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Näher rangehen. Bei den prügelnden Hooligans während der Fußball-EM zeigten einige Redaktionen gar keine Gesichter. Manche Fotoreporter sehen das anders.

© dpa

Diskussion über drastische Fotos: Dem Elend ins Auge schauen

Welche Bilder von Tod und Gewalt sind zumutbar? Steigern grausame Fotos die Auflage? Darüber wird auf dem Fotofestival Lumix diskutiert.

Das Gesicht der ermordeten britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox kennen seit einigen Tagen Internetnutzer, Fernsehzuschauer und Zeitungsleser in aller Welt – durch die Medien, die zu der Nachricht von ihrem Tod Bilder liefern. Doch welche sind angesichts ihres Schicksals angemessen? Archivbilder der strahlenden Frau, Fotos vom abgesperrten Tatort mit einem am Boden liegenden Opfer, Aufnahmen von trauernden Menschen am Ort des Geschehens?

Viele Redaktionen haben sich für ein Blumenmeer am Tatort entschieden, an dem ein Foto von Cox aufgestellt wurde. Michael Pfister, Leiter der Bildredaktion von Zeit Online, hat ein anderes Motiv ausgewählt. „Wir wollten eine eigene Perspektive zeigen. Ein Fotograf hat uns Bilder vom Nachbarn des Täters geliefert, der sich wegbewegt. Man kann nicht sehen, wo das Foto aufgenommen wurde, es soll bewusst vieles offenlassen“, sagt Pfister.

Der Bild-Redakteur diskutierte am Wochenende mit Medienfachleuten auf dem Fotofestival Lumix in Hannover über „Bilder als Dokument der Realität – Was muten wir dem Betrachter zu?“. Dabei ging es vor allem um Aufnahmen aus Kriegsgebieten wie Syrien und Afghanistan. Dem Publikum wurden drei von Bild.de verbreitete Kinderfotos gezeigt, darunter ein in Syrien durch Nervengas getötetes Kind in Großaufnahme, mit geschlossenen Augen und aufgerissenem Mund.

Wenn man Pech hat, ist es genau umgekehrt

Dieses Foto hat die Kommission für Jugendmedienschutz beanstandet. Beim „Stern“ würden solche Fotos nicht gedruckt, versichert der Leiter der Bildredaktion Andreas Trampe. „Ich finde es ekelerregend, wenn man den Schaum im Mund sehen kann. Es ist keine gute Strategie, Leser damit zu verschrecken. Man muss nicht so nah rangehen, um den bildlichen Beweis für den Giftgaseinsatz zu führen“, sagt Trampe und fügt hinzu: „Es gibt das Vorurteil, dass besonders grausame Fotos die Auflage steigern."

Wenn man Pech hat, ist es genau umgekehrt. Kein Leser kauft den ‚Stern‘, weil er hofft, dass brutale Bilder drin sind.“ 18 000 Fotos bekommt seine Redaktion täglich angeboten – davon kommen 40 in die engere Auswahl.

Der Fotograf Christoph Bangert weiß, dass er mit seinen Aufnahmen aus Kriegsgebieten in den Redaktionen umso weniger Chancen hat, je genauer sie die den Opfern zugefügte Gewalt zeigen. Er macht sie trotzdem. „Was im Krieg passiert, muss man dokumentieren. Bilder können keine Kriege beenden. Das können nur Menschen, die emotional berührt sind. Das zu erreichen ist unsere Aufgabe.“ Die Ablehnung von drastischen Fotos durch Redaktionen wie „Stern“, „Zeit“ oder „Neue Züricher Zeitung“ sei frustrierend – Bangert hat als Konsequenz das Buch „War Porn“ mit etlichen dieser Fotos veröffentlicht. „Das sind nur Abbilder, nicht die Realität. Die ist viel, viel schlimmer.“

Sigrun Müller-Gerbes ist Mitglied im Deutschen Presserat und Redakteurin der „Neuen Westfälischen“ aus Bielefeld. Als sie im September das weltweit bekannt gewordene Foto von dem toten, am Strand liegenden syrischen Flüchtlingsjungen abdruckte, gab es Proteste. „Kinder sehen am Frühstückstisch das Bild, wie können Sie ihnen das zumuten?“ „Wir haben uns zum Abdruck entschlossen, weil es sich um ein wichtiges Zeitdokument handelt und das Gesicht des Jungen nicht zu erkennen war. Bestätigt fühlen wir uns durch den Vater des Jungen, der ausdrücklich die Veröffentlichung begrüßte“, sagt Müller-Gerbes.

Wie verhalten sich aber nun Medien, wenn es nicht um Opfer von Gewalt geht, sondern Menschen zu sehen sind, die sich schlagen, andere verletzen, gar töten? „Bei den prügelnden Hooligans während der Fußball-EM müssen wir keine Gesichter zeigen, es reichen Übersichtsfotos. Das ist die generelle Haltung bei Zeit Online zu dem Thema“, sagt Pfister. Er weiß zugleich um die Bedeutung von Bildmaterial für Online-Medien. „Es gibt von der ,New York Times‘ Prognosen, dass künftig der visuelle Content 60 Prozent des Inhalts ausmachen wird. Auch bei uns wird der Anteil von Fotos und Datenvisualisierungen zunehmen.“

Joachim Göres

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