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Interview: Seit' an Seit' mit dem anderen Ich

Fotograf Robbie Cooper spürt den virtuellen Persönlichkeiten von Menschen nach, die Computer- und Videospiele spielen. Vom 28. Januar bis 19. Februar 2006 ist die Ausstellung "Alter Ego" im Atelier C9 in Friedrichshain zu sehen. Ein Interview mit Robbie Cooper.

Was bedeutet "Alter Ego"?

Ein "Alter Ego" ist ein zweites Selbst. In unserem Zusammenhang ist es ein künstlicher Stellvertreter, den man erschafft, um mit anderen Menschen online zu interagieren.

Worum geht es bei dem Projekt?

Seit ich 9 Jahre alt bin, spiele ich Computerspiele, und ich habe immer nach einem Weg gesucht, das fotografisch zu dokumentieren. Das erwies sich jedoch als schwierig: Wenn du ein Foto von jemandem machst, der vor einem Computer oder einer Spielkonsole sitzt, kommt von der Natur des Mediums nicht viel rüber. Deshalb stellt "Alter Ego" Porträts von Computerspielern ihren virtuellen Alter Egos gegenüber.

Sie haben als Fotojournalist in Krisenländern gearbeitet, dabei preisgekrönte Reportagen zur Hungersnot in Somalia und zum Krieg in Afghanistan geschaffen. Was ließ sie das Betätigungsfeld wechseln?

Nach einer gewissen Zeit merkt man, dass man immer ungefähr die gleiche Geschichte erzählt. Ich hatte zum Schluss nicht mehr das Gefühl, etwas Neues beizusteuern.

Beim Fotografieren von Computerspielern haben Sie aber auch das Problem, dass Stereotype vermittelt werden können.

Das stimmt. Vor 50 Jahren hatte der Fotojournalismus das Bestreben, Stereotype zu durchbrechen. In der Fotografie des "Civil Rights Movement" ging es beispielsweise darum, ein anderes Bild von den Mitmenschen zu vermitteln, die man täglich sieht. Ich sehe mich in dieser Tradition. Natürlich sind die Stereotype über Computerspieler nicht so zerstörerisch wie Rassen-Vorurteile.

Wie werden Computerspieler in den Medien üblicherweise dargestellt?

Wie jemand, der sozial unangepasst ist. Es geht weniger um die Fotos als um die Art und Weise, wie Journalisten über sie schreiben, nämlich abfällig. Aber das ändert sich. Computerspiele bekommen immer mehr Einfluss auf andere Bereiche der Unterhaltungsindustrie. Folglich nehmen die Journalisten Computerspiele ernster als früher.

Sie haben geschrieben, dass unser tägliches Leben "virtuell" ist. Können Computerspieler realer sein als das Leben?

Du wirst im täglichen Leben jeden Tag mit Dingen konfrontiert, die nicht real sind, zum Beispiel in den Nachrichten. Es liegt an dir zu entscheiden, wie du dich informieren willst und wie du Ursache und Wirkung zusammenbringst. Viele Leute spielen Computerspiele und haben kein Problem damit zu entscheiden, was real ist und was nicht.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Leute aus, die Sie porträtieren?

Wir haben Werbebanner auf amerikanischen Websites geschaltet. Zeitweise haben wir fünfzig Emails pro Tag bekommen. In China und Südkorea lief es anders: Da sind wir einfach in Internet-Cafés hineingegangen und haben Leute angesprochen, die gerade online gespielt haben.

Gab es in China Probleme mit der Zensur?

Nein. Ehrlich gesagt habe ich den Behörden nicht erzählt, dass ich Journalist bin. Ich hatte keine Lust, einen Aufpasser an die Seite gestellt zu bekommen, für den ich auch noch 100 Dollar pro Tag zahlen muss.

Einer der Porträtierten ist Qing Xu Wei. Er verdient umgerechnet 1.000 Euro im Monat damit, dass er fremde Charaktere "auf dem Laufenden" hält, während deren Besitzer schlafen oder arbeiten.

Ich denke, solche Leute haben aufgehört, das Spiel als Spiel zu betrachten. Für sie ist es ein Gelderwerb. Wir reden hier von Menschen, die zum Beispiel gerade die Schule verlassen haben, keinen Job finden und mit der Betreuung von Online-Charakteren über die Runden kommen müssen. Die arbeiten 12 bis 16 Stunden täglich in einem Ausbeuterbetrieb. Das hat nichts mehr mit Spaß zu tun.

