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Darf die das? Sich im Fernsehen danebenbenehmen? Und dürfen wir uns dann darüber auslassen, über Katja Riemann und die Folgen? Oder fällt das unter den Boulevardvorbehalt?

© dpa

Vom Netz genommen (7): Riemann und Hasselhoff - nur was für "Bild" und "Bunte"?

In der Debattenkolumne "Vom Netz genommen" fragt sich Markus Hesselmann diesmal, ob und wie wir uns mit vermeintlichen oder tatsächlichen Boulevardthemen auseinandersetzen sollen.

Von Markus Hesselmann

Heute würde ich gern wieder von Ihnen lernen. Dazu hätte ich - wie so oft hier in der Debattenkolumne - gleich ein paar Fragen: Ist "Boulevard" für Sie ein Schimpfwort und "Bild" Ihr erklärtes Feindbild? Machen Sie grundsätzlich einen Bogen um unterhaltende, "bunte" Themen? Sagen Sie sich: Das will ich lesen, aber nicht in meiner Zeitung, wie es mein Kollege Bernd Ulrich mal so schön auf den Punkt gebracht hat? Oder lassen Sie sich gern unterhalten, auch vom Tagesspiegel? Wenn ja, geben Sie das freimütig zu oder eher ungern? Und machen Sie dabei Unterschiede zwischen der gedruckten Zeitung und der Online-Seite?

Bevor das hier ein Quiz wird, kommt jetzt der Hintergrund meiner Wissbegier: Immer wieder wird in unseren Leserdebatten kritisiert, dass der Tagesspiegel sich mit tatsächlichen oder vermeintlichen Boulevard-Themen überhaupt abgibt oder dass wir mehr als eine Kurzmeldung dazu machen. Zuletzt vor allem wegen Katja Riemanns unwilligem Fernsehauftritt und David Hasselhoffs willigem Einsatz für die East Side Gallery. "So was gehört in die BUNTE, die BILD - aber doch bitte nicht in den TSP", schreibt Leserkommentator "joscher" zu unserer Riemann-Berichterstattung und steht mit dieser Ansicht nicht allein. An "manchen Tagen ist der Tagesspiegel wie "Bild"", meint Leserkommentator "mariendorfer" mit Blick auf Hasselhoff.

Ich halte diese Kritik für sehr wichtig, weil sie an den Kern unseres journalistischen Selbstverständnisses rührt. Mir ist aber noch nicht ganz klar, was ich genau daraus lernen kann, deshalb mein Hilferuf. In der gedruckten Zeitung kann ich die Kritik eher nachvollziehen. Denn da ist der Raum beengt und damit das Angebot. Ein Text über Katja Riemann oder David Hasselhoff könnte anderes, potenziell Wichtigeres verdrängen. Und durch das Layout, die Anordnung der Texte und Bilder auf dem Papier, wird eine Hierarchie der Themen vorgegeben. Aber Online? Auch hier gibt es sicherlich eine Hierarchie der Themen, aber die ist weniger streng. Und weniger stabil. Die Dinge sind im Fluss, es geht dynamischer zu. Es gibt Spielraum, Platz. Ich kann als Online-User freier auswählen, und die Redaktion kann - so möchte man meinen - ein pluralistischeres Programm anbieten. Der Angebotscharakter ist hier noch augenfälliger als in der gedruckten Ausgabe. Zumal ja auch noch alles kostenlos ist.

Aber ist dieser Pluralismus überhaupt gewünscht? Ich bin mir nicht sicher. Manchmal scheint es mir - widersprechen Sie gern! -, als käme mehr Einengung womöglich besser an. Das kann man positiv sehen, als Wunsch nach Konzentration auf das Wesentliche. Oder man kann es für eher negativ halten, für belehrend, vorschreibend, von oben herab. Ein Punkt ist mir dabei besonders wichtig: Zuweilen kommen mir Leserkommentare so vor, als sollten damit nicht nur wir, sondern auch andere Leser, die sich laut unseren Zugriffsstatistiken nun einmal in hoher Zahl auch für unterhaltende Themen interessieren, zur Räson gerufen werden. Hin und wieder wird dazu auch im Forum Kritik von Leser zu Leser laut. Tenor: Schreiben Sie mir doch bitte nicht vor, was ich zu lesen habe. Oder: Wenn Sie der Beitrag nicht interessiert, dann zwingt Sie doch niemand dazu, ihn zu lesen. Aber ich fürchte eher, dass sich Leser von derart belehrenden Kommentaren anderer Leser abschrecken lassen und deshalb der Debatte fernbleiben. Wer will schon als Boulevard-Konsument dastehen? Als "Bild"-Leser gar! Übertreibe ich oder habe ich Recht? Was meinen Sie? Seien Sie ehrlich...

