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Die Server von Google stehen auch in den USA.

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Wer regiert das Internet?: Machtkampf in der Netzverwaltung

Das Machtzentrum der Internetwelt liegt in den USA: Hier werden die Adressen zugelassen, hier stehen die zentralen Server. Doch das soll ich jetzt ändern.

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Um zu erklären, wer das Internet regiert, bräuchte man zuallererst ein gutes Wörterbuch. Thomas Rickert zum Beispiel. Der 43-jährige Bonner Rechtsanwalt ist Mitglied im „Generic Names Supporting Committee“ (GNSO) der „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“ (Icann). Ganze Unterhaltungen kann Rickert mit Internet-Anglizismen und ihren Abkürzungen bestreiten. Aktuell befasst er sich mit dem „Registrar Accreditation Agreement“ (RAA) und streitet gegen das „Governmental Advisory committee“ (GAC). Auch wenn das kein Normalsterblicher versteht: In dem Konflikt geht es nicht zuletzt darum, wer künftig, und wie, die Politik im globalen Netz bestimmt.
Das Zentrum der Internet-Welt liegt in Kalifornien. Eine private, nicht auf Profit ausgelegte Institution mit Sitz in Los Angeles, die Icann, steuert die zentralen Prozesse im virtuellen Raum. Von hier aus werden die individuellen Kennziffern für jeden ans Netz angeschlossenen Rechner vergeben, die sogenannten IP-Adressen. Hier werden die übergeordneten Domain-Namen wie die Länderkennung „.de“ oder Adress-Endungen wie „.org“, „.net“ und „.com“ genehmigt. Das Netz selbst verändert sich permanent und in hohem Tempo. Entscheidungsfindungen in der Icann aber sind langwierig und kompliziert. Es gibt Dutzende von Unterorganisationen, Komitees, Technik- und Interessengruppen, die einem Direktorium zuarbeiten. Das Ganze ist gedacht, so steht es in den Statuten, als eine Organisation, in der Ideen „graswurzelartig“ von unten nach oben entwickelt werden.
Was auf den Fluren des Kongresszentrums im kanadischen Toronto kürzlich Gesprächsthema Nummer eins war, hat mit diesem Ansatz nicht viel zu tun. Nach Toronto war auch Rickert, Vertreter des Internet-Branchenverbands „eco“ geflogen, um auf der turnusmäßigen Tagung der Icann die Debatte über das genannte RAA zu verfolgen: ein Abkommen, in dem geregelt werden soll, unter welchen Voraussetzungen jemand künftig eine Internet-Domain anmelden kann. Im Saal „Frontenac“ hatten sich etwa 200 Leute versammelt, allesamt Experten für Bits und Bytes. Neben anderen Themen, deren Bedeutung kaum ein Außenstehender auf Anhieb begreifen kann, sollte es bei einem Treffen zwischen dem Icann-Direktorium und Regierungsvertretern in der Icann auch um das Abkommen gehen, um das derzeit erbittert gerungen wird. Auslöser des Streits ist ein Forderungskatalog, den das FBI im Verein mit britischen, kanadischen und anderen nationalen Sicherheitsbehörden Ende 2011 der Icann übergeben hat. Die Verhandlungen sollen im Dezember abgeschlossen werden. Die Regierungsvertreter haben ihre Forderungen umfangreich durchgesetzt.

