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Das Internet: Jeder ist mit jedem verbunden.

© ddp

Nach der Ernüchterung: Wir werden Internet

Der Hype um das Online-Medium ist vorbei. Die Entwicklung des Netzes ist damit in ihrer wichtigsten Phase angekommen.

Die Geschichte des Internets ist in einer interessanten Phase. Als würde es eine Verschnaufpause einlegen, lässt überzeugend Neues gemächlich auf sich warten. Das letzte große Ding war die Entwicklung von Web 2.0. Dessen Durchbruch geschah im Oktober 2004 mit gleichnamiger Konferenz. Internetfachmann Tim O’Reilly thematisierte damals, wie Blogs und soziale Medien das Internet veränderten. Seitdem entwickelte sich nicht wirklich bahnbrechend Neues. Ein weiterer Paradigmenwechsel blieb aus. Für ein „neues Medium“ ist das natürlich eine schwierige Lage. Wie die aufmerksame kanadische Medientheoretikerin Wendy Chun letzte Woche in ihrem Vortrag bemerkte: „Neue Medien erscheinen uns nur interessant, wenn sie uns etwas Zukünftiges versprechen. Funktionieren sie gut und laufen im Regelbetrieb, haben sie sich als erfolgreich erwiesen. Paradoxerweise weicht mit ihrem Erfolg jedoch die Aufregung der Enttäuschung.“ So scheint es gerade mit dem Internet. Aber stimmt das wirklich? Hält das Internet still? Jein. Denn es gibt durchaus eine neue Phase. Nur ist es diesmal nicht die Technik, welche einen Paradigmenwechsel vorbereitet. Dieses Mal passiert das Neue auf unserer Seite: Wir Menschen verändern unsere Einstellung zum Internet.

Historisch lässt sich die Geschichte des Internets in vier große Phasen einteilen. Die erste begann mit dem technischen Aufbau von Netzwerken wie dem Arpanet in den USA (1969), dem National Physical Laboratory Network in England (1970) und dem Cyclades Intra-Netz in Frankreich (1972). Deren Verbindung zu einem großen Netz – die zweite Phase – wurde zum Rückgrat des Internets, denn seit 1986 operiert es mit dem schlanken Protokoll TCP/IP, das wir noch heute nutzen, wenn wir ins Internet gehen. In dieser Phase, in welcher digitale Netzwerke vornehmlich wissenschaftlich genutzt wurden, war das Netz noch ein Mysterium für jeden Außenseiter. Das sollte jedoch nicht lange so bleiben. Das leicht verständliche grafische Interface, mit dem wir noch heute arbeiten, begann mit dem Personal Computer seinen Aufstieg. Schon bald wurde es auf digitale Netzwerke übertragen und das World Wide Web entstand. Diese Erfindung läutete die dritte Phase des Internets ein. Sie begann bekanntlich in der Nähe Genfs am Cern, wo sich damals der größte europäische Internetknoten befand. Am 6. August 1991 stellte der Brite Sir Tim Berners-Lee die erste Webpage ins Netz. Von da an begann das nun bunte Internet seinen Aufstieg zum Massenmedium.

Lange hielt dieses WWW uns in Atem. Eine Weiterentwicklung jagte die nächste. Portale wie AOL, Telekom oder Yahoo sahen sich als Eingang zum Internet für die Masse. Diese kam auch prompt. Das Netz wuchs. Um in ihm etwas zu finden, etablierten sich Suchmaschinen. Anfangs war Yahoo noch führend, doch langsam und stetig übernahm die heute mächtigste die Führung: Google. Allerorten beschwor man Start-ups und den Anbruch einer New Economy, die auch nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2001 weiterbestand. Spätestens 2004 blühte das Web 2.0 und mit ihm kamen Blogs, YouTube, Facebook und Twitter. Die technische Entwicklung des Internets wurde von dem Versprechen begleitet, dass man es hier mit einem demokratischen Medium zu tun hätte. Die Netzarchitektur stellt sicher, dass das Internet nicht zentral beherrscht oder kontrolliert werden kann. Ebenfalls kann man niemandem befehlen, was gesendet werden kann und was nicht. Ob man das Internet zur Übertragung für Video, E-Mail oder Ton benutzt, ist nicht vordefiniert, sondern wird von jedem Nutzer an seinem Endpunkt selbst bestimmt: Netzneutralität. Auf diese technischen Fundamente stützten sich die Erwartungen, dass sich im Zeitalter des Internets lästige politische Interessenskonflikte erledigen. Im Netz, so glaubte man, hat jeder eine Stimme. Demokratie stellt sich damit automatisch per Mausklick ein. Bewahrheitet hat sich das so allerdings nicht.

