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Drama um Dramatiker: Die letzte Inszenierung

Eine Arte-Doku öffnet die „Akte Kleist“ und lässt Experten wie Claus Peymann über den Freitod des Dramatikers rätseln

Es war seine letzte, rätselhafteste Inszenierung. Heinrich von Kleists Freitod am 21. November 1811 wirkt tatsächlich wie ein Theaterstück. Wie ein Bühnenentwurf erscheint das Setting, das Gasthaus vor den Toren von Potsdam, das Ufer am Kleinen Wannsee, wo sich das Paar seinen letzten Teetisch decken lässt (im November!). Auch das Personal ist hochtheatralisch: Der an der Welt leidende Dichter, die todkranke Salondame, ja, selbst die Dienerin, die kurz vor dem Tod noch den Tee heranbringt, darf nicht fehlen. Und wie ein Dramenentwurf lesen sich die Gerichtsprotokolle, die nach dem Tod in erstaunlicher Präzision angefertigt wurden. Die Gastleute geben an, das Paar sei höchst vergnügt gewesen, habe kichernd vor dem Gasthaus herumgealbert, der Herr sei über die Bretter der Kegelbahn gesprungen, man habe einander „Herz“ und „Herzchen“ genannt. So jemand bringt sich doch nicht um, wenige Stunden später. War alles vielleicht ganz anders? War es ein Mord?

Das ist das Gedankenexperiment, das die Fernsehdokumentation „Die Akte Kleist“ anstellt, die Arte am Montag zeigt. War Kleist vielleicht ein Spion, ermordet von politischen Gegnern? Das würde das rastlose Reisen erklären, quer durch Europa, unter wechselnden Identitäten. Das würde auch für Kleists lebenslanges Außenseiterdasein sprechen, ein Spion ist auf immer fremd im Land. Doch die These lässt sich leider nicht belegen. Wie auch die andere nicht, dass es eine große, geheime Liebesgeschichte gewesen sei, dass Kleist in Henriette Vogel endlich das ihm ebenbürtige Gegenüber gefunden habe, mit dem er sich, weil sie verheiratet war und mit Kind, nur im gemeinsamen Tod habe vereinen können. So kriminalistisch sich „Die Akte Kleist“ an diesen und anderen Erklärungsversuchen die Zähne ausbeißt, das Rätsel Kleist wird dadurch nicht geringer. Und die Neugier des Zuschauers immer größer.

Die Experten, die zur Aufklärung geladen sind, sind nicht ohne: die kluge Literaturwissenschaftlerin Ulrike Landfester, der Kleist-Biograf Alexander Weigel, Preußen-Fan Christopher Clark und der unvermeidliche Claus Peymann. Sie alle rätseln über Kleist, darüber, dass zum Beispiel keine Waffe am Tatort gefunden wurde (Clark) oder dass der König das Geschehen vertuschen lässt (Weigel). Claus Peymann wagt die These, es habe für den franzosenhassenden Kleist, diesen „Gefühlsterroristen“, nur wenig zum Dschihad-Krieger gefehlt, und er sei in die damalige Theaterlandschaft „wie eine Artillerierakete“ gefahren. Sein Fazit: Wenn er dafür früh sterben musste, dann war es eben so, und es war gut.

Gar nicht gut leider ist, dass die Regisseure Simone Dobmeier, Hedwig Schmutte und Torsten Striegnitz sich damit nicht begnügen wollen. Ihre Doku soll in 51 Minuten alles sein, Krimi, Literaturgeschichte, Biografie von der Geburt bis zur Obduktion, und das mit allen Mitteln, die der zeitgenössische Dokumentarfilm zu bieten hat: Reenactment mit Alexander Beyer als finster blickender, grimassenschneidender Dichter und Meret Becker als Kindfrau Henriette. Comicstrip im Stil von „Waltz with Bashir“. Historienfilm mit im Schlamm stapfenden Soldatenstiefeln. Hektische Reportage, die, kaum dass das Wort „Reisen“ fällt, unzählige Autobahnbilder aneinander schneidet. Dazu noch ein von Nina Hoss gesprochener Off-Kommentar, der mit Banalitäten aufwartet, wie dass Kleist sich „sein Leben lang nach Liebe und Nähe gesehnt“ oder „schließlich jede Orientierung verloren“ habe. Am Ende bleiben nur Kleist-Häppchen übrig. Wie gern hätte man einfach nur den Experten im Interview gelauscht, ohne eine Bildregie, die durch Overacting ihr Thema verrät. Sprache ist Kraft, lehrt uns Kleist. Man muss ihr nur trauen. Auch im Fernsehen.

„Die Akte Kleist“, Montag, 21 Uhr 55, Arte

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