Nationalstaaten fordern mehr Macht
Wer künftig eine Seite im Bereich der sogenannten „generischen Top-Level-Domains“ (gTLDs) anmelden will, das sind alle außer den Länder-Domains wie „.de“ oder „.fr“, müsste nicht nur vergleichsweise banale Daten wie Betreibername, Adresse, Erreichbarkeit per E-Mail oder Telefon hinterlegen. Die Unternehmen, bei denen man anmeldet, müssten auch die komplette Kommunikation zur Registrierung speichern – etwa die IP-Adresse, Zeiten und Zeitzonen, genutzte Dienste, Finanzdetails bis hin zum Sicherheitscode der verwendeten Kreditkarte. Und zwar noch zwei Jahre über die Existenz einer Domain hinaus.
Was sie denn von den Einwänden der europäischen Datenschützer hielten, konfrontierte Icann-Direktor Chris Disspain die Regierungsvertreter im Saal. Der Icann war kurz vor Toronto ein Brief ins Haus geflattert, in dem die Datenschutzexperten ihr Entsetzen über die geplanten Regularien formulieren. Der Brief habe „eingeschlagen wie eine Bombe“, erinnert sich Rickert. Solche Eingriffe in die Privatsphäre von Milliarden von Menschen, argumentieren die Datenschützer, dürften nicht in einem Vertrag zwischen privaten Partnern (der Icann und den Unternehmen) geregelt werden. Mit den Gesetzen der europäischen Staaten sei das, was die Regierungen hier durchzusetzen trachteten, ohnehin nicht vereinbar. Insbesondere aber kritisieren sie, dass die Icann Regularien einführe, „um Wünschen von Sicherheitsbehörden nachzukommen“. Gespannt warteten die Sachkundigen im Saal auf die Antwort der EU-Vertreterin. Der Brief habe in mehreren Icann-Gremien doch erhebliche „Irritationen“ verursacht, berichtete Icann-Direktor Disspain. Die EU-Repräsentantin konnte helfen. „Um gleich einmal alle zu beruhigen“, erklärte sie, diese Datenschützer seien doch nur ein beratendes Gremium. Mit der Position der EU-Kommission habe das nichts zu tun. Getrost könne man also darüber hinweggehen, war die Botschaft.
Nicht erst in Toronto haben die Nationalstaaten in dem Konflikt eines ganz deutlich gemacht: Das Politikverständnis der Internet-Gemeinde – die Entscheidungsfindung vieler durch „Crowd intelligence“ – ist für sie nicht länger der Maßstab. Schon gar nicht bei Sicherheitsfragen. Noch hat das Modell zwar offiziell Gültigkeit. Eine der zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der kommenden Jahre wird jedoch sein, wie das Internet künftig regiert werden soll. Das Netz wächst weiter und mit ihm seine Bedeutung für die Menschen, für Wirtschaft, Sicherheit und Politik. Regierungen werden es sich nicht nehmen lassen, ihren Einfluss zu Ungunsten anderer gesellschaftlicher Gruppen zu vergrößern. Während beim Gipfel der International Telecommunication Union (ITU) insbesondere autoritär regierte Staaten die Rolle von Icann und damit auch die Vormachtstellung der USA im Netz beschneiden wollen, greifen zugleich innerhalb der Icann die Regierungen nach mehr Macht.

Die Rolle der Regierungsvertreter, die mittlerweile enorm aufgewertet ist, wurde in den Anfangszeiten der Icann häufig belächelt. Die Nerds hatten hier den Sachverstand – und das Sagen. Den Regierungsbeirat betrachteten einige von ihnen als „eine Art Kindergarten“, wie sich Andy Müller-Maghun, ehemaliger Sprecher des Chaos Computer Clubs und von 2000 bis 2003 von den Nutzern ins Icann-Direktorium gewählt, erinnert: ein Ort „für partiell lernbehinderte Regierungsvertreter, die mitunter ihre Probleme hatten, das im Internet entstandene globale Bewusstsein in ihrem Dasein als Vertreter von nationalen Regierungen zu adaptieren“. Ihre Uneinigkeit bremse die Macht der Staaten, galt damals als Gewissheit. Von Vint Cerf, einem der Väter des Internets, ist der lakonische Satz überliefert: „Regierungen treten zum Glück immer nur im Plural auf.“
Heute ist die Icann kein Club spezialisierter Freaks mehr, die über Dinge sprechen, für die sich kein Normalmensch interessiert. Der Icann-Mann von 2012, Thomas Rickert, beschreibt vielmehr eine Institution, in der Spezialisten unterschiedlicher Gebiete die Zusammenarbeit bei gesellschaftlich-relevanten Themen suchen. Und mit der massiven Ausweitung der Namensräume – derzeit werden fast 2000 Bewerbungen für neue TopLevelDomains wie zum Beispiel „.hotel“, „.tennis“ oder „.church“ geprüft – wachse auch das Interesse am Regierungsbeirat, dem noch längst nicht alle Staaten angehören.
Von einem Kindergarten spricht heute niemand mehr. Um einen Rat der Regierungsvertreter zu einer bestimmten Frage zu übergehen, sollte die Stellungnahme des Direktoriums „schon sehr, sehr gut begründet sein“, erzählt Rickert. Peter Voss, im Bundeswirtschaftsministerium zuständig für die internationale Telekommunikationspolitik, teilt die Einschätzung. „Icann überlegt sich sehr gut, ob es sich über den ,advise’ der Regierungen hinwegsetzen soll“, sagte er kürzlich im Bundestag. Nach Ansicht von Wolfgang Kleinwächter, Professor für Internet Policy and Regulation und ebenfalls Mitglied des Rats der generischen Domain-Namen, hat der Regierungsbeirat sogar „ein De-facto-Vetorecht“.