Gibt es das auch schon in anderen Ländern?

In China kann man mit so einem Job ein beträchtliches Einkommen erzielen. In Ländern wie den USA muss man schon ein Broker für virtuelle Spiel-Güter sein, damit es sich lohnt.

ige.com, der weltgrößte Händler für virtuelle Güter in MMOGs, unterstützt Ihr Projekt. Weitere Sponsoren sind Electronic Arts und Playstation 2. Wo liegt der Werbeeffekt für eine Firma wie Electronic Arts, die selbst keine MMOGs verkauft?

Es geht diesen Firmen gar nicht in erster Linie um einen Werbeeffekt für ihre Spiele. Sie wollen damit vor allem eine breitere Diskussion über Computerspiele anregen.

Wie waren die bisherigen Reaktionen aus der Computerspiel-Szene?

Mein Ausstellungskonzept wird generell sehr positiv beurteilt. Ein Spieler in einem Diskussionsforum übte allerdings Kritik. Er passe nicht in die Ausstellung, weil er nicht repräsentativ für alle Spieler, kein "durchschnittlicher Online-Gamer" sei. Ich sehe das anders. Niemand in meiner Ausstellung ist repräsentativ. Die Besonderheit liegt im Auge des Betrachters.

Viele Fotos in der Ausstellung sehen sehr durchkomponiert aus. Wie läuft so ein Foto-Shooting ab? Fahren Sie mit den Leuten an einen Ort, an dem sie gerne porträtiert werden möchten?

Alle Bilder wurden dort aufgenommen, wo die Leute leben. Manche Fotos mögen exotisch wirken, es handelt sich aber immer um die natürliche Lebensumgebung der Porträtierten.

Wie funktioniert das Gruppenfotos, beispielsweise von Internet-Gilden?

In dem Fall veranstalten wir eine Party, stellen Essen und Getränke zur Verfügung.

Versuchen viele Gamer, im Spiel ein völlig Anderer zu sein?

Das ist unterschiedlich. Es gibt auch Leute, die jede Menge verschiedener Charaktere haben. Da gibt es einen Spieler in Kalifornien, der 24 virtuelle Spielfiguren besitzt - alle von ihm selbst entwickelt. Diese Art von Fotos ist auch geplant: Ein Gamer und alle seine Alter Egos.

In welchem Online-Spiel gibt es die größten Möglichkeiten, das Alter Ego zu gestalten?

In "Second Life". Das ist ein MMOG mit dem Schwerpunkt soziale Interaktion. Das Spiel stellt Objekte zur Verfügung, die man mit Hilfe von Werkzeugen modellieren kann. Die Gamer handeln in "Second Life" auch mit Grundstücken. Das fasziniert mich am meisten an solchen Spielen: Die Kreativität der Spieler selbst. Nehmen Sie Mark "Marcos" Fonzarelli, den ich für die Ausstellung porträtiert habe: Alle Roboter, die wir hinter seinem Alter Ego aufgereiht sehen, hat er selbst entworfen.

Wie viele Gamer werden Sie in Berlin porträtieren?

Gestern Abend (27. Januar) auf der Ausstellungseröffnung war eine Gamer-Gilde zu Besuch, die sich gerne fotografieren lassen würde. Aus diesem Anlass werde ich nochmals nach Berlin kommen. Jeder, der Interesse hat, kann sich per E-Mail bei mir melden. Was weitere Foto-Termine angeht, bin ich sehr flexibel.

Und Sie wollen aus den Exponaten ein Buch machen?

Ja. Neben den Fotos wird das Buch mehrere Themenschwerpunkte enthalten, zum Beispiel "virtuelle Identität", "professionelles Gaming", "Lan-Parties" und "Konsolenspieler". Es erscheint voraussichtlich Ende des Jahres.

Welche Games gefallen Ihnen persönlich am besten?

Eine Zeitlang habe ich gerne "UFO: Aftershock" gespielt. Danach bin ich wieder zu "X-Com" zurückgekehrt, einem ungefähr zehn Jahre alten Spiel. Auf meiner Playstation habe ich "Grand Theft Auto" gespielt. Und ich freue mich auf "Auto Assault", das 2006 erscheint. Futuristische Spiele gefallen mir besser als Mittelalter-Fantasy à la "World of Warcraft".

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