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© RBB

Hörbuch: Der Vorleser

Ein gigantisches Projekt: Der Schauspieler Ulrich Noethen hat in sieben Monaten 250 Stunden Leo Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ eingelesen

„Erstes Buch. Erster Teil. Kapitel eins. Seite eins …“ Der neuen Arbeitsprobe von Ulrich Noethen nach zu urteilen, muss der bekannte Schauspieler ein extrem geduldiger Mann sein. Im vergangenen Jahr hat Noethen Leo Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ eingelesen. Das Hörbuch erscheint zur Leipziger Buchmesse im Audio-Verlag, wird deutschlandweit im Radio übertragen und dürfte als Noethens langwierigstes Projekt in die Werkliste eingehen: ein Epos über 2000 Seiten, aufgenommen in rund 250 Stunden an insgesamt 35 Tagen, verteilt über Blöcke auf sieben Monate. Das Ergebnis liegt bei der Präsentation im Berliner Haus des Rundfunks am Freitag vor Ulrich Noethen wie ein Stein auf dem Tisch: 53 CDs, vier Teile im Schuber, am Ende 67 Stunden Material. Preis: 199 Euro. Beeindruckend mutig in Zeiten der schnell konsumierbaren Hörspiele.

Wer tut sich das an? Der Vorleser selber eher nicht, weder im Auto noch im Schlafzimmer. „Für mich ist das Medium Hörbuch sehr interessant, doch ich ziehe es privat vor, selber zu lesen“, sagt Ulrich Noethen mit rauer Stimme. Der Schauspieler ist momentan stark erkältet. Damit wäre es schwer gewesen, die Bolkonskis, die Rostows und die Kuragins zum Leben zu erwecken, auch wenn Regisseur Ralph Schäfer von der Unermüdlichkeit seines Sprechers schwärmt. Die Einspielung von „Krieg und Frieden“ sei für alle Beteiligten „eine Knochenarbeit“ gewesen, aber selbst nach sechs Stunden Lesen hintereinander war Ulrich Noethens Stimme keinerlei Ermüdung anzumerken. Und man muss sich das noch mal vorstellen: Als Noethen im Studio mit dem ersten Satz Tolstois historisches Panorama der napoleonischen Kriege in den Jahren 1805 bis 1812 intonierte, lag da noch ein riesiger Berg an Manuskripten vor ihm. Der Schauspieler lächelt. „Man braucht eine gewisse Ruhe und den Glauben, dass der Berg nach und nach kleiner wird.“

Ulrich Noethen, 49, hat sich diese Ruhe in zahlreichen Hörbuch- und Hörspielproduktionen neben seinen Kino- und Fernsehengagements („Der Untergang“, „Comedian Harmonists“, „Mein Führer“) angeeignet. Die Vielseitigkeit und Wandlungsfähigkeit des an der Stuttgarter Schauspielschule ausgebildeten Mimen kommt solch’ einer Hörbuch-Produktion zugute. „Krieg und Frieden“ hat insgesamt rund 250 Charaktere, vom einfachen Bauern bis zum Grafen und Feldherrn. Eine Lieblingsperson habe sich Noethen über die Monate mit Tolstois Russen im Studio nicht an- oder besser vorgelesen. „Ich kann nicht jeder einzelnen Figur eine eigene Stimme geben.“ Ihm ginge es mehr darum, den Text zu vermitteln, nicht unnötig durch Virtuosität zu glänzen.

Mit einer romantisierenden Intimität à la „Der Vorleser“, dem aktuellen Kinoerfolg, kann Ulrich Noethen denn auch nicht viel anfangen. Er mache sich bei seiner Arbeit im Studio nicht bewusst, wie direkt er im Unterschied zu Filmarbeiten mit seiner Stimme an die Zuhörer herankomme. Noethens Erfolgsgeheimnis als einer von Deutschland besten Vorlesern: „die Geschichte nicht nur zu lesen, sondern auch zu denken, was man da sagt.“ Die treue Fangemeinde vom RBB-Kulturradio wird’s freuen. „Krieg und Frieden“ wird sie mit Pausen ein gutes Jahr beschäftigen. Die ungekürzte Lesung des wohl größten Klassikers der Weltliteratur startet am 16. März. Das halbstündige Format läuft montags bis freitags um 14 Uhr 30. Markus Ehrenberg

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