"Frühwarnungen" gegen neue Domains

Schon die größte Neulandgewinnung in der Geschichte der virtuellen Welt, die Schaffung der neuen Namensräume, drohte im vergangenen Jahr an den Einwänden der Regierungsvertreter zu scheitern. Verhandlungsrunde um Verhandlungsrunde blockierten sich Icann-Direktorium und Regierungsbeirat in der Frage, welchen Einfluss die Regierungsvertreter auf die Vergabe der neuen gTLD-Namen haben soll. Nicht zuletzt angesichts von Namen wie „.cat“ für Katalonien verlangten die Regierungen erhebliche Kontrollrechte. Geeinigt haben sich Direktorium und Regierungsbeirat auf ein dreistufiges Verfahren. Der Rat kann gegen eine Bewerbung einen Einspruch bis zur Klärung offener Fragen einlegen. Die verschärfte Form ist ein Widerspruch, der mit dem Direktorium besprochen werden soll. Wenn der Rat sogar die Ablehnung einer Bewerbung verlangt, dann muss sich das Direktorium auch in diesem Fall eine sehr gute Begründung einfallen lassen, der Bewerbung doch stattzugeben. Vor wenigen Tagen hat der Regierungsbeirat seine ersten „early warnings“ verschickt. 243 Bewerber wurden angeschrieben. Darunter viele, die nur buchstabengleiche Namen angemeldet hatten. Die Widersprüche können aber auch grundsätzlicher sein. So findet sich „.sucks“ in der Frühwarnliste, genauso wie „.islam“. Schon früh kamen aus Saudi-Arabien Vorbehalte gegen „.gay“.

Auch in den ersten Icann-Jahren haben Staaten versucht, die Kontrolle über ganze Namensräume zu erlangen. Das chinesische Alphabet beinhalte Schriftzeichen mit religiöser Bedeutung, argumentierte Anfang des Jahrtausends Peking. Bei der Verwendung in Domain- Namen könne es zu Missverständnissen oder Missbrauch kommen. Um kulturell-religiöse Konflikte zu vermeiden, müsse China daher die Hoheit über die Verwendung chinesischer Schriftzeichen in Internet-Adressen erhalten. Weltweit. Der allzu durchsichtige Versuch Pekings, die chinesische Zensur als Exportartikel über das Netz zu verbreiten, scheiterte an der rein technischen Argumentation der Nerds, die damals noch ihren Wissensvorsprung ausspielen konnten. Aber nicht nur der chinesischen Führung ist die Bedeutung ganzer Namensräume bewusst: Sie zu kontrollieren, ist effektiver, als einzelne Seiten zu sperren. Auf der Agenda des Regierungsrats findet sich derzeit auch die Auflage für Unternehmen, Kontaktdaten von Bewerbern zu überprüfen, bevor eine Domain eingerichtet wird. Dabei reicht eine Telefonnummer nicht aus. Auch eine E-Mail-Adresse muss vorgewiesen werden. Mit Blick auf den Anspruch der Icann, Internet-Nutzern weltweit zu dienen, sei dieses Vorhaben „fragwürdig“, findet Netzbewohner Rickert: „Wer kein Telefon hat oder eine Domain registrieren möchte, um erst an eine E-Mail-Adresse zu kommen, wird ausgeschlossen.“ Und weil mit dem Aufwand die Kosten steigen, hätten es zudem weniger finanzkräftige Nutzer weltweit schwerer, sich ein virtuelles Grundstück zu sichern. Die USA indes haben sich bereits weite Landstriche reserviert. Wie auch nicht? Das Internet ist ein Kind des US-Militärs, aufgezogen von US-Universitäten und erwachsen geworden unter der Aufsicht einer US-Institution, der Icann. Von den 23 derzeit existierenden gTLDs werden 16 von US-Firmen oder -Organisationen in Lizenz geführt. Darunter die wichtigsten wie „.com“, „.net“, „.org“. Auf den Rest der Welt entfallen gerade mal sechs zu verwaltende sogenannte „generische“ Räume: „.asia“, „.cat“, „.info“, „.mobi“, „.post“ und „.tel“. Zwar wird die Welt des Internets mit den derzeit überprüften 1200 bis 1400 Domain-Namen größer. Ob die neuen Namensräume aber zu einer relevanten Verschiebung der Gewichte führen werden, ist in der Internet-Gemeinde noch umstritten.