Hinter der Kritik der Boulevardisierung scheint mir oft folgender Vorwurf zu stecken: Ihnen geht es ja nur um "die Klicks". Auch Sie unterwerfen ja inzwischen alles der Quote, der größtmöglichen Reichweite, nicht zuletzt wegen der Werbung. Grundsätzlich, das ist wohl richtig, wollen wir so viele Menschen wie möglich ansprechen. Sonst wären wir keine Journalisten. Wir wollen wahrgenommen werden. Und naturgemäß sind unsere Werbekunden an möglichst hoher Aufmerksamkeit interessiert. Wer will ihnen das verübeln? Werbung wirbt, das liegt in der Natur der Sache. Und sie finanziert zu einem wichtigen Teil unsere Arbeit, unser Angebot für Sie. Wir wissen aber, dass sowohl unsere Leser als auch unsere Werbekunden zum Tagesspiegel kommen, weil sie ihn als ernstzunehmendes Medium nutzen wollen. Weil sie wissen, dass wir eben nicht jeden Klamauk mitmachen, der im Netz, in Boulevardblättern oder im Fernsehen gerade angesagt ist. Weil sie wissen, dass unsere Leser gebildet, kritisch und kultiviert sind.

Ich denke, dass wir gerade solchen Lesern eine intelligente Auseinandersetzung zum Beispiel mit dem Riemann-Phänomen, das ja über das reine Ereignis hinausweist in Richtung Kritik an der Medien- und Unterhaltungsbranche, durchaus zumuten können. Es ist sicher kein Zufall, dass die prägnante Analyse meines Kollegen Johannes Schneider mit bald 50.000 Aufrufen der meistgelesene unter unseren Riemann-Texten ist.

Beim Thema Hasselhoff/East Side Gallery kommt hinzu: Es geht um Berlin, das ist immer ein wichtiges Kriterium für uns. Und der Streit um das Mauermonument, in den sich der amerikanische Sänger und Schauspieler öffentlichkeitswirksam einschaltet, ist sowohl historisch als auch aktuell relevant mit Ausstrahlung über die Stadt hinaus. Das beweist nicht zuletzt die internationale Aufmerksamkeit für Hasselhoffs Berlin-Trip, bei weitem nicht nur in Boulevardmedien.

Reichweite und Qualität - das sind die beiden Ansprüche zwischen denen wir uns bewegen, zwischen denen wir unsere Arbeit immer wieder aufs Neue austarieren. Dass sich beide nicht ausschließen, belegt in dieser Woche zum Beispiel das hohe Interesse unserer Leser an unseren Stücken über den historisch wichtigen ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter". Rund 34.000 Mal wurden drei Online-Beiträge dazu aufgerufen. Ein anderes Beispiel: Allein rund 15.700 Mal interessierten sich unsere User für den Gastkommentar des früheren Kulturstaatsministers Michael Naumann über das Ende des angesehenen Kinos Kurbel und dessen Auswirkungen auf einen traditionsreichen Berliner Kiez. Der Beitrag "Hasselhoff rettet Berlin" wurde übrigens gut 3000 Mal gelesen, das ist für einen am Wochenende erschienenen Text auch keine geringe Aufmerksamkeit.

Für diese Überschrift wurden wir im Speziellen noch kritisiert. Das sei einer seriösen Zeitung unwürdig. Mir wird nicht ganz klar, was an einer deutlich erkennbar ironischen Überschrift wie "Hasselhoff rettet Berlin" in so einem Kontext so schlimm ist? Natürlich würden wir Ihnen in den allermeisten nachrichtlichen Zusammenhängen, vor allem wenn es um Krisen, Katastrophen oder Missstände geht, nicht ironisch kommen. Aber eine grundsätzliche Gefahr unserer Seriosität sehe ich durch ein bisschen Ironie hier und da nicht. Wenn Sie das anders sehen, wunderbar, aber helfen Sie mir bitte mit etwas weiterführenden Erklärungen!

Ohnehin sind Sie jetzt wieder dran, liebe Leserinnen, liebe Leser: Was meinen Sie? Halten Sie Themen wie Katja Riemanns Moderatorenschelte oder David Hasselhoffs Mauerprotest für aufgebauscht? Finden Sie, dass im Tagesspiegel zu viele Unterhaltungs- oder Boulevardthemen laufen? Nähern wir uns tatsächlich zu sehr der "Bunten" und "Bild"? Und was würden Sie anstelle solcher Themen öfter lesen wollen? Oder darf der Tagesspiegel durchaus auch unterhalten, gedruckt und/oder online? Kommentieren und diskutieren Sie mit! Bitte nutzen Sie dazu die einfach zu bedienende Kommentarfunktion etwas weiter unten auf der Seite.

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