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Medien: Die letzten Tage vor dem Rücktritt

„Im Schatten der Macht“ erzählt die Affäre um Willy Brandt und den DDR-Spion Guillaume – gespielt vom jüngsten Sohn des SPD-Politikers

Oliver Storz’ Film über das Ende der Ära Brandt wird einer der Höhepunkte des Fernsehjahres, das zeigte sich bei der Uraufführung schnell. Es ist ein Kraftakt, teuer und edel, gedreht an den Originalschauplätzen in Bonn, sogar in der Dienstvilla Brandts, mit Musik von Klaus Doldinger und mit einem Topjournalisten als offiziellem Berater, dem damaligen „Spiegel“-Reporter Wolf Schneider. „Im Schatten der Macht“, ein Zweiteiler, den Regina Ziegler mit NDR, MDR und Arte produziert hat, eröffnete das Kölner Fernseh- Festival „Cologne Conference“. Gesendet werden die insgesamt drei Stunden im Umfeld von Brandts 90. Geburtstag, Ende Oktober.

Zwei Wochen im Frühling ’74. Ein DDR- Spion als Vertrauter des Kanzlers und als „Bodylieferant“, wie ein Bodyguard ihn nennt. Zu Guillaumes Job gehört es, dem Chef Journalistinnen „zuzuführen“. Und auch der westdeutsche Geheimdienst, nur mäßig loyal, fängt an, gegen den eigenen Kanzler zu ermitteln. Storz hat darüber kein Doku-Drama gedreht, sondern einen Spielfilm. Er hält sich an die historischen Fakten der Guillaume-Affäre, so weit sie bekannt sind. Aber sie sind eben nicht alle bekannt. Jeder Beteiligte hat seine eigene Wahrheit, und zwar „immer eine, die für ihn selber vorteilhaft ist“, wie Storz sagt.

Er füllt die Leerstellen mit Fantasie. Sogar eine (dezente) Liebesszene des Kanzlers mit einer Geliebten kommt vor. Stark ist der Film, weil fast jede Figur zu ihrem Recht kommt und sich auf keine Seite schlägt, sie haben alle Statur und nachvollziehbare Motive. In der Summe entsteht ein historisches Drama, das irgendwann niemand mehr steuern kann.

Sie rauchen viel, bis auf Willy, der es sich abgewöhnt hat und darunter leidet wie ein Tier. Es gibt noch keine Handys. Michael Mendl spielt Brandt in all seinen Fassetten, das Statuarische, Entrückte, den Charmeur und Witzeerzähler, den depressiven Zauderer, der an Selbstmord denkt, den Charismatischen, es ist schon ziemlich großartig. Wenn man die Augen schließt, hört man Brandts heisere Stimme. Falls der Film eine Botschaft hat, dann diese: Willy Brandt war ein Nicht-Politiker, der zur Macht kein Verhältnis hatte. Sein Aufstieg, ein Wunder. Sein Fall, unausweichlich. Er war kein besserer Menschentyp als Schmidt, Scheel oder Genscher, aber eben ein völlig anderer, das machte seinen Zauber aus und zugleich seine Schwäche.

Große Besetzung, sehr spannend, bis auf die letzte halbe Stunde, wenn es versuppt und sie alle nur noch heulend und „Warum? Warum?“ rufend durchs Kanzleramt rennen. Kernstück der Handlung ist das geistige Duell zwischen Brandt und Herbert Wehner (Jürgen Hentsch), seinem Antipoden in jeder Hinsicht. Ein biederer Dämon, der Brandt ohnehin für einen unfähigen Kanzler hält. Storz gelingt es, Respekt für die Figur Wehner zu wecken, obwohl er ihn als Spießer zeichnet, der unterm Pantoffel seiner Stieftochter steht und drei an sich liebenswerte Arten von Personen über alles hasst, nämlich „Träumer, Trinker und Feuilletonisten“. Wehner beherrscht die Spielregeln der Politik, Brandt weniger. Dritte Hauptfigur: Genscher (Dieter Pfaff), damals Innenminister, dessen Haupttalent in diesen Wochen die Organisation des eigenen politischen Überlebens ist.

Und Guillaume? Diese Rolle spielt ausgerechnet Willy Brandts jüngster von drei Söhnen, Matthias, damals zwölf Jahre alt. Matthias Brandt führt eine unauffällige Darstellerexistenz an verschiedenen Stadttheatern, Storz hatte ihn während seiner Recherchen getroffen. Nun taucht er zweimal im Film auf, einmal der reale Matthias Brandt als Guillaumedarsteller, einmal als das Kind, das er damals war und auf Seite 1 von „Bild“ fragte: „Papa, warum bist du nicht mehr Kanzler?“

Brandt spielt den Guillaume sehr gut. Ein prolliger Typ, der über seinen Aufstieg ins Zentrum der Macht selber überrascht ist. Einer, den Willy Brandt fasziniert und der kurz vor seiner Enttarnung mit dem Gedanken spielt, die Seite zu wechseln, die DDR zu verraten. Es ist fast gespenstisch, wenn in Guillaumes Filmgesicht in ein, zwei Szenen die Ähnlichkeit mit Willy aufleuchtet. Matthias Brandt sagt, dass vor allem Guillaumes gespaltene Loyalität ihn fasziniere. Wenn er sich, selten, über seinen Vater äußert, klingt es ähnlich. Gespalten, zwischen Bewunderung für den großen Politiker und Enttäuschung über den distanzierten, fernen Vater.

Affären, Sex, Alkohol. Am Ende ist Brandt trotzdem zum Mythos geworden. Die anderen nicht. Aber viele leben noch. Es könnte Ärger geben. Am Vorabend der Premiere wurde der Film einigen Politikern vorgeführt, auch Rut Brandt, die im Film von Barbara Rudnik als jemand gespielt wird, von dem Willy sich innerlich längst losgesagt hat. Es heißt, sie möge den Film trotzdem.

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