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Arbeiten und Internet: Nie mehr Feierabend

Auf den Konflikt Verdi gegen Amazon reagierten die Amazon-Beschäftigten mit Kritik an Verdi. Das Internet verändert die Arbeitswelt. Das fördert die Kreativität und birgt zugleich sozialen Zündstoff.

Immer wieder, so scheint es, sehnen sich viele Menschen nach dem alten Kampf Gut gegen Böse. Im vergangenen Jahr war der Part des Bösen mit einem alten Bekannten besetzt: Amazon. Im Kern wird dem Internetkaufhaus zweierlei vorgeworfen. Erstens trage es die Verantwortung für die Verkümmerung deutscher Innenstädte, für das Verschwinden der kleinen Buchhandlungen, der lokalen Einzelhändler. Die Verantwortung dafür, dass deutsche Fußgängerzonen zwischen Aachen und Wolfsburg zu identischen Zombiekonsumhöllen verkommen sind. Der zweite Vorwurf, das wiegt schwerer: Amazon beute seine Arbeiter aus, lehne einen Tarifvertrag kategorisch ab und mache sich auf dem Buckel des kleinen Mannes die Taschen voll.

Amazon-Mitarbeiter demonstrierten mit Transparenten und Trillerpfeifen für höhere Löhne und für einen Tarifvertrag. Gewerkschaft und unterbezahlte Mitarbeiter als die Guten, Amazon, das geizige Milliardenunternehmen, als das Böse. Alles wie immer, könnte man meinen. Doch diesmal war etwas anders. Inmitten der größten Empörungswelle stellten sich etwa 1000 Amazon-Arbeiter gegen die Gewerkschaft Verdi. Die Darstellung sei überzogen und hätte mit dem Arbeitsalltag nichts zu tun. Zudem verfolge sie, die Arbeiter, das negative Bild bis ins Privatleben.

Verdi nahm die Proteste nicht ohne Sorge zur Kenntnis. Credo: Es sei bedenklich, dass einige Mitarbeiter offenbar gar nicht mehr auf die Idee kämen, dass eine dauerhafte Beschäftigung oberhalb eines doch eher geringen Verdienstes zu erreichen sei.

2013 ist Vergangenheit. Dennoch lohnt der Blick zurück auf den Streit Amazon-Arbeiter gegen Verdi. Der Disput zeigt im Kleinen, was sich im großen Ganzen zu verändern beginnt: das Modell von Arbeit. Schuld oder Anteil – je nach Blickwinkel – hat, na klar, das Internet. „Die Arbeitnehmerschaft ist gespalten und zerrissen“, sagt Zukunftsforscher Horst Opaschowski. Weniger dramatisch blickt Trendforscher Matthias Horx auf den Streit. Der Fall zeige lediglich, dass zwei verschiedene Arbeitskulturen entstanden seien. „Je nach innerer Ausrichtung sehen die einen das Unternehmen als unsicheren Ort, als Ausbeuter-Verein, oder eben als Chance für einen flexiblen Zwischenverdienst“, sagt er.

Gerade die jüngeren Arbeitnehmer realisieren, dass es nicht mehr so sein wird wie bei den Eltern; dass sie nicht die eine Stelle antreten werden und bis zur Rente den immer gleichen Kollegen gegenübersitzen. Aber ist das überhaupt erstrebenswert? „In der Rücksicht wirkt das wie eine erfolgreiche Biografie“, sagt Horx. „War es aber häufig gar nicht.“

Fast jeder zweite Deutsche, der heute seinen ersten Arbeitsvertrag unterzeichnet, unterschreibt einen befristeten Kontrakt. Zudem nimmt die räumliche Flexibilität zu. Konzerne wie IBM verzichten mittlerweile vollständig auf feste Büros. In den nächsten fünf Jahren – das ergab eine Umfrage unter deutschen Unternehmern – werden Büros ohne Arbeitsplätze um 40 Prozent steigen. Der Arbeitsmarkt, er hat sich verändert. Und er wird sich weiter verändern. Neu ist das nicht.

Die Lohnarbeit – das System „Arbeit gegen Geld“, wie wir es heute kennen – ist gerade einmal 200 Jahre alt. Als die Lohnarbeit aufkam, gab es viele Kritiker. Thomas Jefferson, einer der Gründungsväter der USA, gehörte zu ihnen. Für ihn war die Bauernarbeit wertvoller und besser als die Lohnarbeit. Aufgehalten haben Jefferson und Co. die Entwicklung nicht. Im Gegenteil: Mit der industriellen Revolution schwand der Anteil bäuerlicher Produkte in der Volkswirtschaft zugunsten der verarbeiteten Produkte. Die Arbeitnehmer hatten immer zur gleichen Zeit am selben Ort (Fabrik) zu sein, um die tägliche Arbeit zu verrichten.