Das Internet hat die Welt nicht automatisch demokratischer gemacht

Hat das Internet uns also enttäuscht, wie der sympathische Internet-Punk Sascha Lobo in der „FAZ“ schrieb? Oder hatte man einfach vom Internet zu viel erwartet? Dass die Technologie einem seine demokratischen Hausarbeiten vollautomatisch erledigt, ist nicht eingetreten. Dezentrale Netzkommunikation unterstützte zwar das demokratische Aufbegehren in verschiedenen Ländern, sie stellte jedoch keine demokratischen Verhältnisse sicher. Schnell lernten die User in Länder wie Iran, Ägypten oder zuletzt in der Türkei, dass ihre Internetprovider in staatlicher Hand waren. Und je enger die Provider an Regierungen gebunden sind, desto einfacher können sie gezwungen werden, das Internet abzuschalten oder bestimmte Dienste wie Twitter oder YouTube abzuklemmen. Doch auch westliche Internetbenutzer mussten lernen, dass die Unabhängigkeit des Cyberspace weit weniger gegeben war, als sie dachten. 1996 hatte Internetpionier John Perry Barlow, Mitbegründer der Electronic Frontier Foundation, noch die „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“ verkündet. 2013 erfuhr man im NSA-Skandal durch Whistleblower Edward Snowden, dass westliche Geheimdienste ihre Spähbots mitten in unsere viel genutzten Dienste plazierten: Skype, Google, Yahoo, Facebook, Microsoft, Apple. Die Reaktionen auf diese Enthüllungen waren interessant. Viele erbosten sich und blieben doch Kunde bei selbigen Diensten. Eine Massenauswanderung von Usern, die sich von US-amerikanischen Firmen abwandten, blieb aus.

Jetzt bricht die vierte Phase des Internets an, und die ist vor allem von einem gekennzeichnet: Das Internet ist kein neues Medium mehr. Das Internet gehört zum Alltag, man spricht von einer postdigitalen Welt, in der Ernüchterung eingetreten ist. Der utopische Glaube an eine bessere Welt dank des Internets ist verflogen. Wir wissen nun, Demokratie lässt sich nicht per Mausklick einrichten. Im Gegenteil. Die übersteigerten Erwartungen, das Internet führe uns vollautomatisch zu mehr Demokratie, haben sich nicht erfüllt. Ebenso wenig scheinen jedoch die kulturpessimistischen Warnungen etwas gebracht zu haben. Trotz der Schlagzeilen, die vor Internetsucht, Google-Halbwissen oder dem vollständigen Verlust der Privatsphäre warnten, sind die Menschen im Internet geblieben. Das Internet ist, wie andere Elemente unserer Gesellschaften, kein Ort ohne Probleme. Die technische Entwicklung des Internets und die andauernde Ausbreitung der Digitalisierung stellen genauso große gesellschaftliche Herausforderungen dar wie die Bewältigung und Abfederung der Industrialisierung.

Vielleicht ist diese vierte Phase der Ernüchterung in unserem Dialog mit der digitalen Technik deshalb nicht weniger innovativ als die Phasen zuvor, nur dass man die Innovationen nicht auf der technischen, sondern auf der menschlichen Seite verorten kann. Bislang pflegten wir gegenüber dem Internet eine hysterische Einstellung, gekennzeichnet von übertrieben positiven Erwartungen oder dunklen, kulturpessimistischen Ängsten.

Mit der vierten Phase, in der das Internet nicht mehr neu, sondern normal geworden ist, beginnt jetzt die Zeit der Ernüchterung. In der erkennen wir: Algorithmen sortieren nichts einfach von alleine. Das Internet trägt keine Schuld, zentral ist, wie wir damit umgehen. Für das Zusammenspiel von Mensch und Technik ist ein solches Einsehen wichtig. Von der Notwendigkeit einer Koordination von Gesellschaft und Technik zu wissen, ist ein guter Ausgangspunkt. Wie wir uns zusammen weiterentwickeln, darauf kann man gespannt sein.

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