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Feinsinn, Unsinn, Hintersinn. Das neue „Pardon“ erscheint am 6. Dezember. Ob es nach der Nikolaus-Ausgabe weitergeht, ist noch offen.

© obs

Die "Pardon"-Jubiläumsausgabe: Im Oral Office

Ein Offener Brief an Wolfram Weimer, den Herausgeber des neu erweckten Satiremagazins.

Lieber Wolfram Weimer,

ich kenne Sie nicht, und deshalb verbietet sich eine derart persönliche Anrede eigentlich, doch in „Pardon“ schreiben Sie einen offenen Brief an Wladimir Putin. „Lieber Wladimir“, das scheint so in der Tradition des Offenen Briefs üblich und verbreitet ja eine wohlige Intimität. Dieser Russe, so lerne ich in Ihrem Brief an ihn, ist kein richtiger Demokrat, eine Zeichnung zeigt ihn auch noch mit Sprechblase: „Put in jail!“, ruft der Russe rüde. Und das ist auch schon ein Paradebeispiel für das Titelmotto Ihres Magazins: „feinsinn. unsinn. hintersinn.“ Denn der Satz lässt sich auch lesen als „Putin jail“ und wird damit menschenrechtlich gesehen höchst relevant. Sodann gelingt Ihnen mit „Zeit der Zaren, ihrer Zepter und Zwinger und Zwangsneurosen“ eine veritable Fünfer-Alliteration, die ist einen Schmunzler wert, Chapeau!

„Pardon“, das muss ich Lesern unter 60 Jahren erklären, ist 1962 erstmals erschienen und 1982 eingestellt worden. Auch, weil die besten Autoren – Robert Gernhardt, F.K. Waechter, F.W.Bernstein und andere – inzwischen die „Titanic“ gegründet hatten und als „Neue Frankfurter Schule“ richtig berühmt waren. Sie, lieber Wolfram Weimer, wollen „Pardon“ wiederbeleben und verwenden auch Waechters gezeichnetes Logo, einen Teufel, der seine Melone lupft. Ob das so klug ist? Werbefachleute werden von „einer tollen Marke“ sprechen, die erste Nummer damals mit Erich Kästner als Autor und Loriot als Illustrator des Covers! Es ist auch eine Last, weshalb ich Ihnen von der Neugründung etwa der „Fackel“ abraten würde, weil Karl Kraus nun mal tot ist.

Humorproduktion ist eine ernste Sache, und jeder Adressat hat seinen eigenen Geschmack. Es gibt ja Menschen, die über Mario Barth lachen können und über Dittsche nicht (und umgekehrt). In Ihrem Heft gibt es ein erfundenes Interview mit dem „Mann von First Lady Michelle Obama“, das im „Oral Office des Weißen Hauses“ stattgefunden haben soll; ich bin sicher, da quieken manche Leser vor Vergnügen.

Darf ich Ihnen jetzt schon mal verraten, lieber Wolfram Weimer, was mir am besten gefallen hat? Die Fotostrecke mit den Prominenten wie Lena, Merkel, Ribéry, Gottschalk, deren meist buntscheckige Garderobe per Fotomontage zu einer großen Wandtapete wurde, vor der das jeweilige „Promi-Pack“ (Überschrift) nahezu verschwindet. Sehr smart. Dagegen hat mich das Editorial verwirrt. Dort schreiben die beiden Chefredakteure Peter „Bulo“ Böhling und Daniel Häuser, in den vergangenen 50 Jahren sei die„spitze Feder“ in der deutschen Zeitschriftenlandschaft verloren gegangen. Weshalb Sie für Ihre Jubiläumsausgabe folgende Autoren gewinnen konnten: Harald Martenstein (Der Tagesspiegel), Hilmar Klute („Süddeutsche Zeitung“), Roland Tichy („Wirtschaftswoche“), Hellmuth Karasek (Springer-Blätter), Matthias Matussek („Spiegel“), Wolfram Eilenberger („Philosophie Magazin“), Wladimir Kaminer (alle Zeitungen), um nur einige zu nennen. Haben diese Männer in ihren eigenen Publikationen Witzeverbot respektive Holzhammerzwang? Mir ist davon nichts bekannt.

Nun wünsche ich Ihnen, lieber Wolfram Weimer, alles Gute mit diesem Projekt. Obwohl ich mich schon mal ziemlich über Sie geärgert habe. Sie sind damals vom Chefredakteur („Cicero“) zum Chefredakteur von „Focus“ geworden und sollen dort (ich lese das Blatt nicht) das Ressort Reportage aufgelöst haben, um dafür mehr Meinung zu servieren. Journalistisch halte ich das für verheerend, denn Meinungen gibt es an jeder Ecke. Mit „Pardon“ können Sie nichts kaputt machen.

Ich habe sogar einmal richtig lachen müssen, in Ihrer Pressemitteilung. Da wird die Artdirektorin mit dem Satz zitiert, „die Ästhetik von Pardon haben wir bewusst clean und wertig gehalten“. Das ist großer Humor, findet mit Grüßen

Ihr Norbert Thomma

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