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Medien: „Die Lage ist unkalkulierbar“

ZDF-Korrespondent Halim Hosny über die Gefahren für Journalisten in Bagdad

Seit der vergangenen Woche sind mehr als vierzig Zivilisten im Irak entführt worden, am Sonntagabend auch drei tschechische Journalisten – kann man zurzeit dort überhaupt noch journalistisch arbeiten?

Doch, kann man. Aber seit der Entführungswelle sind wir vorsichtiger geworden. Heute haben wir zum Beispiel entschieden, im Hotel zu bleiben. Wir haben unsere lokalen Kräfte rausgeschickt: Iraker, die wir seit Jahren kennen. Wir haben sie gebrieft, und sie versorgen uns mit Material.

Waren Sie in den vergangenen Tagen selbst zu Recherchen draußen?

Ja, vorgestern waren wir in Kut.

Wie schützen Sie sich? Haben Sie einen gepanzerten Wagen?

Ja, eine gepanzerte Mercedes-Limousine, die ist sicherer als die üblichen Geländewagen. Auf Geländewagen hat es schon viele Anschläge gegeben, weil damit auch die US-Zivilverwalter rumfahren.

Tun Sie sich mit Kollegen zusammen und fahren im Konvoi?

Nein, das machen wir extra nicht, wir schreiben auch nicht „Presse“ auf unseren Wagen. Wenn wir mit der Bevölkerung zu tun haben, sind all das Signale, die kontraproduktiv sein können. Wir tragen deshalb noch nicht mal eine schusssichere Weste. Der Vorteil unseres Teams ist, dass wir erst auf den zweiten Blick als ausländisches Fernsehen identifiziert werden. Unser Producer ist gebürtiger Libanese, der Kameramann gebürtiger Ägypte r. Mein Name lässt auch nicht unbedingt Rückschlüsse darauf zu, dass ich aus Deutschland komme. Wir haben einen größeren Bewegungsspielraum als andere, und den nutzen wir. Der Einzige, der wirklich deutsch aussieht, ist unser Cutter, und der verlässt das Hotel nicht.

Wohnen Sie eigentlich auch im „Hotel Palestine“, das schon während des Krieges das Journalisten-Hotel war?

Ja. Wie die ARD auch – fünf Stockwerke über uns.

Wie viele Journalisten sind sonst noch dort?

Kann ich nicht sagen. Das Hotel ist ausgebucht, aber es wohnen auch viele andere, bewaffnete Hotelgäste hier.

Um die Journalisten zu schützen?

Nee, die nutzen das Hotel auch.

Ist man im „Hotel Palestine“ denn sicher?

Eine direkte Attacke auf das Hotel ist unmöglich. Es ist mit riesigen Waschbetonwänden abgesperrt, es erinnert einen an Berlin vor der Grenzöffnung. Aber Granatenangriffe kann es auch auf das Hotel geben. Heute Morgen um halb acht waren in der Nähe wieder schwere Detonationen zu hören. Im Hotel „Sheraton“, das gegenüber liegt, schlug vor ein paar Wochen eine Granate ein. Es wurde zum Glück niemand verletzt.

Wie ist die Stimmung unter den Journalisten?

Ich weiß es nicht. Wir sitzen nicht oft mit den Kollegen zusammen. Jeder geht seiner Arbeit nach. Wir beim ZDF sind, sagen wir es mal so, positiv angespannt. In so einer Situation ist es lebenswichtig, all seine Sinne wachzuhalten.

Können Sie entspannen? Können Sie schlafen?

Man muss schlafen: Wenn man sich von jedem kleinen Knall aufschrecken lässt, ist irgendwann der Akku verbraucht.

Halten Sie es in Bagdad zurzeit für gefährlicher als während des Krieges?

Das kann ich nicht beurteilen, ich war im Krieg im Süden Iraks. Das Problem heute ist, dass es keine klaren Fronten gibt. Sie können es am nächsten Checkpoint schon mit Leuten zu tun haben, die ihnen nicht gewogen sind. Das macht die Lage relativ unkalkulierbar.

Die tschechischen Journalisten sind an einem Checkpoint an der Straße nach Amman entführt worden. Kannten Sie sie? Sie wohnen ja ebenfalls im „Hotel Palestine“.

Nee, kannte ich nicht.

Sind nach der Entführung der Tschechen Kollegen aus dem „Palestine“ abgereist?

Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Als die Japaner entführt wurden, sind viele japanische Kollegen neu gekommen und berichten jetzt fortlaufend darüber.

Die ARD wechselt am heutigen Mittwoch ihre Korrespondenten aus. Wissen Sie, ob die auch die gefährliche Straße von Bagdad nach Amman nehmen?

Sie fliegen. Wer zurzeit das Risiko klein halten will, muss fliegen.

Wo ist eigentlich Ulrich Tilgner, der normalerweise fürs ZDF aus Bagdad berichtet?

Er ist im Urlaub.

Wann wird Ihnen die Lage zu gefährlich?

Wenn die Botschaft sagt, ,wir evakuieren, und wer mitwill, soll sich bei uns treffen’, dann wissen wir, dass wir scharf nachdenken müssen, ob wir rausgehen.

Ist es überhaupt sinnvoll zu bleiben, wenn man das Hotel nicht mehr verlassen kann?

Wir haben viele Quellen: unsere irakischen Mitarbeiter, Meldungen der US-Presseoffiziere, Pressebriefings der Zivilverwaltung, die arabischen Sender, die wir auswerten. Außerdem gehen wir vielleicht morgen schon wieder raus. Wir entscheiden das jeden Tag .

Glauben Sie, dass sich die Lage bessert?

Nein, ich bin pessimistisch.

Das Gespräch führte Barbara Nolte.

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