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Medien: Die Frau, die nicht aufgibt

Tanzen können andere, aber Heide Simonis ist die Gewinnerin bei „Let’s dance“

Von Andreas Oswald

Warum tut sie sich das bloß an? Samstag für Samstag blamiert sich Heide Simonis tanzend – nein stolpernd – vor einem Millionenpublikum im Fernsehen. Völlig freiwillig. Kennt Masochismus keine Grenzen? Bei Heide Simonis nicht. Diesen Verdacht konnte schon damals mancher haben, als sie sich im Kieler Parlament als Ministerpräsidentin abwählen ließ. Vier grausame Wahlgänge ließ sie über sich ergehen, die ganze Nation wurde Zeuge eines Gesichtsverlusts in Zeitlupe.

Tanzen offenbart das tiefste Innere. Bei dem RTL-Tanzwettbewerb „Let’s Dance“ treten jeden Samstag zur besten Sendezeit Ex-Prominente mit jeweils einem Profi-Tanzpartner gegeneinander an. Jedes Mal scheidet ein Paar aus. Es ist eine Art „Deutschland sucht den Superstar“, nur eben für Erwachsene. Dass ausgerechnet ein Wettbewerb in altehrwürdigen Standard- und Lateintänzen das jüngere Publikum anzieht, verblüfft. Der Marktanteil der Sendung bei den 14- bis 49-Jährigen lag diesmal bei 22,5 Prozent und landete damit auf Platz eins in der Primetime.

Und wer ist der große Star dieser Sendung? Keine Frage. Heide Simonis. Alle Medien waren sich sicher, dass diese Frau und ihr Partner als erstes Paar ausscheiden würde. Gehässiges und Böses wurde ihr nachgerufen. Tatsächlich bekommt sie fast jedes Mal die schlechtesten Noten von der Jury, aber das Publikum, das zur Hälfte mitentscheiden darf, sorgt beharrlich dafür, dass sie drinbleibt.

Heide Simonis kann nicht tanzen. Millionen können nicht tanzen. Das verbindet. Wer sich an seinen ersten Tanzkurs erinnert, zwei linke Füße, ineinander verheddert, und das noch vor aller Augen – furchtbar. Gibt es einen größeren Sympathieträger, als ein Mensch, der nicht tanzen kann, aber tanzen will und die Blamage nicht fürchtet?

Gibt es überhaupt eine größere Angst im Menschen, als die, sich öffentlich zu blamieren? Heide Simonis setzt sich dem tapfer aus. Kann es eine größere Heldin geben? Entschlossen macht sie ihre Schritte, sie kämpft auf einem Parkett, das sie nicht kennt und nicht beherrscht. Und lächelt tapfer. Und nimmt sich vor, besser zu werden. Es ist die Haltung, die bewertet wird. Nicht das Ergebnis. Wer keine Chance hat und es trotzdem versucht, dem gebührt der Sieg. So wird ausgerechnet eine RTL-Unterhaltungssendung zum Schauplatz dafür, dass die große jahrelange Wertedebatte, wann endlich der große Ruck durch Deutschland geht, entschieden ist. Die Nation vor dem Fernseher belohnt die Entschlossenheit desjenigen, der seinen Job verloren hat, trotzdem nicht den Kopf hängen lässt und alles versucht.

Insofern sind Vergleiche mit Daniel Küblböck, dem umschwärmten Verlierertyp bei „Deutschland sucht den Superstar“, oder gar Zlatko, dem gefeierten Vorzeige-Proleten bei „Big Brother“, unzulässig. Zlatko und Küblböck hatten ihr eigenes Verliererimage zelebriert. Heute feiert Deutschland nur noch denjenigen Verlierer, der gegen sein eigenes Unvermögen und Verlierertum ankämpft.

Was wir bei Heide Simonis natürlich nicht wissen: Ob sie diese Haltung überhaupt einnehmen will, oder nicht vielleicht unfreiwillig in diese Rolle reingerutscht ist. Es könnte schließlich sein, dass nicht angestrebtes Heldentum, sondern Eitelkeit der Grund für die Teilnahme war. Dann wäre diese Sendung ein Beleg dafür, dass das Publikum seine Helden macht, die es braucht – auch wenn die das gar nicht wollen.

Es gibt noch einen zweiten Helden bei „Let’s Dance“: Ex-Weltrekordler Jürgen Hingsen, ein sehr großer und kräftiger Ex-Zehnkämpfer. Wenn so einer versucht, filigrane Drehungen auf dem Parkett zu tanzen, sieht das aus, als würde ein großer Bär durch die Zirkusmanege gepeitscht. Aber wie Hingsen alles gibt, alles, damit er trotz seiner groben Statur der Tanzpartnerin eine kleine Freude bereitet – so eine Haltung wünschten sich wahrscheinlich alle Frauen bei ihren Männern. Er will nur Gutes, dieser Jürgen Hingsen. Er hat es wahrlich verdient, dass man ihm Gutes widerfahren lässt. Und so rettet das Publikum auch ihn jedes Mal, wenn die Jury ihn rauswerfen will.

Hoffentlich schaut sich die deutsche Fußball-Nationalelf „Let’s dance“ an. Die „Klinsmänner“ müssen auf dem WM-Rasen nicht siegen, aber sie müssen so verlieren, wie Heide Simonis ums Finale tanzt. Erst dann werden die Fußballer die Herzen der Deutschen gewinnen.

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