können, ist, dass sie zäh und ausdauernd ist. Was weniger als Stärke, aber unendlich mehr als Schwäche ist.

Viele der Vorstandsvorsitzenden und leitenden Angestellten, die seit Axel Springers Tod kamen und gingen wie in kaum einem anderen größeren deutschen Unternehmen, sind an diesem Umstand gescheitert. Zuerst konnten sie auf Friede Springers Vertrauen zählen: Sie will sich nicht mehr als nötig mit Zahlen quälen, das Haus muss seine Richtung auf der Grundlage der ererbten Grundwerte selbst finden. Da sie nicht Verlegerin sein will, lässt sie den Führungskräften des Verlags ungewöhnlich lange Leine. So, wie sie ihre Rolle sieht, muss sie anderen vertrauen, und sie will das auch. Aber dieses Vertrauen ist nicht geschenkt, nur geliehen. Selbstherrlichkeit wird auf dem Fuße bestraft, machtbesoffene Verlagsmanager, die sich zum eigentlichen Herrn im Hause aufschwingen, wird das Geliehene schnell wieder entzogen. Immer wenn es so weit ist, dann erschließt sich, was ihr väterlicher Freund Ernst Cramer meint, wenn er sagt, dass Friede Springer niemandem völlig vertraue, selbst wenn sie dies von manchen glaube.

Bei Axel Springer war dies übrigens nicht viel anders, nur seltener. Stimmt es also auch in dieser Hinsicht, was Friede Springer unlängst – vor allem mit Blick auf ihre Liebe zu Israel – bekannt hat? „Ich habe mich an seiner Seite entwickelt. Ich gebe es zu: Ich bin sein Produkt“, das konnte man am vergangenen Sonntag in der „Welt am Sonntag“ lesen. Friede Springer, als Blumenmädchen auf der Insel Föhr geboren, eine Eliza unserer Tage also. Die alles, was sie ist, ihrem Professor Higgins, „Herrn Springer“ verdankt.

Doch, nein, schon diese Selbstreflexion ist das beste Dementi des Klischees, abgesehen davon, dass Axel Springer alles in seiner Frau suchte, nur nicht den Gegenstand zynisch- pädagogischer Übung. Im Anerkennung der Prägung durch ihren Mann offenbart sich vielmehr ein Zug von neu gewonnener, innerer Freiheit – und, wäre der Begriff nicht derart vorbelastet, könnte man sogar sagen: von Emanzipation. So, wie sie neuerdings im Gespräch mit weniger Vertrauten „Herrn Springer“ zuweilen Axel Springer nennt.

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