Jetzt folgt der nächste Schritt. Durch neue Technologien und die globale Vernetzung des Internets ist es nicht mehr nötig, Arbeiter an einem Ort zusammenzubringen. Videokonferenzen mit Teilnehmern aus der ganzen Welt können direkt über das Smartphone geführt werden. Mithilfe der Cloud-Technologie greifen Arbeiter aus China und den USA gleichzeitig auf zentral gespeicherte Dokumente zu und bearbeiten diese. So können Arbeitnehmer etwa in ländlichen Regionen wohnen, in denen der herkömmliche Arbeitsmarkt stagniert. Sie sind nicht mehr gezwungen, entrückt von der Familie irgendwo ihrer Arbeit nachzugehen. Sie können aus Buxtehude für eine Firma in Boston arbeiten.

Ganz ungefährlich sind die Entwicklungen aber nicht. „Die neue Form flexiblen und souveränen Arbeitens birgt Risiken“, sagt Opaschowski. „So droht die Selbstausbeutung mit der Folge: Nie mehr Feierabend!“ Die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit empfindet Matthias Horx schon heute als künstlich, „für mich ist Arbeit nicht das Gegenteil von Freizeit. Auch wenn das in der Industriegesellschaft zur Norm geworden ist.“

Opaschowski aber ist sich sicher, dass die meisten Beschäftigten so arbeiten wollen wie die Eltern. „Fest angestellt mit geregelten Arbeitszeiten.“ Doch für immer weniger Menschen erfüllt sich dieser Wunsch. Der Arbeitnehmer von morgen muss andere Anforderungen meistern als die Elterngeneration. „Die ehemals ,abhängig Beschäftigten’ müssen zu Unternehmern am Arbeitsplatz werden – mit mehr Rechten und mehr Verantwortung“, sagt Opaschowski. Wichtiger als Anpassung und Pflichterfüllung seien Selbstständigkeit und Selbstvertrauen.

Matthias Horx will gar nicht erst von „müssen“ sprechen: „Vielleicht wollen ja viele Menschen eine ganz andere Arbeitsbiografie. Eben keine Festanstellung fürs Leben, keinen gesicherten Dauerlohn, sondern kreative Arbeit in einer Biografie, in der Arbeit und Leben anders gewichtet sind.“ Horx nennt diese Gruppe die „Kreative Klasse“, die die Flexibilität zum Lebensprinzip erhoben habe und für die Lebensqualität nicht unmittelbar an den Verdienst gebunden sei.

Wer sich auch in Zukunft in erster Linie über den Gehaltsscheck definieren möchte, der muss mehr tun. Zumindest wenn man den Theorien von Opaschowski folgt, der eine Formel aufgestellt hat, wie die Arbeit in Zukunft aussehen und verteilt sein könnte: 0,5x2x3. Die Formel besagt, dass die Hälfte der Menschen zukünftig doppelt so viel verdienen wird, dafür aber auch dreimal mehr Leistung bringen muss. Das Problem dieser Gleichung: Die Schere zwischen Arm und Reich droht immer weiter auseinanderzugehen. „Das birgt sozialen Zündstoff für die Zukunft“, sagt Opaschowski. „Der soziale Friede ist gefährdet.“ Bei Lösungen für das Problem solle man nur bedingt auf die Politik hoffen. Die große Koalition habe keine Vision. Sie denke mehr an die nächste Wahl als an die nächste Generation.

Vielleicht aber lohnt es, den Vorschlag des Philosophen Frithjof Bergmann zu überdenken. Der hat die „Neue Arbeit“ erfunden, ein gemischtes Arbeitssystem: Zehn Stunden in der Woche betreibt jeder Mensch „Selbstversorgung“, weitere zehn Stunden geht er der traditionellen Lohnarbeit nach und den Rest der Zeit nutzt er, um etwas zu tun, was er wirklich, wirklich gern macht. Ein Amazon-Arbeiter würde demnach montags und dienstags vielleicht Kartoffeln ernten, am Mittwoch Pakete bearbeiten, Donnerstag und Freitag Geige spielen. Und auch Gewerkschaften wie Verdi wäre geholfen. Wenn die erst eine 20-Stunden-Woche fordern, haben sie die Arbeiterschaft ganz sicher wieder auf ihrer Seite.

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