Auch technologisch bilden noch immer US-Institutionen das Rückgrat des Internets: 13 Zentralstellen, die sogenannten Rootserver, geordnet von „A“ bis „M“, tragen die globale Datenbank. Und von 13 Betreibern sitzen zehn in den USA, „I“ und „K“ in Europa, „M“ in Japan. Ursprünglich standen zehn Rootserver sogar tatsächlich in den USA. Inzwischen verteilen sich die Datenbanken auf Serververbünde, die an jedem Ort der Welt lokalisiert sein können. Neben der Icann betreiben etwa das Pentagon, die Nasa, die US-Firma VeriSign und amerikanische Universitäten einen Rootserver. Und nicht zuletzt bleibt selbst der US-Regierung eine kleine Hintertür: Damit der Netzverkehr reibungslos fließt, muss er technisch koordiniert werden. Diese Koordination hat die US-Administration unter Bill Clinton 1998 abgegeben und in einer Abteilung der Icann angesiedelt: in der Internet Assigned Numbers Authority (IANA), eine Art Amt für die Zuordnung von Nummern und Namen im Internet. Bis heute vergibt das amerikanische Handelsministerium den Vertrag über die Ausübung des Amtes. Gerade erst wurde er mit der Icann auf sieben Jahre verlängert.
Nicht nur autoritäre Staaten etwa aus dem arabischen Raum, für die „das Internet eine Art Krankheit ist, ein Ort, an dem sich Menschen jenseits von Zensur verständigen“ (Müller-Maghun), ringen im Netz um Einfluss. In der Arena der ITU sind derzeit die Schaukämpfe zu besichtigen. Innerhalb der Icann aber, jenseits der Öffentlichkeit, werden die Staaten in absehbarer Zeit mehr Einfluss auf die Netzstrukturen erstreiten. Wie sich die Gewichte künftig verteilen und wie viel Macht sich die Regierungen sichern, ist dabei noch nicht ausgemacht. Die Graswurzel-Prinzipien der Netzzentrale bergen noch durchaus überraschendes Potential, einen kompletten Durchmarsch der Nationalstaaten zu erschweren.

Selbst so mancher Hacker hält es deshalb mit der Icann wie dieser, zitiert von einem Hackerboard: „Wer soll die Kontrolle über die Root-Server haben? Das US-Handelsministerium, Nike, Apple, die Welthandelsorganisation oder die UN? Etwa die Nato oder die ITU? Oder wollen wir die Verwaltung bei einer Organisation haben, die durch jahrelange Arbeit gelernt hat, einen Spagat zwischen Politik, Wirtschaft, Technik und der Internet-Gemeinde zu machen, und am Ende alle Aufgaben gut genug erledigt? Icann ist beileibe keine perfekte Lösung. Aber derzeit ist Icann das Beste, was wir haben.“

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